Gods will be watching, Cyberpunk, Shadowrun
+ wundervoller Soundtrack
+ geniale Dialoge
+ kunstvolles Cyberpunk-Abenteuer
- Minispiele sind wirklich rudimentär
- mit vier bis fünf Stunden Spieldauer sehr kurz gehalten
- Spiel wird phasenweise zum Transportmittel einer politischen Agenda instrumentalisiert
"The Red Strings Club" ist eigentlich ein wunderbares Cyberpunk-Adventure, das nicht nur durch detailreiche Pixelkunst, lebendige Dialoge und einen genialen Soundtrack zu überzeugen weiß.
Misst man dieses Spiel allerdings an der selbst von ihm konstruierten Fragestellung, hält es dieser nicht stand. So bleibt man nach fünf Stunden Spielzeit mit dem Gefühl zurück, dass die Überlieferung einer bestimmten politischen Agenda teils deutlich über der Konzeption eines kohärenten Spielerlebnisses stand.
Lesezeit: 4 Minuten
Ich war schon immer ein großer Fan des Cyberpunk-Genres und mit nun fast 20 Jahren Shadowrun-Erfahrung auf dem Buckel, habe ich zum Release von The Red Strings Club keine Sekunde gezögert und mich sofort auf Devolvers neues Pixel-Rollenspiel gestürzt. Meine Erwartungen waren recht hoch, denn immerhin hatte ich bereits mit Gods will be watching, das ebenfalls von Deconstructeam entwickelt wurde, eine Menge Spaß. Was konnte also schiefgehen?
Pixelart meets Cyberpunk
Wer ein Faible für Pixelart und Cyberpunk hat, der wird The Red Strings Club schnell lieben lernen. Grafisch präsentiert sich das Spiel in einem Mix aus dystopischen Szenerien und regnerischen Kulissen, die mit allerhand Chrom, Noir-Beats und Neon aufpoliert werden. Einer der Hauptspielplätze ist der “Red Strings Club”, eine kleine Bar, in der ihr in die Rolle des Barkeepers Donovan schlüpft. Als eines Abends die schwer beschädigte Androidin Akara in eure Bar stolpert, kommt Donovans und das Leben seines Partners Brandeis ziemlich durcheinander. Ehe sie sich versehen, befinden sich die Beiden im Zentrum eines dunklen Konzernplots, der über nicht weniger als das Schicksal der Menschheit entscheiden wird. Von hier an werdet ihr für die nächsten fünf Stunden in ein düsteres Rollenspiel eintauchen, das sich nicht vor der Thematisierung komplexer Motive und der Infragestellung gängiger Moralvorstellungen scheut.
Empathie aus dem Glas
Dabei wird The Red Strings Club in aller erster Linie durch zwei Komponenten getragen: Dem verdichteten und authentischen Schreibstil und den genialen Synth-Noir Soundtrack. Die Dialoge, von denen es unzählige gibt, sind zudem einfach brillant und wenn Donovan sich mit einer kühlen Anwältin über Firmengeheimnisse unterhält, dann hat man tatsächlich das Gefühl, dass es sich hier um den Mitschnitt eines real geführten Dialogs handelt. The Red Strings Club präsentiert eine derart glaubwürdige Sprachführung, wie ich sie seit Jahren in keinem vergleichbaren Titel gesehen habe. Die Charaktere entwickeln in nur wenigen Dialogboxen ihr eigenes Leben und binnen weniger Minuten formen sich handfeste Eindrücke, die einem auch nach dem Schließen des Spiels noch in Erinnerung bleiben. Kein Zufall, wie ich finde, denn The Red Strings Club belohnt den aufmerksamen Leser. In einem der vier enthaltenen Minispiele gilt es mittels speziellen Kombinationen von Spirituosen einen Drink zu konzipieren, der jeweils eine korrespondierende Emotion im Konsumenten ansteuert. Schafft ihr es also, dass euer Gegenüber in einen Zustand des Selbstzweifels fällt, ist es mitunter leichter Fragestellungen anzubringen, die dieses Gefühl bewusst ansprechen. Paart ihr also den richtigen Emotionscocktail mit den richtigen Fragestellungen und habt zudem auf gewisse vorherige Andeutungen geachtet, werdet ihr mitunter auf recht redselige Charaktere stoßen, von denen Einige durchaus interessante Informationen für den weiteren Spielverlauf preisgeben können.
