Wolfenstein, Shootern, guten Spielen
+ tiefgründige Story
+ exzellente Shooter-Mechanik
+ hohes Spieltempo
+ tollte Charaktere
+ viele Nebenaufgaben
+ hoher Wiederspielwert
- gelegentliche Soundaussetzer
- Distriktmissionen könnten abwechslungsreicher sein
Dieser Titel ist ein Must-Buy für jeden, der irgendwas mit Shootern anfangen kann. Story, Mechanik, Grafik, Atmosphäre - hier stimmt einfach alles.
Lesezeit: 4 MinutenNach dem allenfalls mittelmäßigen Reboot im Jahre 2009 brachte das junge schwedische Studio Machine Games vor gut drei Jahren mit Wolfenstein: The New Order einen der besten Singleplayer-Shooter der letzten Jahre raus. Abstruse Story, astreines Gameplay, Töten von Nazis – für Jeden war was dabei. Nach der ebenfalls sehr unterhaltsamen Stand-Alone-Erweiterung The Old Blood kommt nun der ersehnte Nachfolger raus. Ob Wolfenstein II: The New Colossus den hohen Erwartungen gerecht wird, erfahrt ihr in den nächsten Zeilen.
Auf in die zweite Runde
„Nicht wie der metallene Gigant von griechischem Ruhm,
Mit sieghaften Gliedern gespreizt von Land zu Land.
Hier an unserem meerumspülten hesperischen Tore soll stehen
Eine mächtige Frau mit Fackel, deren Flamme der eingefangene Blitzstrahl ist”
Das sind die ersten Zeilen des Sonetts “The New Colossus”, welches sich auf einer Bronzetafel im Inneren der Freiheitsstatue von Manhattan befindet. Im Jahre 1961 dieses alternativen Universums steht die Freiheitsstatue nicht mehr, Manhattan wurde durch eine Atombombe vernichtet und das Regime hat den zweiten Weltkrieg gewonnen. Am Ende von Wolfenstein: The New Order hat es unser Held B.J. Blazkowicz geschafft, den wahnsinnigen “Doktor Totenkopf” zu erledigen, doch der Kampf hat seinen Tribut gefordert: nach monatelangem Koma erwacht unser Lieblingsnazischlächter und kann sich zu Beginn lediglich im Rollstuhl bewegen. Angeführt von der abartig bösen Obergruppenführerin Irene Engel hat das Regime die geheime Basis des Widerstands entdeckt und holt zum Gegenschlag aus. B.J., auch liebevoll “Terror-Billy” genannt, muss schnellstens wieder auf die Beine kommen und seine Nazijagd fortsetzen, bevor alle Hoffnung verflogen ist.
Eine der großen Stärken von The New Order war neben der exzellenten Shootermechanik die Story, sowie die Dynamik zwischen den leicht überzeichneten, aber dennoch glaubwürdigen Charakteren. Diese Stärke baut The New Colossus weiter aus und schafft es beispielsweise, dass das frühe Schicksal eines Verbündeten den Spieler wirklich trifft und ihm dadurch die Motivation gibt, noch entschlossener gegen das Regime vorzugehen. Auch befindet man sich zwischen den Haupt- und Nebenmissionen auf der Hammerfaust, ein im ersten Teil geklautes U-Boot, welches als Hauptquartier dient. Dort kann man nach Laune kleine Aufgaben erledigen, mit den Waffen üben oder einfach den Leuten zuhören – was man auf jeden Fall tun sollte, die meisten der Dialoge zaubern einem ein Lächeln ins Gesicht.
Im starken Kontrast zu dieser Leichtigkeit stehen die Tiefschläge in die Magengegend in Form von B.J.‘s Vergangenheit. Unser Held durchlebt in mehreren Rückblenden seine schwere Kindheit und wird mit einigen verdrängten Wahrheiten konfrontiert. Diese Flashbacks fügen sich perfekt in die Hauptstory hinein und wirken zu keinem Zeitpunkt aufgesetzt. Im Gegenteil – zum ersten Mal in über 20 Jahren seiner Existenz wird aus Blazkowicz ein tiefgründiger Charakter. Bei einer Serie, in der es primär um das Wegpusten von Nazis geht, ist das alleine schon eine bemerkenswerte Leistung und hebt The New Colossus qualitativ von der Konkurrenz ab.
