Lesezeit: 4 Minuten“You did this!”
“No, you did.”
Nachdem 2011 vollgepackt war mit großartigen und bahnbrechenden Titeln wirkt das Jahr 2012 im Nachhinein wie das Jahr der enttäuschenden Zahlen: Diablo 3 hat mit seinem Echtgeldauktionshaus den Grundstein für Micropayments und Lootboxen gelegt und PC-Spieler mit seinem Onlinezwang – gepaart mit überforderten Servern – durch den Dreck gezogen. Mass Effect 3 war weitaus linearer als seine Vorgänger und kam mit einem Ende um die Ecke, welches so gut ankam, wie die geschmacklosen Witze des leicht alkoholisierten Onkels auf der Familienfeier. Max Payne 3 hingegen war ein toller Third-Person-Shooter, verkaufte sich aber schlechter als Kevin Federlines 2006er Album “Playing With Fire”. Btw, habt ihr die letzte Referenz verstanden? Niemand? Na gut, weiter im Text.
“Do you feel like a hero yet?”
Doch gab es auch viele wunderbare Titel, die quer durch die Gamerlandschaft geliebt wurden. Borderlands 2, Far Cry 3, XCOM: Enemy Unknown oder auch Guild Wars 2 (best MMO, fight me!) sind hier definitiv als Anwärter für das Spiel des Jahres zu nennen und ich würde jeden meiner Kollegen verstehen, wenn sie sich aus dem Pool dieser Titel bedient hätten. Doch gab es für mich ein Spiel, welches in diesem Jahrzehnt einen bleibenden Eindruck bei den wenigen Menschen, die es tatsächlich gespielt haben, hinterlassen hat und auch noch über die Jahre hinaus weiterhin diskutiert und gepriesen wird. Als Yager im Juni 2012 Spec Ops: Line heraus brachten, geschah dies’ mit keiner großen Ankündigung und Fanfare. Der Trailer wirkte fad und auch die spielbare Demo konnte kaum jemanden überzeugen.
Und auf den ersten Blick ist es auch verständlich. Man erhält als Captain Walker den Auftrag, mit einem kleinen Team die Lage in Dubai zu checken, welches zu dem Zeitpunkt in einen Sandsturm gefangen ist und sich zu einer humanitären Katastrophe entwickelt hat. Die US-Truppen, welche unter dem Kommando von Colonel Joseph Konrad zur Unterstützung in die Stadt geschickt wurden, haben sich ebenfalls seit Wochen nicht gemeldet. Mehr möchte ich zur Story auch nicht verraten – aber wer den Roman Das Herz der Finsternis gelesen oder Coppolas Meisterwerk Apocalypse Now gesehen hat, wird einige Paralleln erkennen. Jedoch schafft es Spec Ops: The Line, den Rezipienten auf ganz andere Art und Weise zu fesseln, zu schockieren, zu deprimieren. Es gibt einen Moment – den Moment – im Spiel, wo aus einem generischen Third-Person-Shooter mit ganz netten Spielideen etwas wird, was einen verfolgt. Ein Moment, wo man überlegt, ob man nicht anders hätte handeln können. Ein Moment, von dem man sich erstmal erholen muss. In einem Videospiel!
Von diesen Moment an erleben der Protagonist und der Spieler einen belastenden Trip in die Hölle der menschlichen Seele, sie werden zusammen in einen Strudel der unerbittlichen Gewalt gesogen. Wo man vorher noch milden Spaß mit dem Abknallen seiner Gegner hatte, tötet man ab da stoisch nur noch um irgendwie das Ende zu erleben – obwohl man zwischendurch daran zweifelt, wie das Ende sein wird. Denn nach seinen Taten weiß der Spieler, dass Captain Walker kein Happy End verdient hat, doch zugleich merkt der Spieler auch, dass ER Captain Walker zu diesen Taten gezwungen hat – mit seinem Controller in der Hand. Der eigene moralische Kompass wird zur Seite gelegt, weitaus eher, als es einem auffällt. Man tötet links und rechts, was auch immer einem vor die M16 kommt – ob es der Feind ist und ob dieser Feind es wirklich verdient hat, wird ab einen Zeitpunkt irrelevant. Und dann erreicht man das Ende (es gibt sogar verschiedene Endsequenzen, je nach Entscheidung), schaltet die Konsole aus – ihr werdet an diesem Tag definitiv nichts anderes spielen wollen – und sitzt mit grimmiger, verstörter Miene vor dem schwarzem Bildschirm, welcher das eigene Gesicht reflektiert.
“You can’t go home.”
Das klingt alles ziemlich deprimierend und niederschmetternd, oder? Und genau deswegen ist Spec Ops: The Line mein Pick für das beste Spiel 2012 und einer der wichtigsten Titel dieses Jahrzehnts. Es ist ein Titel, welcher uns stets daran erinnert, dass trotz Lootboxen, Kontroversen, kaputten “Live Service”-Spielen, geldgierigen Publishern, dem 100. Dark Souls– oder PUBG-Klon Videospiele dennoch Kunst sein können und im Menschen die verschiedensten Emotionen hervorrufen können. Spec Ops: The Line ist nicht leicht zu verdauen, nicht für jedermann gedacht und definitiv kein Spiel für zwischendurch. Und trotzdem – oder gerade deswegen – sollte es jeder erlebt haben. Es kam damals für die PS3, Xbox 360 und auf Steam raus, die jeweiligen Versionen sind mittlerweile sehr günstig zu haben und auf ein HD-Remake kann man auf Grund des kommerziellen Flops nicht unbedingt hoffen. Ob man diesen Horrortrip allerdings in HD erleben möchte, sei mal dahingestellt.
“Can you even remember why you came here?”
Die Games des Jahrzehnts – Das Jahr 2010
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Die Games des Jahrzehnts – Das Jahr 2019
Ach was für ein wunderbarer Pick!
“Spec Ops: The Line” ist auch für mich einer der wichtigsten Titel der letzten zehn Jahre.
Kein anderes Spiel hat mich emotional so ins Verderben geritten, wie dieser erstklassige Yager-Titel.
Ich würde es tatsächlich gerne noch einmal spielen, aber der Effekt wäre einfach nicht derselbe.
Ein Spiel wie dieses funktioniert nur beim ersten durchspielen, weil das Überraschungsmoment – ähnlich wie bei Filmen wie z.B. “The Sixth Sense” – eben nur einmal zündet.
Wer das Spiel noch nie selbst erlebt hat, sollte es unbedingt nachholen.