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Ihr wollt eine riesige Welt erkunden? Taktische, rundenbasierte Kämpfe bestreiten? Rätsel lösen und Mysterien aufklären und natürlich allerhand Dämonenviehzeug und Untote direkt zurück in die Hölle befördern während ihr quirligen und skurrilen Charakteren zur Hand geht? Falls ja, dann ist das von den Larian Studios entwickelte und von Daedalic Entertainment mitpublizierte Divinity Original Sin genau das Richtige für euch.
Wichtig zu erwähnen ist hier auch, dass Divinity Original Sin ohne die Unterstützung von mehr als 19.000 Kickstarter Backern wohl nicht zustande gekommen wäre. In einer erfolgreichen Kampagne wurde 2013 etwas mehr als doppelt soviel wie benötigt eingesammelt und obwohl sich das finale Erscheinen des Spiels doch weiter verzögert hatte als ursprünglich angegeben, war das Spiel bei Steam schon längere Zeit als Early Access erhältlich. Sehr positiv ist mir (während ich die Entwicklung mitverfolgte) zudem aufgefallen, dass Larian Studios nach deutlicher Kritik der Community an der hypersexualisierten Darstellung der Rüstung der weiblichen Charaktere diese verändert und angepasst hat.
Komplexe Charakterentwicklung: Check
Bevor es losgeht erstellen wir unsere beiden Hauptfiguren – richtig, wir spielen Koop-Helden, und im Verlauf des Spiels können wir noch zwei weitere Personen in unsere Gruppe rekrutieren und nach Belieben auch auswechseln. Voreingestellt sind Scarlett und Roderick, aber man kann hier freie Veränderungen vornehmen und stattdessen auch mit zwei weiblichen oder zwei männlichen Charakteren losziehen. Während die Auswahlmöglichkeiten was das reine Design des Charakters angeht begrenzt sind, kann man aus einer Vielzahl verschiedener Klassen (11!) wählen. Einige Wahlmöglichkeiten machen dabei vor allen Dingen den Beginn des Spieles einfacher als andere, weil sie von Anfang an direkt über mehr nützliche Zauber und Fähigkeiten verfügen, die zusätzliche Möglichkeiten zur Problemlösung eröffnen. Andererseits ist die Klassenwahl im Endeffekt auch nur bedingt wichtig, da man im Verlauf des Spieles theoretisch alle möglichen Charaktereigenschaften und Fähigkeiten erlernen kann. Wenn man allerdings von Anfang an weiß, was man will ist es doch einfacher.
Die Charakterentwicklung ist dabei ziemlich komplex. Zum Einen kriegt man pro Levelaufstieg Attributspunkte, die man auf die Haupteigenschaften Stärke, Intelligenz, Beweglichkeit, Konstitution, Geschwindigkeit und Wahrnehmung verteilen kann. Hinzu kommen noch Fähigkeitenpunkte, die es auf Eigenschaften wie Schlösser knacken, Zweihandwaffen, Rüstungen, Telekinese und Pyrokinese – um nur ein paar Beispiele der insgesamt 27 Möglichkeiten zu nennen – zu verteilen gilt. Und dann gibt es noch Talentpunkte, die es in bestimmten Abständen ebenfalls zum Levelaufstieg gibt und die die Fähigkeiten weiter ausbauen können. Auch hier gibt es satte 45 Möglichkeiten, die einen am Anfang des Spieles doch ein klein wenig überfordern, denn die Möglichkeiten hier etwas falsch zu machen, sind genauso groß wie die Möglichkeiten Dinge zu optimieren. Je nachdem, wo also der persönliche Fokus beim Spielen liegt, ist es unter Umständen nicht verkehrt sich da ein bisschen in die Charakterentwicklung und Fähigkeiten einzulesen, bevor man loslegt. Vor allen Dingen da es dann ja auch noch in Gesprächen während des Spieles gilt den Charakter weiter auszubauen, je nach Entscheidung für eine Antwort sind wir zum Beispiel dreist oder vorsichtig, was dann Einfluss auf unsere Initiative oder unser Schleichverhalten hat.
Große Spielwelt, lange Spielzeit, ISO-Perspektive: Check
Angegeben wurde für Divinity Original Sin eine Spielzeit von insgesamt etwa 50 Stunden. Das glaube ich auch sofort. Ich habe bisher laut Steam noch nicht ganz die Hälfte dieser Spielzeit erreicht und eigentlich nicht viel mehr als die Stadt Cyseal und das Gebiet ringsherum erkundet.
