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Baldurs Gate – Die vielleicht älteste Liebe

von am 12. Juli 2023
 
Lesezeit: 5 Minuten

Baldurs Gate und der Noob der Schwertküste

Es gibt Spiele, zu denen kommen wir immer wieder. Entweder weil wir irgendwo festhingen, weil wir damit aufwuchsen oder weil wir ganz spezielle Erinnerungen (z.B. “HEY LISTEN!“) mit diesen Spielen verbunden haben. Ein Spiel, das für mich alle dieser Boxen abhakte, war Baldurs Gate. Baldurs Gate war zwar nicht mein erstes PC-Spiel, aber es war mein allererstes Rollenspiel. Dass das Regelsystem des Spiels auf dem damaligen Regelwerk von Dungeons & Dragons basierte, wusste ich natürlich nicht und wie irgendeine dieser Regeln funktionierte, das wusste ich noch viel weniger. Meine ersten Gehversuche fielen dahingehend vergleichsweise tölpelhaft aus. Da gab es so allerhand Charakter-Kombinationen, für die man heute, im Zeitalter des Internets, aus den Foren gejagt werden würde. Zum Beispiel meinen sehr charismatischen Krieger, der sich mit zwei linken Händen (niedrige Geschicklichkeit) und ohne Bizeps (niedrige Stärke) durchs Leben knuffte. Oder mein erster Magier, der mit seinem Konstitutionswert von 3 genau zwei Hitpoints zu Beginn des Spiels hatte. Dieser Magier war wirklich so gebrechlich, dass er selbst bei einer Begegnung mit einer Ratte schon die Bossmusik hörte. Mir selbst war das damals alles relativ egal, denn ich hatte ja A: keinen Vergleichswert, B: keine Ahnung und C: keine Ahnung. Jede Biegung, jeder Kartenabschnitt und jeder Dungeon waren ein Ritt auf Messers Schneide. Irgendwann, so zwischen Klasse 7 und 11 habe ich das Spiel dann auch durchgespielt und selbiges dann für den zweiten Teil noch einmal getan. Dann war alles erledigt. Die Schwertküste war gerettet und ich vergaß, dass dieses Spiel existierte.

6 CDs, 6 Stunden, 6 Schaden, 1 Ragequit

Was über den Rest meiner Schulzeit, Ausbildung, Studium und bis heute blieb, waren Anekdoten. Geschichten, die wir uns im Freundeskreis immer wieder erzählten, wenn das Thema Baldurs Gate aufkam. “Oah, weißt du noch damals, als wir auf der LAN…” irgendwie so fingen diese Geschichten immer an. Damals bestand die physische Version von Baldurs Gate I aus genau sechs CD-Roms (ein heute als antik geltendes Speichermedium), die man in spezieller Reihenfolge in sein CD-Laufwerk (siehe oben, ebenfalls ein Relikt der digitalen Antike) schieben musste, um das Spiel zu installieren. Das war nicht nur mühsam, sondern auch zeitaufwendig. Das war aber vollkommen okay, weil man hat sich dann in der Zwischenzeit über die Teamkomposition für den Multiplayer-Modus ausgetauscht. Ja, Baldurs Gate I hat es euch erlaubt, ein Team von sechs Charakteren zu erstellen, welches dann kooperativ die Schwertküste rettete. Und während wir darüber sprachen, ob man nun einen Mönch braucht oder ob wir doch lieber einen Barden mitnehmen, vergingen schon mal ein paar Stunden. In meinem Fall waren es ziemlich genau sechs Stunden. Denn es musste ja auch noch die Charakterwerte ausgewürfelt werden. Jaja! Die Werte eures Charakters werden nämlich von eben jenen, zufällig ausgewürfelten, Werten bestimmt. Ein brauchbarer Wurf (in der Summe ca. 80+ Punkte) war nett, aber natürlich wollten wir keinen brauchbaren, sondern einen richtig guten (in der Summe 90+ Punkte) Charakter! Also haben wir noch einmal 1-2 Stunden in das monotone Klicken zum Neurollen der Attribute investiert. Sprich: Zwei Stunden lang nur die linke Maustaste gedrückt, die Attributwerte addiert und gehofft, dass wir über 90 kommen.

                                         Baldurs Gate I – 69 Attributpunkte? Auf gar keinen Fall!

