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Alte Liebe – Max Payne 2: The Fall of Max Payne

von am 12. Oktober 2021
 

Lesezeit: 5 MinutenWir schreiben das Jahr 2003, der Videospielmarkt reitet auf der Welle der… Moment, habe ich sowas ähnliches nicht schon mal geschrieben? Genau, Anfang des Jahres habe ich eine vor Nostalgie triefende Retrospektive über Medal of Honor: Allied Assault geschrieben. Und siehe da, das Spiel kam ein Jahr zuvor raus. Könnte es sich hierbei um eine neue Reihe meinerseits handeln, wo ich jedes Jahr meiner Gaming-Jugend anhand eines markanten Titels – hier Max Payne 2: The Fall of Max Payne – darstelle? Das ist keine rhetorische Frage, ich weiß es wirklich nicht. Zur Hölle, ich bin Anfang 30, habe einen Vollzeitjob und mein Hund sitzt hier mit seinen großen Augen und fragt mich anklagend, warum ich schon wieder über Retrospiele schreibe, anstatt mit ihm Gassi zu gehen oder endlich wie ein Erwachsener eine Familie zu gründen? Der Hund weiß, in welche Wunde er drücken muss.

The American Dream

Na ja, wo waren wir? Ach ja! Wir schreiben das Jahr 2003, der Videospielmarkt reitet auf der Welle der Erfolge der vorangegangenen Jahre. Deus Ex, Half Life, Return to Castle Wolfenstein, GTA Vice City oder konsolenexklusive Titel wie Halo oder Metal Gear Solid 2 haben alle dafür gesorgt, dass sich Videospiele aus der klassischen Nerdecke rausbewegen und ein bisschen Mainstreamluft schnuppern durften – was natürlich auch die eine oder andere Kontroverse hervorgerbacht hat.

Vor allem in Deutschland ging die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) drakonisch mit Action- und Horrortiteln um. Neben dem bereits erwähnten Return to Castle Wolfenstein oder Hitman: Codename 47 hat es ebenfalls Remedys Erstling Max Payne aus dem Jahre 2001 erwischt. Ja, ich weiß, die haben Death Ralley einige Jahre zuvor veröffentlicht, aber niemand, wirklich niemand erinnert sich an diesen Titel. Max Payne wurde glücklicher- und überraschenderweise im Jahre 2012 vom Index genommen – wahrscheinlich, weil die BPjM sich den Titel nochmal genau angeschaut und gemerkt hat, dass ausdruckslose Gesichter, pixelige Blutspritzer und in bester Michelin-Männchen-Manier umherfliegende Körper den kleinen Thorben nicht dazu verleiten werden, in seiner Schule um sich zu schießen.

Dearest of all my friends

Wir spulen zwei Jahre vor. 2003 war, ähnlich wie 2007, ein verdammt gutes Gaming-Jahr. Wie gut? *Luftholgeräusch* Call of Duty, Beyond Good & Evil, Warcraft 3: Frozen Throne, Prince of Persia: Sands of Time, Silent Hill 3, Simpsons Hit & Run, Advance Wars 2, Knights of the Old Republic, XIII, Command & Conquer: Generals, Legacy of Kain und vor allem Dead or Alive Extreme Beach Volleyball – letzteres habe ich nur mit Chucky zusammengespielt aus Sorge vor dem was passieren würde, wenn er es alleine zockt. Fast jeder dieser Titel hätte eine eigene Retrospektive verdient, doch im Herbst dieses Jahres hat mich ein Spiel persönlich am meisten gefesselt: Max Payne 2: The Fall of Max Payne war auf jeder möglichen Ebene eine massive Verbesserung zum Vorgänger. Fangen wir mit der “Bullet Time” an. Nachdem der Film Matrix 1999 in die Kinos kam, wurde diese von unzähligen Filmen adaptiert oder persifliert – meist mit überschaubarem Unterhaltungswert. Doch auch in der Gamingwelt hat sich diese Technik schnell etabliert. Meiner Recherche zufolge war Max Payne der erste größere Titel, der sich daran versucht hat. In Max Payne 2 wurde diese Technik dann übernommen und an den richtigen Ecken verfeinert, noch nie zuvor sah ein Shootout so stylisch aus (inkl. 360-Slow-Mo-Ladeanimation).

There is no “us” in this

Style ist hier das Stichwort. Die bereits aus dem ersten Teil bekannten Comicstrips, welche als Cutscenes fungiert haben, sahen detaillierter und stylischer aus. Es wurden teilweise die Sprecher ausgewechselt (Mona Sax als markantestes Beispiel) und andere etablierte Sprecher – vor allem Max Payne selbst – sprachen ihre Zeilen weitaus professioneller ins Mikro. Manch einer mag den dadurch verlorenen Camp-Faktor vermissen, doch ich habe es damals wie heute sehr begrüßt. Zumal ich alle drei Teile für diesen Artikel nochmal durchgespielt habe und der Ton vom Erstling doch sehr variiert. Max Payne 2 war, was die Story und die Präsentation anging, um Welten optimierter und homogener. Zwar gab es weiterhin humoristische Elemente, wie die Mission, in der man Vinnie Gognitti im Captain-Baseballbat-Boy-Kostüm beschützen muss., doch ist der grundlegende Ton von Max Payne 2 viel, viel nihilistischer – ich meine mich erinnern zu können, dass es damals in Spielemagazinen als “Shooter-Noir” bezeichnet wurde.

