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Die Definition des Wortes “Spiel”

von am 1. Juni 2016
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Lesezeit: 3 MinutenWie ich schon in meiner Review geschrieben habe, fiel es mir sehr schwer, Fragments of Him richtig einzuordnen. Soll das ein Spiel sein? Und wenn ja, zu welchem Genre gehört es? Ich habe es dann lediglich als narratives Drama bezeichnet, aber ein Drama ist nichts anderes als ein Schauspiel und genau so habe ich Fragments of Him dann auch gesehen. Aber es handelt sich eben nicht nur um einen Film, oder ein Hörspiel. Es war mehr als das, aber nicht genug um in meinen Augen als Spiel zu gelten. Diese Frage hat mich nicht lockergelassen und deshalb habe ich mich auf die Suche nach einer geltenden Definition des Begriffs “Spiel” gemacht. Und ich wurde fündig. Allerdings fand ich nicht nur eine Definition, sondern unzählige und jede davon legte ihren Schwerpunkt auf unterschiedliche Aspekte.

Wikipedia sagt beispielsweise, ein Spiel sei “eine Tätigkeit, die zum Vergnügen, zur Entspannung, allein aus Freude an ihrer Ausübung, aber auch als Beruf ausgeführt werden kann (Theaterspiel, Sportspiel, Violinspiel). Es ist eine Beschäftigung, die oft in Gemeinschaft mit anderen vorgenommen wird.“.

Das hat mich nicht zufriedengestellt. Denn wenn man dieser Definition Glauben schenken dürfte, würde ich essen auch dazuzählen und mir wurde beigebracht, dass man mit Essen nicht spielt. Also habe ich mich weiter auf die Suche gemacht und stolperte über die Internetseite der Deutschen Spieleautorentagung. Und die müssen wissen, was Spiel ist und was nicht. Das ist schließlich ihr Job!

Diplombiologe Henning Poehl konnte auf der Seite allerdings auch keine richtige Antwort auf meine Frage geben. Er zitiert sogar Gisela Wegener-Spöhring, die sagt: “Eine allgemein gültige Definition des Begriffs Spiel hat sich bis heute nicht finden lassen. So ist es Konsens, den Spielbegriff über einer Reihe von Struktur- und Verhaltensmerkmalen zu beschreiben …..

Ich ritt mit meiner Suche nach einer Definition also gegen Windmühlen an. Wenn der Spielbegriff nicht eindeutig definiert war, konnte Fragments of Him also auch eines sein. Allerdings konnte dann alles ein Spiel sein und da kommen Salen und Zimmerman ins Spiel (kein beabsichtigter Wortwitz). Die beiden haben nämlich in ihrem Werk Rules of Play mehrere Definitionen des Wortes miteinander verglichen und besondere Merkmale, die häufig zu finden sind, herausselektiert. Wenn es also keine eindeutige Definition gibt, dann doch zumindest einige Attribute, die eine Tätigkeit erfüllen muss, um als Spiel zu gelten. Zusammengefasst ergibt sich daraus:

Ein Spiel ist ein System in dem sich Spieler mit einem künstlichen, durch Regeln festgelegten, Konflikt beschäftigen, der auf ein quantitativ bestimmbares Ergebnis hinausläuft.

Bröseln wir das mal auseinander:

  1. Ein Spiel ist ein System.
  2. Es muss einen Spieler geben.
  3. Es bedarf eines Konfliktes, der künstlich durch Regeln festgelegt wird.
  4. Der Zweck eines Spiels ist ein quantitativ bestimmbares Ergebnis.