Phasenweise hoch philosophisch
Phasenweise hat dieses Spiel etwas hoch Philosophisches gehabt und ich erwischte mich, wie ich mir dachte: “Huh, stimmt. So hab ich das noch gar nicht gesehen.” Eigentlich ein sehr schönes Gefühl, wenn Spiele etwas derart Anregendes liefern können. Beispielsweise seid ihr zu Beginn des Spiels in einer Implantatklinik unterwegs und müsst euch um die Sorgen der zu behandelnden Patienten kümmern. Das geschieht aber nicht etwa durch ein Gespräch oder durch eine Pille, sondern vielmehr durch den Einbau maßgeschneiderter Bio-Implantate, die die Kontrolle über euren Stoffwechsel oder andere Körperfunktionen übernehmen. Einer der Fälle und hier nun eine kleine Spoiler-Warnung, behandelte einen Patienten, der mit all der Hate-Speech im Internet und den Kommentarspalten nicht klar kam. Gar kein Problem! Setzen wir uns also gewissermaßen an den High-Tech-Töpfertisch und basteln ein Implantat, das dem Patienten einen virtuellen Safe-Space verschafft. Kurze Zeit später taucht der Patient wieder auf und siehe da – es hat nicht geholfen! Nun fühle er sich vollkommen losgelöst von der Realität und kann diese als solche in ihrer tatsächlichen Form nicht länger greifen. Das Ausblenden oder gar Blocken aller negativen Inhalte führte letztlich nicht zur Mehrung des persönlichen Glücks unseres Patienten. In Momenten wie diesem fand ich unheimlichen Gefallen an dem Spiel und verzieh ihm sogar die teils wirklich rudimentär gehaltenen “Spiele”, die es euch in der Regel immer einmal mehr als eigentlich gewollt, spielen lässt.
The Red Strings Club scheitert an sich selbst
Was sich hier eigentlich als positiver Gesamteindruck verorten ließe, ist leider durch einen groben Widerspruch getrübt. Eine der zentralen Fragestellungen von The Red Strings Club ist die Frage nach der Legitimität von Emotions- und Gedankenkontrolle zur Erschaffung einer besseren Gesellschaft. Was ist der Preis für eine Welt frei von Gewalt, Unterdrückung und Hass? Sollten wir Anders- oder besser: Falsch-denkende zwingen, sich unserem Wertesystem mittels Gedanken- und Emotionskontrolle zu unterwerfen? Der erste Reflex ist vermutlich ein “Nein”. Nur warum bekomme ich dann immer noch nicht das Gefühl aus mir, dass The Red Strings Club genau das über einen Zeitraum von fünf Stunden mit mir versuchte?
Mit fortschreitendem Spielverlauf hatte ich zunehmend den Eindruck, dass sich dieses Spiel von einem anregenden und philosophischen Lehrstück, in ein zunehmend von politischen Agenden geprägtes Stück Software entwickelte. Anfangs fiel es mir gar nicht weiter auf und ich habe die Homosexualität des Hautpcharakters Donovan einfach nur zur Kenntnis genommen. Ist das nun relevant für die Story? Ich behielt es im Hinterkopf, “vielleicht wird es ja an anderer Stelle noch einmal thematisiert”, dachte ich mir. Spätestens aber, als der dritte Gast die Bar verließ und ich alles über Strap-Ons und die Vorteile biochemischer Geschlechtsumwandlungen gelesen hatte, wurde es mir zu viel. Was hat das alles mit der eigentlichen Story zu tun?! Ich weiß es nicht und spätestens hier interessierte es mich auch nicht mehr genug. Immer stärker hatte ich den Eindruck, dass hier mit dem Holzhammer bestimmte politische Leitmotive verkauft werden sollten und das zerstörte die für mich bis dahin geschaffene Atmosphäre komplett. Eigentlich schade, denn wären diese Thematiken mit einer ähnlichen Sorgfalt und Tiefe eingeflochten worden, wie manch anderer Dialog, dann hätte ich diesem Spiel nun nicht besagten Bruch anzukreiden.
Rückblickend wirkt es fast schon ironisch, dass The Red Strings Club die Gefahren der Auswüchse erzwungener Verhaltens- und Wertesysteme thematisiert. Vielleicht war das aber auch der eigentliche Plot-Twist.