Spätestens hier hatten wir die sechs Stunden vollgemacht, ohne auch nur selbst eine einzige Minute aktiv gespielt zu haben. Absoluter Wahnsinn, aber alles musste einfach für unsere LAN-Session perfekt sein! Wir waren erledigt, müde und unsere Augen taten weh und unser Hirn war schon vom ganzen “würfeln”, “addieren”, “nochmal würfeln” zu Matsch geworden. Jetzt konnte es aber losgehen! Tjoa, ging dann auch los. Für genau eine Minute.Aus irgendwelchen Gründen und die Gelehrten streiten noch heute über die genauen Umstände, entschied sich mein Charakter im Startgebiet dazu, einer vermeintlich unschuldigen Kuh auf die Schnauze zu hauen – für immerhin 6 Punkte Schaden! Die Kuh sagte so etwas wie “Muuuuh!”, ging in die Knie und war tot. Das gefiel irgendwie niemandem und der Stadtwache schon gar nicht. Bevor wir auch nur irgendeinen Schritt machen konnten, wurde unsere Gruppe nach geschätzt 18 Sekunden von der Stadtwache wegen schändlichem Kuhmord zersägt und unser Abenteuer war vorbei. Konsterniert blickten wir auf unsere Röhrenmonitore und konnten das alles nicht fassen. In diesem Moment schlugen dann auch die bisherigen sechs Stunden Klickerei zu Buche und wir entschieden uns mit einem “Nee, kein Bock mehr!” zum sofortigen Ragequit.

Ca. 20 Jahre später – Der Zerberster der Schwertküste

Nun sind zwischen 15-20 Jahre vergangen und noch immer erzählen wir uns mit einem tränenden Auge von unserem falKUHn-Punch. Baldurs Gate hatte ich aber selbst in dieser Zeit nie wieder ernsthaft angefasst . Irgendwie kam immer das Leben dazwischen. Allerdings sind jetzt Sommerferien und das ist die Zeit des Jahres, in der ich für gewöhnlich etwas mehr Zeit habe. Also war es einfach an der Zeit, dass ich die Mütze noch einmal nach hinten drehe und mich an der Schwerküste ein weiteres Mal blicken lasse – nun sogar in der “Enhanced Edition”. Dabei handelt es sich um die 2012 erschienene und modernisierte Version des Rollenspiel-Klassikers. Und nicht nur das Spiel bekam seine Upgrades! Ich hatte im Vorfeld meine Hausaufgaben gemacht und wenn ich das Elend, das mein fünfzehnjähriges Ich über die Talent- und Attributverteilungen dieser Erde brachte, korrigieren wollte, dann hatte ich alle Hände voll zu tun. Ich brauchte ein ordentliches Charakterkonzept und ich brauchte einen Plan!

Oder ich klicke einfach stundenlang auf die linke Maustaste, bis…

                                                       Baldurs Gate: Enhanced Edition – 98 Punkte!

Die Attribute waren top und auch wenn ich nach dem Geklicke nun näher an der Schwelle zum Wahnsinn stand, musste ich mir noch überlegen, welche Klasse ich denn nun spielen wollte. Von denen gibt es in Baldurs Gate nämlich zig verschiedene, die wiederum alle mindestens drei Unterklassen haben. Insgesamt sprechen wir hier also von Dutzenden verschiedenen Klassen. Meine Wahl fiel auf den Berserker, der sich in erster Linie dadurch auszeichnet, dass ihm oder ihr einmal pro Tag so richtig der Helm brennt und er oder sie komplett immun gegen jegliche Kontrollmagie wird. Ein durchaus patenter und kampforientierter Charakter, der im zweite Teil des Spiels dann um die Klasse des Magiers ergänzt wird, sodass im Idealfall eine absolute Zerberstungsmaschine entsteht, die nicht nur einen dicken Schwertarm besitzt, sondern auch eine ganze Palette zerstörerischer Zauber schleudern kann. Doch an dieser Stelle ist mein Abenteuer heute noch nicht und ich frage mich, ob es das je sein wird.

Es ist Dasselbe und doch ist es anders

Denn heute fühlt es sich anders an. Nicht schlechter, aber anders. Heute habe ich einen aufgebohrten Charakter, kann eigentlich alles zermatschen und doch spielt sich mein Abenteuer an der Schwertküste nicht mehr so wie früher. Wie auch? Heute hänge ich fest und was mache ich? Ich google mein Problem. Heute bin ich nicht sicher, welches Item besser ist und was mache ich? Ich google mein Problem. Heute bin ich nicht sicher, ob ich alles in dem Dungeon erledigt habe und was mache ich? Ja, ihr wisst es. Rückblickend ist es wahrscheinlich genau das, was diese Kategorie der “Alten Liebe” wohl auch ausmacht. Man erinnert sich auf eine nostalgische Art und Weise an etwas, das es so nicht mehr gibt und das sich auch so nicht mehr wiederherstellen lässt. Wenn man sich darüber aber im Klaren ist und vor allem mit sich im Reinen ist, dann ist es in Ordnung. Denn ich kann heute wie damals sagen: Ich habe unheimlich viel Spaß und Baldurs Gate I+II und auch der dritte Teil haben für immer einen festen Platz in meinem Videospielherz.

Und außerdem habe ich noch eine Rechnung offen…

                                 “Hast du was gehört?” “Nein, wieso?” “Ich hab einfach ein ungutes Gefühl!”
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