Wenden wir diese vier Attribute doch einmal auf besagtes Videospiel an. Fragments of Him ist ohne Frage ein System. Wir haben einen vorgegebenen Rahmen, in dem wir uns bewegen und aus dem wir nicht ausbrechen können. Spieler? Vorhanden. Der Konflikt, von dem in diesem Kontext die Rede ist, ist das Voranschreiten in der Geschichte. Um voranzuschreiten, müssen wir die richtigen Objekte anklicken, woraufhin die nächste Szene getriggert wird. Auch diesen Punkt erfüllt Fragments of Him , wenn auch nur so gerade eben. Doch kann Fragments of Him ein Spiel sein, obwohl es den vierten Punkt nicht erfüllt? Es gibt kein Ergebnis. Nicht einmal Achievements. Das “Spiel” erfüllt keinen Zweck und besitzt schon gar kein bestimmbares Ergebnis.
Ich persönlich denke, dass es keine richtige Antwort auf diese Frage gibt. Der verstorbene Roger Ebert sagte einmal:

One obvious difference between art and games is that you can win a game. It has rules, points, objectives, and an outcome. Santiago might cite a immersive game without points or rules, but I would say then it ceases to be a game and becomes a representation of a story, a novel, a play, dance, a film. Those are things you cannot win; you can only experience them.” (www.rogerebert.com)

Übersetzt sagt er:
Ein offensichtlicher Unterschied zwischen Kunst und Spielen ist, dass man ein Spiel gewinnen kann. Es hat Regeln, Punkte, Ziele und ein Endergebnis. Santiago könnte noch immersive Spiele ohne Punkte und Regeln anbringen, allerdings würde ich sagen, ist es kein Spiel mehr und wird mehr zur Repräsentation einer Geschichte, eines Romans, eines Schauspiels, eines Tanzes, eines Filmes. Diese Dinge kann man nicht gewinnen, man kann sie nur erleben.

Und in gewisser Hinsicht muss ich Ebert zustimmen. Videospiele sind keine Kunst. Videospiele sind ein Aggregat aus allen Kunstformen. Ein Zeichner erschafft Szenerien und lässt sie mithilfe von Computertechnik real werden, ein Komponist komponiert Soundtracks, die mittlerweile auf der ganzen Welt in großen Symphoniehallen gespielt werden, ein Autor schreibt die Geschichten, die uns so mitreißen und zu denen wir Theorien und Interpretationen schreiben. Nein, man kann Fragments of Him nicht gewinnen und vielleicht ist es deshalb kein richtiges Videospiel, aber schlussendlich ist es doch eigentlich egal. Eine prätentiöse Diskussion darüber, was Spiel ist und was nicht, wird nie zu einem Ergebnis führen. Wir leben in einer Zeit, in der Videospiele uns ebenso sehr Freude bereiten und uns berühren können wie Filme, Romane und all die anderen Kunstformen. Es bedarf keines Zwecks, denn durch die Freude allein werden Spiele zum Selbstzweck und dann kann Fragments of Him alles sein.

Kommentare
 
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  • Turbolu
    1. Juni 2016 at 13:45

    Ich habe mir damals nach “The Beginner’s Guide” sehr ähnliche Gedanken gemacht. Tolles Spiel-Dings übrigens. Sollte man mal machen

    Man interagiert in diesen “Walking Simulators” weniger mit der Umwelt, als diese mit einem selbst interagiert. Also wie bei einem Theaterstück, Kinofilm oder ähnlichem. Von der Immersion her ist es aber eher so, als ob man über die Bühne oder das Set läuft und irgendwie mitten drin steckt. Zudem geht das ganze nur weiter, wenn man selbst weitergeht. Der Film läuft weiter. Ob man zuschaut oder nicht.
    Ich glaube auf die Frage gibt es einfach keine befriedigende, allgemein gültige Antwort. Eher verschwimmen die Grenzen zwischen diesen Medien immer mehr, so dass jeder selbst entscheiden muss, wie man das ganze wahr nimmt.
    Für mich definiert sich das Medium Videospiel allerdings vor allem durch die Interaktivität, die irgendwo doch im Mittelpunkt steht.


  • MonkeyHead
    1. Juni 2016 at 14:28

    Ich sehe das im Grunde ähnlich wie Turbo. Für mich bedeutet Spiel, egal ob Videospiel, Brettspiel oder das spielen mit Lego, eine interaktive Auseinandersetzung mit einer entweder selbsterdachten oder stellenweise vorgegebenen Welt die gewissen Regeln folgt. Diese können entweder schon vorgegeben sein oder entwickeln sich durch die Interaktion des/der Spieler im Spiele-Universum.


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