Leider erscheint die in ISO-Perspektive erlebte Welt zum Teil relativ Detailarm wenn man nah heranzoomt, selbst bei höchsten Grafikeinstellungen; von weiter weg betrachtet bietet es aber eine sehr schön in Szene gesetzte Fantasiewelt, mit atmosphärischer Umgebung und schöner Physik. Auch das Gegnerdesign ist vielfältig – aufgrund der Möglichkeiten, die die fantatische Welt von Rivellon erlaubt, war das allerdings nicht anders zu erwarten. Da gibt es zum Beispiel Untote (auch Hunde), Spreng-Kobolde, einfach nur menschliche Schergen und diverses Dämonenvolk, die uns im Weg stehen.
Umfangreiche Quests mit mehreren Lösungswegen: Check
Kommen wir also zur Handlung von Divinity: Original Sin. Zugegeben, ganz neu ist die präsentierte Geschichte nicht, aber dennoch gut in Szene gesetzt, auch wenn die Erzählweise am Anfang etwas schleppend ist. Wir sind als sogenannten “Quellenjäger” (in Englisch Sourcehunter) unterwegs, um bösartige Magie bzw. ihre Ausüber aufzuspüren und zu vernichten. Unser Weg führt uns in die Stadt Cyseal, um den Mord an Ratsherrn Jake aufzuklären; war es seine goldgräberische Frau, die im Keller ein blutiges Messer sowie das Buch “der perfekte Mord” zu liegen hat, oder vielleicht ihr Liebhaber, der in einem Gedicht vom Tod des Gatten fabuliert? Oder am Ende vielleicht jemand ganz anderes? Diese Frage gilt es zunächst einmal zu klären.
Quasi nebenbei stolpern wir aber über unsere eigentliche Geschichte: Nämlich, (wie könnte es auch anders sein) das Ende der Welt zu stoppen, und zwar an keinem anderen Ort als am “Ende der Zeit”, wo ein etwas verrückter Imp durch ein Fernrohr schaut und das Ende beobachtet, während die Weberin die unterschiedlichen Fäden der Zeit zusammenspinnt, die die Geschichte der Welt ausmachen. Und natürlich können nur wir es aufhalten, da wir als einzige Personen (unsere eigene Herkunft und Geschichte wird im Verlauf der Handlung nach und nach enthüllt und ich werde hier nicht mehr darüber verraten) überhaupt nicht in den Fäden der Weberin auftauchen und damit eben etwas verändern können. Wie gesagt, neu ist das eigentlich nicht, aber sehr schön atmosphärisch inszeniert und ausgeschmückt und durchaus interessant, auch wenn es gerade am Anfang etwas schwer in Gang kommt.
Aber was wäre ein echtes RPG ohne Nebenaufgaben? Genau: Langweilig und viel zu kurz. Also gilt es zahlreichen anderen Leuten, von normal bis quirlig skurril zu helfen. So spielen wir zum Beispiel Amor für Katzen (ja, mit den richtigen Fähigkeiten kann man auch mit Tieren sprechen, was sich als durchaus nützlich erweisen kann) oder bekommen die Aufgabe für einen zunächst sehr freundlich aussehenden alten Herren einen Mord zu begehen, damit er seine Sammlung an Ork-Amuletten vervollständigen kann. Schön ist dabei, dass man all diese Missionen auf vielfältige Weise lösen kann. So müssen wir die freundliche Orkin Viktoria, die als Kind vom mittlerweile fast tauben Bürgermeister adoptiert wurde, und jetzt die Bibliothek leitet, keinesfalls tatsächlich töten, um an ihr Amulett zu kommen. Auch wenn das natürlich ebenfalls eine valide Option ist.
Entscheidungen mit Konsequenzen: Check
Unsere Entscheidungen und Taten in Rivellon haben Konsequenzen. Manche schwerwiegender als andere, aber dennoch oft spürbar. Wenn wir irgendwo einbrechen oder jemanden bestehlen und dabei erwischt werden (der Versuch reicht oft auch schon), dann will zwar nicht plötzlich die ganze Stadt unseren Kopf – dafür sind Quellenjäger in der von Untoten und Orks bedrohten Region zu wichtig als Kämpfer, vermute ich – aber unser Ansehen bei den Personen sinkt, sodass sie uns im Verlauf des Spieles weitaus weniger hilfreich zur Seite stehen oder man beim Handel mit ihnen Abstriche machen muss. Von solchen Bagatellen abgesehen, gibt es auch noch andere Entscheidungen die es mitunter zu treffen gilt: manche über Leben und Tod, und wenn sich da unsere Helden untereinander (wir entscheiden das aber selbst) oder im Dialog mit NPCs nicht einig sind, dann wird so eine Leben oder Tod-Entscheidung schon mal via Schnick, Schnack, Schnuck gelöst. Man kann das von der KI direkt ausknobeln lassen, aber es ist irgendwie spannender wenn man selbst mitbestimmt ob Stein, Schere oder Papier ins Rennen geschickt werden. Bereits der Ladeschirm warnt: Mord in der Öffentlichkeit wird ebenfalls Konsequenzen haben. Welche das genau sind, habe ich nicht ausprobiert, aber man wird es wohl mit der “Legion” zu tun bekommen, die in der Regel dafür da sind für Recht, Ordnung und Verteidigung zu sorgen. Ob man das wirklich will ist fraglich.
