Lesezeit: 8 MinutenZehn Jahre sind eine lange Zeit. Zehn Jahre mussten Fans auf die Rückkehr von Garrett dem Meisterdieb warten. Nun ist unser lieblings Plünderer erneut aus dem Schatten getreten und macht, was er am besten kann: Von den Reichen stehlen und … es in seine eigene Jackentasche stecken. Seit 1998 haben die bereits erschienenen drei Teile die Messlatte im Stealth-Genre hoch angesetzt und mit THIEF muss Eidos Montreal nun zeigen, ob Garrett noch einmal zur Höchstform auflaufen kann, oder sich doch besser im Dunkeln der Regale verstecken sollte.
Bisher hat die Presse den Titel nicht gerade mit Lohrbeeren überhäuft. Eines kann ich bereits vorweg nehmen, es gibt dafür gute Gründe. Dennoch ist Thief bei weitem nicht so schlecht, wie es geredet wird. Wir haben Wertsachen erbeutet, Geheimnisse gelüftet, uns in der Stadt verlaufen und sind einigen Bösewichtern in die Quere gekommen, um euch in unserem Handbuch für Langfinger einen Überblick zu verschaffen.
Amnesie vernebelt unseren Geist: Was ist denn hier plötzlich los?
Alles hätte so schön und einfach sein können, wir schleichen uns an Wachen vorbei, durch dunkle Gassen und brechen leise in das Gebäude ein, um diese komische Veranstaltung des feinen Herrn Barons für unsere Zwecke zu nutzen. Mit dabei ist unsere etwas pampige und aggressive Gefährtin Erin, die unserer Meinung nach noch einiges zu lernen hat. Ihre Lektion lernt sie allerdings etwas überraschend, als sie urplötzlich in die Tiefe stürzt und wir kein Lebenszeichen mehr von ihr erhalten. Selbst nach einem Jahr kann sich Garrett an fast gar nichts mehr erinnern. Seine Stadt hat sich in dieser Zeit enorm verändert und er hat keine Erinnerung daran, was er in den letzten 12 Monaten eigentlich so gemacht hat. Die Menschen leiden an einer geheimnisvollen Krankheit, der Baron hat seine Wachen überall auf Patrouille und wir mittendrin. Hinzu kommen “Visionen” aus dem Jenseits, mit Nachrichten, die uns Erin sendet. Doch die Botschaft müssen wir selbst erst einmal entschlüsseln.
Ah, ein Brieföffner … und eine Gabel
Garrett ist ein Meisterdieb und das zeigt er uns immer wieder. Er weiß, wie man schnell Schlösser knackt, Lichtquellen umgeht, Geheimtüren findet und Wachen aus dem Hinterhalt schlafen legt. Er weiß aber auch, dass “Kleinvieh Mist macht” und das muss der Grund sein, warum er in Marnier eines geübten Kleptomanen so ziemlich alles mitgehen lässt, was nicht festgenagelt ist. Problem ist nur, wir finden nicht die gewünschten Schätze, sondern vornehmlich Brieföffner und Gabeln und zwar einfach überall. Okay, Gold ist Gold, aber müsste in einer Stadt, in der die Einwohner gegen Krankheit und Tod kämpfen nicht etwas mehr Vorsicht bei den Wertgegenständen geboten sein? Wer verliert denn einen kleinen Kronleuchter in der hintersten Ecke einer Gasse und warum stehlen Elstern seit neuestem ganze Geldbeutel und nicht mehr glitzernde Objekte? Vielleicht sind die Leute aber auch nur unheimlich clever und verstecken das Zeug so auffällig, damit es schon wieder unauffällig ist. Ich hoffe, es ist letzteres.
Damit wir unsere Taschen vollstopfen können, müssen wir die Dinge erst einmal finden, indem wir uns leise durch die Stadt bewegen und das funktioniert sehr gut. Die Steuerung reagiert schnell und unsere Bewegungen reihen sich flüssig aneinander, egal ob wir geduckt schleichen, über Kisten oder an Fassaden entlang klettern oder von einer Ecke zur anderen hechten. Wir stehen einem Assassinen wie Altair in nichts nach … sofern die Umgebung uns denn lässt. Die auf den ersten Blick offen gestaltene Stadt entpuppt sich recht schnell als lineares Zuhause, in dem der Entwickler bestimmt wo es lang geht und nicht der Spieler. Zwar besteht immer die Möglichkeit aus mehreren Varianten auszuwählen, wenn es um die Fortbewegung zwischen Punkt A und Punkt B geht, aber selbst diese sind am Ende vorgegeben. Das ist schade, denn mit unseren Hilfsmitteln und Bewegungsfähigkeiten wäre es ein großer Spaß gewesen, die Stadteile ausführlich zu erkunden. Unser Entdeckerinstinkt trifft aber ein um das andere Mal auf verschlossene Türen und Fenster. Wir sind also im Grunde gar nicht so meisterlich, wie wir eigentlich dachten.