Have no fear, Vlad is here!

Das erhöhte Budget und die dazugewonnene Erfahrung von Remedy selbst sieht man dem Titel an allen Ecken und Enden an. Es gibt mehr animierte Zwischensequenzen, die Kamerafahrten sind durchdachter, die Übergänge weicher. Die Münder der Charaktere bewegen sich endlich und die Körperanimationen sind nicht mehr unfreiwillig komisch. Die damals noch taufrische Havok-Engine, welche kurz danach Spiele wie Half Life 2 revolutionieren sollte, hat bereits bei Max Payne 2 ihre Muskeln spielen lassen: Objekte waren auf einmal interaktiv und reagierten realistisch auf Ballistik und Explosionen – eine reine Augenweide. Im Gegensatz zu Teil 1 ist Max’ zweites Abenteuer technisch sehr gut gealtert und kann auch jüngeren Gamern in die Hand gegeben werden. Wobei die sich dann über die fehlende Autospeicherfunktion und den nicht vorhandenen Multiplayer aufregen würden, während sie sich wieder in ihre Komfortzone von “Games-as-a-Service”-Müll und unfertigen AAA-Titeln verkrümeln. Ungelogen, die heutige Gamerlandschaft ist zum Vergessen. Sollte mein hypothetischer Sohn jemals Destiny als Retrotitel bezeichnen, sperr ich ihn für eine Woche mit einer Kopie von Redneck Rampage und einem 12-Pack Monster Energy auf den Dachboden. Ähm… ich schweife schon wieder ab.

Firing a gun is a binary choice

Wo waren wir? Ach ja, damals, als alles besser war. Natürlich ist das nicht ganz wahr. Die vorhin erwähnte fehlende Autospeicherfunktion hat mehr als ein Mal dafür gesorgt, dass ich fluchend in meine Maus gebissen habe. Denn wenn Maximus Paynington dann doch mal in Gras beißt – und das ist bei dem Schwierigkeitsgrad nicht selten der Fall – wird man direkt zum Beginn der Mission katapultiert. Es gab Momente, in den ich die F5-Taste häufiger als die linke Maustaste gedrückt habe. Zudem gibt es weiterhin einige Frustmomente, in denen man trotz aller Vorbereitung Schaden nimmt und eventuell dieser Schaden das nächste Feuergefecht vorentscheidet, da die snipermäßige Zielgenauigkeit der K.I. aus dem ersten Teil nur marginal nach unten geschraubt wurde. Dumm blieben die Typen trotzdem. Frustrierend waren ebenfalls die Missionen, in denen man Mona Sax – die Femme Fatale schlechthin – spielt. Grundlegend eine schöne Abwechslung, doch die Parts, bei denen man Max Feuerschutz geben muss und er trotzdem ins Feuer läuft und dadurch stirbt sind auf jeden Fall Stoff für eine Anti-Aggressionstherapie.

That old familiar feeling

Doch wie gut ist die Story gealtert? Sehr gut… und weniger gut. Die Geschichte um Max war nach dem ersten Teil quasi zu Ende erzählt, doch haben die Schreiberlinge es sehr clever hinbekommen, eine zweite, viel komplexere Story zusammenzukriegen. Freunde werden zu Feinden, Feinde zu Komplizen etc. Es gibt ein paar Twists, die den Spieler kalt erwischen und andere, die clever in die vorangegangenen Szenen und Missionen integriert wurden und erst beim zweiten Durchlauf auffallen. Einige Charaktermotivationen sind nicht wirklich logisch und einzelne Dialoge (“It ends here” – “I’m afraid it has only begun”) wurden aus der tiefsten Klischeekiste rausgekramt. Doch auch hier liegen Welten zwischen dem ersten und den zweiten Teil. Bestimmt ist dem einen oder anderen bis hierhin aufgefallen, dass ich nicht ein Mal über Max Payne 3 gesprochen habe. Das liegt erstens an den großen zeitlichen Abstand zwischen den beiden Titeln (Teil 3 kam erst 2012 raus) und zweitens wurde es direkt von Rockstar Vancouver entwickelt und passt weder tonal noch vom Stil zu den älteren Spielen. Das Gameplay ist aber weiterhin fantastisch, alleine dafür kann ich es empfehlen.

Fazit

Okay, machen wir hier mal den Deckel drauf. Macht Max Payne 2: The Fall of Max Payne heute noch Spaß? Verdammt, ja! Ist es uneingeschränkt zu empfehlen? Auf jeden Fall! Ist es perfekt? Absolut nicht! Selbst mit meiner blutgetränkten Nostalgiebrille kann ich nicht über einige Schnitzer hinwegsehen. Doch ist nichts davon ein Dealbreaker und Wiederkehrer sowie Neulinge werden ihren Spaß mit diesem – viel zu kurzen! – Shooter haben. Er ist unterhaltsam, ergreifend, einzigartig und eure Zeit allemal wert.

So, genug geschrieben. Der Hund wartet schon seit geraumer Zeit und wird mir unterwegs noch weitere Lebenstipps geben wollen.

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