Der Soundtrack ist wirklich, wirklich gut. Kampfgeräusche und Interaktionen sind ebenfalls passend vertont. Einzig ein paar mehr der aktiven Dialoge hätte ich mir ebenfalls vollvertont gewünscht, da es doch manchmal ganz schön viel Text ist – und dabei habe ich das Spiel schon auf Englisch gespielt (gar nicht wirklich bewusst, aber da Steam bei mir auf Englisch läuft hat es das Spiel automatisch auf Englisch installiert). Ich betone das auch deshalb, da die Vertonung auf Deutsch spärlicher bzw. für so nebenher mitgehörte Äußerungen von NPCs ebenfalls Englisch sein soll, was aber vielleicht noch nachträglich gepatched werden könnte.
Rundenbasierte, taktische Kämpfe: Check
Genau wie die Questlösungen, so vielfältig sind auch unsere Optionen im Kampf. Zum Einen können wir einfach auf pure Gewalt setzen und mit unseren vier Begleitern einfach munter drauflos prügeln (oder zaubern), oder wir nutzen die Umgebung zu unserem Vorteil. Mit dem Teleportationszauber lassen wir herumstehende Giftfässer über unseren Feinden herabstürzen, oder vielleicht ein Ölfass, dass wir als nächstes mit einem Feuerzauber entzünden. Oder wir schießen Blitze auf eine Regenpfütze bei den Gegnern, frieren im Regen den Gegner mit Eiszaubern ein, oder verwandeln den Grund unter ihnen in eine Rutschbahn. Die Möglichkeiten sind wirklich vielfältig, besonders wenn man ein oder zwei Zauberer in seiner Gruppe dabei hat – was ich jedem auch nur wärmstens Empfehlen kann, zumal man sich dann auch mit Heilzaubern heilen oder Feuer mit Regen löschen kann. Alles sehr, sehr nützlich. Manche Kampfsituationen sind dabei schon von Beginn an einfacher als andere, aber mit ein bisschen Witz und der richtigen Taktik war bisher alles zu schaffen und mehr als fair. Unfaire oder zu schwere Situationen sind mir bisher eigentlich nicht begegnet.
Fazit: RPG nach alter Schule mit kleinen Mängeln
Generell ist Divinitiy: Original Sin definitiv gelungen und unterhaltsam; zumal ich sehr vom Kampfsystem angetan war (und das obwohl ich eigentlich kein Fan von rundenbasierten Kämpfen bin, sondern direkte Aktion bevorzuge). Ein paar kleinere Mängel sind allerdings doch noch zu nennen. Die Charaktere bewegen sich manchmal etwas behäbig und das Einsetzen von Skills ist ebenfalls im ersten Moment etwas schwergängig, dafür ist aber die Steuerung im Kampf an sich aber intuitiv und gut gemacht. Die meisten Rätsel mit denen man konfrontiert wird, sind gut zu lösen, einige wenige erfordern allerdings eher eine Trial and Error-Herangehensweise, wenn man nicht auf eine der Lösungen im Internet zurückgreifen möchte. Auch hätte ich mir gewünscht, dass man die Option haben könnte Dinge mit denen man interagieren kann, etwas besser hervorzuheben, da man gerade am Anfang so doch oft einige Möglichkeiten die das Spiel bietet schlicht übersieht. Negativ aufgefallen ist mir vor allen Dingen das Inventar, dem eine ordentliche Kategorisierung der Gegenstände und dann das Sortieren wirklich gut getan hätte. Auch ein Crafting-System gibt es, das vor allen Dingen die Experimentierfreudigen belohnt, denn man kann die unterschiedlichen Zutaten relativ frei kombinieren und mitunter erstaunliche Resultate erzielen. Die Hauptgeschichte kommt ebenfalls etwas langsam in Gang (genau wie die Charaktere, haha), aber die vielen Nebenmissionen und der skurrile Humor einiger Charaktere, beziehungsweise die mitunter dazugehörige Situationskomik lassen darüber hinwegsehen. Interessant ist sicher auch die Option, das Spiel im Koop-Modus durchzuspielen (was bei Entscheidungen zur Charakterentwicklung sicherlich spannender ist als wenn man allein die Entscheidungen für beide Hauptcharaktere trifft) und im Editor weitere Missionen und Kampagnen erstellen, die, so vermute ich jedenfalls, auch über Steam Works mit anderen geteilt werden können.