Die recht eingegrenzten Möglichkeiten fordern aber dennoch von uns, dass wir unsere Umgebung gut beobachten und einschätzen müssen. Wer sich im Vorfeld keine Gedanken darüber macht, wie man am besten Licht vermeidet, Glasscherben oder Fallen erkennt und einen Weg über sie hinweg, der landet recht schnell in den Fängen der Stadtwachen. Bei unseren Überlegungen helfen uns vornehmlich unsere Fokusfähigkeit, mit der wir nützliche Objekte und Wege erkennen, und dass wir uns um Ecken lehnen können (vergessen ist auch nicht drin, denn das Spiel erinnert uns laufend an diese Möglichkeit).
Als Dieb aller Diebe ist der Schatten unser Freund und das Licht unser größter Feind. Damit wir nicht wie ein Reh im Scheinwerferlicht stehen, gibt uns Thief einige Hilfsmittel zur Hand, die es uns erleichtern sollen, nicht entdeckt zu werden. Am hilfreichsten ist sicherlich das gelungene Spiel von Licht und Schatten, zusätzlich zeigt uns ein Icon auf dem Bildschirm an, ob wir gesehen werden können oder nicht. Die Entwickler haben sich außerdem Gedanken für einen passenden Einsatz des PS4-Controllers gemacht. Dessen Vorderseite leuchtet nämlich weiß, wenn wir im Licht stehen und blau, wenn wir im Dunkeln sind. Aufmerksame Leser haben hoffentlich bemerkt: Der Controller leuchtet vorne … also dort, wo ich es als Spieler nicht unbedingt sehen kann, wenn ich ihn nicht drehe. Das mag während einer kleinen Pause von Nutzen sein, aber nicht für den Spielfluss.
An das Touchpad wurde ebenfalls gedacht, mit ihm öffnen wir das Inventar. Diese Bedienung wurde im Vorfeld als intuitiv versprochen und ich kann sagen, es ist eine nette Idee, an der Umsetzung hapert es etwas. Zwar versteht jeder gleich, wie es funktioniert, doch man wählt aus Versehen nur zugerne genau die falsche Pfeilart aus, vor allem, wenn es mal schnell gehen sollte. Irgendwie bin ich laufend beim Wasserpfeil gelandet, obwohl ich ganz was anderes nehmen wollte. Vielleicht gehöre ich auch einfach in die Kategorie Grobmotorik, man weiß es nicht.
Es ist nicht alles Gold was glänzt, aber Schmuckstücke findet man überall
Es müsste den meisten bereits aufgefallen sein, Thief ist ein Sammelsurium aus vielen kleinen Fehlern, die sich anhäufen. Dabei tue ich dem Spiel etwas Unrecht, denn man mag es mir glauben oder nicht, ich hatte wirklich Spaß beim Durchspielen. Grund hierfür sind vor allem die Missionen und das Setting. Wenn man sich durch den Nebel schleicht, im städtischen Bordell Geheimtüren findet, sich in einer psychiatrischen Anstalt den eigenen Ängsten stellt, sich Nebenmissionen aus dem Wirthaus holt und einen Schneider bestiehlt während der gerade dem Ärger eines Gesandten des Barons ausgesetzt ist, dann findet man gut designte Orte, die sich schön abwechseln und mir auch abseits der Hauptmission noch zusätzliche Geschichten erzählen.
Dass Garrett ein Meisterdieb und kein Meisterkämpfer ist, zeigt sich in jeder direkten Konfrontation mit den Wachen, die durch die Gassen wandern. Die KI in Thief reagiert auf die kleinsten Geräusche, auf ausgegangenes Feuer und noch schneller auf uns, wenn wir in ihr Sichtfeld geraten. Da wird nicht lange gefragt, sondern sofort auf uns eingedroschen. Stehen wir nur einer Wache gegenüber, ist das kein Problem für uns. Anders sieht es aus, wenn sie als Gruppe oder Duo auftreten, dann haben wir so gut wie keine Chance und uns bleibt nur der letzte Speicherpunkt.
