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Tales from the Pad – Unverbrauchte Luft

von am 14. Juli 2017
 

Lesezeit: 4 MinutenAh! Was für ein wundervoller Morgen! Die Sonne geht auf über dem Gletscher hinter den schneebedeckten Bergen. Die Wiese zu meinen Füßen leuchtet saftig grün auf, nicht weit von mir entfernt grasen ein paar Woll-Nashörner am Flußufer. Auf der anderen Seite des glitzernden Flusslaufes lauert ein hungriger Säbelzahntiger. Ich umklammere meinen Speer, schaue nach rechts und sattle auf meinen Narbenbären auf.

Warum ich seit seinem Erscheinen immer wieder meine Xbox One mit Far Cry Primal starte?
Weil mir das Setting so gut gefällt. Nicht weil es besonders ausgefallen ist, auch wenn ich die Idee, einen Ego-Shooter in die graue Vorzeit zu stecken wirklich mutig finde. Nein. Es ist vielmehr, dass das Setting als solches, so gänzlich unabgenutzt ist. Moderne Shooter spielen immer in einer nahen Zukunft, sind bis unter die Hutkrempe vollgestopft mit Waffen, von denen man als Spieler hofft, dass sie in der Realität besser nicht erfunden werden oder bedienen sich historischer Szenarien, wie dem Wilden Westen. An einen Titel, der mit seinem Setting Freudenrufe bei mir auslöste, kann ich mich in den letzten Jahren nicht erinnern.

Das Third-Person-Shooter-Genre war da in den letzten Jahren mutiger.
Ich gebe zu, dass Far Cry Primal keine wirklichen Gameplay-Revolutionen hatte, sich hier und da anfühlt, als würde man Assassin’s Creed oder Red Dead Redemption spielen, aber diese ganze Welt ist einfach faszinierend anders. Als wäre man auf einem anderen Planeten. Alleine die Tatsache, dass die wirklich mächtigen Berge im Hintergrund noch von Gletschern überragt werden, ringt mir jedes Mal dieses “Oooohhh”-Gefühl ab. Dann kämpfen zwei Höhlenbären unter dem Felsvorsprung miteinander, weil sie beide die selbe Herde Tapire verfolgt haben. Einfach wunderbar.

Manchmal fege ich auch auf meinem mir treu ergebenen Säbelzahntiger durch den urzeitlichen Wald, entdecke eine sonnendurchflutete Lichtung, halte inne, steige ab und genieße einfach nur den Anblick der Natur. Fremdartig und vertraut zugleich. Um mich herum wabert das Leben. Insekten schwirren um ein paar Blumen herum, aus dem Wald dringen fremdartige Laute von Tieren, denen ich zuvor nie begegnet bin. Und trotz all’ dieser Lebendigkeit der Spielwelt, ist alles sonderbar still. Denn es fehlt an allem, was sonst so in Spielen die Realität auf erschreckende Weise portraitiert: Autos, Häuser, Menschen, Lärm.

Und dann stehe ich einfach da im Dickicht dieses urzeitlichen Waldes und sehe mich um. Manchmal fliege ich auch einfach ein paar Runden mit meiner Eule über eben jene Lichtung und schaue, was es sonst noch zu entdecken gibt. Und das Einzige was mich in meinem “Natur-Modus” stören kann, sind zufällig vorbeistratzende Gegner. Wie die Neandertaler die gerne mal durch eine schöne Szenerie latschen.
Es ist dieses Fehlen von altbekanntem. So – ich weiß, der Vergleich hinkt ein wenig – aber als würde man Videospielurlaub machen. Wenn man in der Realität wegfährt, fährt man ja auch nicht an einen Ort, der möglichst genau so ist, wie der von dem Urlaub machen möchte. Videospielurlaub eben. Urlaub von den anderen Games, die ich sonst so spiele: Mario Kart 8, Forza Horizon 3, State of Decay oder andere hektische, brutale, laute und knifflige Dinge.