Schießen wie ein Gentleman
Doch warum rede ich die ganze Zeit von der Story? Ist das nicht ein Shooter? Na klar: Und was für einer! Hier kracht es ordentlich, die Waffen haben alle ausnahmslos Punch und sorgen auf verschiedenste Art und Weise dafür, dass Fritz und Co. nicht in offenen Särgen beerdigt werden können. Die Akimbo-Mechanik aus dem Vorgänger wurde auch wieder übernommen und verbessert: man kann nun frei wählen, welche beiden Waffen man gleichzeitig nutzen möchte. Der Nachteil an diesem System ist allerdings, dass in der Hitze des Gefechts das Wechseln etwas umständlich sein kann. Natürlich kann man auch in vielen Levels (zumindest am Anfang) schleichend vorgehen. Auf Grund des recht hohen Schwierigkeitsgrades ist diese Vorgehensweise sogar häufig zu empfehlen. Doch der Spaß liegt in den offenen Gefechten. Von Deckung zu Deckung hüpfen, den Feind umkreisen und wild ballernd durch die Reihen gehen – das Spieltempo ist enorm hoch und adrenalinfördernd, zu keinem Zeitpunkt wird dem Spieler langweilig.
Auch kommt das Perk-System aus den beiden Vorgängern hier wieder zum Einsatz. Allerdings sammelt Blazkowicz keine Skillpunkte und kann sie frei verteilen. Vielmehr wird die bevorzugte Spielweise direkt verbessert. Auch wenn einige Perks keinen großen Vorteil erzeugen, motiviert es dennoch enorm, alle Fähigkeiten zu optimieren, was wiederum den Spieler dazu zwingt, Situationen auf verschiedene Arten anzugehen. Später erhält B.J. sogar Kampfmods, die unter anderem dafür sorgen, dass er gewisse Areale auf anderen Wegen erreichen kann. Und natürlich können auch alle Waffen mit diversen Mods verbessert werden – die Anti-Panzerkugeln vom Sturmgewehr zum Beispiel sind überlebenswichtig! Und wenn das schon nicht genug ist, gibt es nebenbei noch haufenweise Collectibles in Form von Karten, Goldfiguren, Briefen etc., sodass es sich absolut lohnt, die teilweise sehr weitläufigen Stages zu erkunden.
Gotta shoot ’em all!
Neben der Hauptstory und den kleinen Nebenmissionen kann man auch durch das Knacken von Enigmacodes – diese erhält man von getöteten Kommandanten – in ganz neue Distrikte reisen. Dort angekommen, muss man in der Regel hochrangige Offiziere eliminieren – bestenfalls in Stealth-Manier. Was anfangs eine spaßige Abwechslung zur Hauptgeschichte ist, entpuppt sich aber schnell als recht monotone Angelegenheit. Hier wäre viel mehr drin gewesen. Lediglich der letzte Auftrag ist was ganz Besonderes – was genau, verrate ich natürlich nicht.
Technisch lässt sich Wolfenstein II: The New Colossus nicht lumpen: Dank der neuen idTech 6 Engine übertrifft es den Vorgänger bei weitem, aufploppende Texturen gehören (größtenteils) der Vergangenheit an. Auch sind die Animationen und Effekte viel detailreicher – das Spiel ist trotz einiger trister Designs ein Augenschmaus. Auch weiß die deutsche Synchronisation zu gefallen… wenn sie nicht zwischendurch einen Aussetzer hat und überhaupt nicht mehr lippensynchron ist. Ärgerlich ist auch, dass man in der deutschen Version nicht zwischen den Sprachausgaben wählen kann. Das ist allerdings wohl auch auf die Anpassung der deutschen Version zurückzuführen.
“Bis vier zählen, einatmen, bis vier zählen, ausatmen”
Gibt es noch mehr zu meckern? Ganz ehrlich gesagt: nein. Mit Wolfenstein II: The New Colossus liefern Machine Games und Bethesda den besten Shooter, wenn nicht sogar das beste Spiel des Jahres ab. Bis auf ein paar Schnitzer, die dem Gesamtpaket keinen Abbruch tun, wird hier ein großartiger Old-School-Shooter präsentiert, welcher zugleich viel tiefgründiger und emotionaler ist, als er es eigentlich sein dürfte. Wer den ersten Teil mochte, muss hier zugreifen. Wer überhaupt First-Person-Shootern was abgewinnen kann, darf auch keinen Bogen um die beste Nazi-Wegballer-Simulation der letzten Jahre machen.