Wer also draufhauen und Action mag, der ist bei Thief an der falschen Stelle. Auch ungeduldige Menschen sollten sich die Anschaffung überlegen. Nicht nur, weil rasches und unüberlegtes Vorgehen unseren Tod bedeuten, sondern weil das Spiel uns fast zu häufig Ladebildschirme anbietet. Die Stadt ist in Bezirke eingeteilt, die wir langsam freischalten, und ein Wechsel zwischen den Bezirken bedeutet warten. Damit alleine hätte ich gut leben können, weniger gut erging es mir bei der laufenden Wiederholung von Animationen: Fenster öffnen – immer dieselbe Animation, durch Kisten und Spalten wandern – selbe Animation, letzter KO-Schlag auf den Gegner – Ach, ihr wisst schon. Auf der anderen Seite wurde das Knacken von Schlössern gut umgesetzt und geht einfach von der Hand. Lobenswert hervorgehoben werden darf auch die Einbindung von kleineren Rätseln in die Handlung. Egal, ob Schiebe-, Hebel-, Schrift- oder Suchaufgaben, sie waren immer abwechslungsreich, moderat und passten zur Situation.
Durch die Zeit mit Thief:
Ich sehe was, was du nicht siehst
Wer die Trailer zum Spiel gesehen hat, war sicherlich von der Grafik nicht unbeeindruckt. Zumindest ging es mir so und als Besitzer einer PS4 bekommt man das Gefühl, da wartet bildlich einiges auf den Spieler. Zum Teil ist das auch so. Die Stimmung in der Stadt ist atmosphärisch und düster, die Krankheit und die Gefahren jederzeit spürbar. Das Spiel von Licht und Schatten ist glaubhaft. Dann wird man plötzlich sehr enttäuscht, wenn eine Zwischensequenz startet: Die Grafik wirkt veraltet, die Gesichter der Charaktere werden zu denen einer Porzellanpuppe, zu glatt und ohne Ausdruck. Eine weitere Auffälligkeit ist, dass Thief leider auch der heutzutage immer noch recht häufig vorkommenden “Feinde sehen alle gleich aus”-Krankheit unterliegt.
Sowohl die englischen, wie auch die deutschen Sprecher der Hauptcharaktere machen ihre Arbeit gut. Bei den NPCs, die durch die Gassen wandern, und den Wachen muss man allerdings große Abstriche machen. Das liegt vor allem daran, dass die Krankheit scheinbar ihren Tribut fordert und aus den Menschen eine Gruppe von einsilbigen und einsätzigen Personen macht. Wenn eine Wache Hunger hat, kann man sicher sein, dass dieser eine Satz uns den kompletten Weg durch die Gasse begleiten wird. Das muss heutzutage nicht mehr sein. Ein großes Problem ist die Soundabmischung. Mal verstehen wir kaum, was Garrett oder eine andere Person sagt und müssen Untertitel einblenden, mal hören wir eine Stimme kilometerweit durch ein Gebäude schreien. Mal nehmen wir die Musik im Hintergrund gar nicht wahr, während wir ein anderes Mal panisch zur Fernbedienung greifen müssen, weil uns der Sound fast Tinitus erleiden lässt. Mir ist in der sechsten Mission während einer Fluchtsituation fast das Herz stehen geblieben so laut wurde auf einmal die Musik.
Fazit – Ein Meisterdieb, der keiner mehr ist?
Das Hauptproblem von Thief ist sicherlich, dass der Release mit sehr hohen Erwartungen von Seiten der Spieler und Presse einher ging und das Spiel diese nicht erfüllen kann. Wenn man ehrlich ist, macht das aber auch gar nichts, denn der Titel hat sehr gute Ansatzpunkte, abwechslungsreiche Missionen, sowie Rätsel, eine düstere Atmosphäre, und ist ein Fest für alle Sammler da draußen. Löst man den vierten Teil von seinen Vorgängern, hat man ein Spiel, das Spaß machen kann. Um den Spaß allerdings zu genießen, sollte man die kleinen Probleme ausblenden können, die in der Summe zu einem recht durchschnittlichem Spiel führen, mit Elementen, die Dishonored besser umgesetzt hat.
Wer sich lieber ein eigenes Bild machen möchte, der kann das Spiel in unserem IKYG-Shop oder bei Amazon bestellen.
So schade!
Ich hatte so Bock auf eine Wiedergeburt! Jetzt werde ich mir wohl doch lieber das Original auf GOG.com holen…