Überhaupt ist mir in Ego-Shootern die Hektik in den letzten Jahren wirklich auf den Pinsel gegangen. Ich erinnere mich gut an die guten alten 2000er. Da haben Ego-Shooter noch im Zweiten Weltkrieg gespielt und man hat gefühlt jedes Wochenende an einer anderen Frontlinie gekämpft: den Ardennen, der Normandie, an den Brückenköpfen des Rheins, im Pazifik, hinter feindlichen Linien und drang in Nazi-Deutschland ein. Das waren noch Zeiten. Man schoss nicht mit Computer-gesteuerten Nano-Transzeptoren-Gewehren um die Ecke oder durch Wände, sprang nicht mit Nano-Anzügen oder Powergloves durch die Level und flog auch nicht wie verrückt über die Map. Das war noch Handarbeit! Hurra! Da musste man nach einem Schuss das Repetier-Gewehr durchladen. Und Granaten gab es nur in Größen wie eine 1-Liter-Wasserflasche!

Ich sage nicht, dass damals alles besser war. Aber Vieles war einfacher. Für einen “alternden” Gamer, der nicht mehr mit dem Pacing der heutigen Shooter mitkommt, war das die goldene Ära der Ego-Shooter. Das einzige Problem damals war das Setting. Medal of Honor, Call of Duty und Battlefield wetteiferten damals um die Gunst der Spieler, nutzen so jedoch das Setting des Zweiten Weltkrieges so schnell ab, dass man irgendwann aufstöhnte, wenn ein neuer Teil einer Reihe angekündigt wurde.

Heute würde ich eine Menge für einen neuen Shooter in diesem Setting geben. Zum Glück kommt nach Battlefield 1, dass mich mit der Waffen- und Geschwindigkeits-Akkuratesse nicht wirklich überzeugen konnte, ja nun ein neuer Teil von Call of Duty, der sich den zweiten Weltkrieg zur Brust nimmt. Fast schon ein Wunder, denn dieses Setting hat inzwischen einen Dornröschen-Schlaf von beinahe einem Jahrzehnt hinter sich. Höchste Eisenbahn es wach zu küssen, finde ich.

Ich bin weitergezogen im Land Oros und bin inzwischen an einer ziemlich mächtigen Steinwand weit empor geklettert. Die Nachmittags-Sonne leuchtet den Felsen sehr gut aus und unter mir öffnet sich eine weite Ebene. Ein See liegt direkt unter mir am Fuße des Berges. Von hier aus, sieht er nicht so aus, als wäre er viel größer als eine Pfütze aber ich weiß, dass er in der Lage wäre, mich aufzufangen. Die Luft ist erfüllt von Tierrufen aller Art und irgendwo kreist ein nicht ganz ungefährlicher Adler, der mich piesackt. Und doch spüre ich hier an diesem Ort auf der riesigen Map des Spieles die beiden Dinge, die mich immer wieder zu Far Cry Primal führen:

  1. das unverbrauchte Setting mit seinen urzeitlichen Lebewesen und Pflanzen und der rauen und wilden Natur
  2. die magische Ruhe die von all’ dem Fehlen der Errungenschaften unserer Zivilisation ausgeht

Machmal brauche ich das einfach:
Virtuelle Ruhe und Abgeschiedenheit.

Bis mir der Adler zu sehr auf den Zwirn geht und ich mit einem beherzten Sprung in den kleinen See – im wahrsten Sinne des Wortes – abtauche.

Artikel der Rubrik “Kommentare” sind persönliche und subjektive Meinungsäußerungen unserer Redakteure. Darin geäußerte Meinungen geben nicht unbedingt die Meinung von IKYG oder der Redaktion wieder.
Kommentare
 
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  • 18. Juli 2017 at 13:35

    Das sind dieselben Symptome wie bei mir. Habe ich früher noch das erste Team Fortress mit Begeisterung gespielt, ist mir heute alles zu modern und hektisch. Da finde ich mich auch immer wieder in ruhigeren Gefilden. Sei es nun in Form von Strategiespielen oder sogar Simulatoren. Hektik war gestern. Obwohl ich mich als WW2-Settingfan auch wie verrückt auf COD-WWII freue.


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