Non-Reviews
4 Kommentare

Tales from the Pad – Dicke Augen

von am 15. Oktober 2017
 

Lesezeit: 4 MinutenWann habt ihr das letzte Mal “zu viel” gezockt? Also zu lange, zu intensiv? Oder eigentlich exzessiv. Dass man mal in der Hitze des Gefechtes vergisst sich was Anständiges zu Essen zu machen oder den Drang auf die Toilette zu gehen so lange wie nur irgendwie möglich versucht zu ignorieren, weil der Kampf mit Wemauchimmer gerade so spannend ist… Aber habt ihr mal so lange vor der Konsole gesessen, dass eure Augen feuerrot sind und – zumindest gefühlt – aus euren Augenhöhlen hervortreten?

Ein merkwürdiges Thema, das gebe ich zu, aber eines, dass mich beschäftigt.
Ich meine all’ diese Dinge:
Nicht auf’s Klo gehen zu können, weil man gerade einen unfassbaren Killstreak hat. Zu vergessen, sich etwas zu essen zu machen, weil man den eigenen Hunger gar nicht bemerkt oder einfach gerade die Spielsession nicht durch die Zubereitung eines Mahls unterbrechen möchte.

Solche Sachen begleiten ambitionierte und leidenschaftliche ZockerInnen ihr ganzes Leben. Schätze ich zumindest. Ich kann ja eigentlich nur für 28 Jahre sprechen. Und hätte man mir vor zehn Jahren erzählt, dass ich mit 36 Jahren noch bis zur totalen Erschöpfung meiner Augen spielen würde, hätte ich das mit Sicherheit verneint. “Wie absurd! Ich bin doch keine 20 mehr!”

Stimmt. Ich bin keine 20 Jahre mehr alt, aber auch heute noch schaffen es Spiele, mich so zu fesseln, dass ich alles um mich herum vergesse. Es kommt zwar nicht mehr so häufig vor, aber wenn es mich packt, dann ist es intensiv und ein wenig anarchisch. Dann wird nur schnell PAUSE gedrückt um den Ofen einzuschalten und direkt weiter gezockt, nur um dann eine halbe Stunde später zu realisieren “Ich sollte vielleicht mal die Pizza in den Ofen legen, sonst wird das vermutlich nix.” Pizza rein, zurück ans Gamepad. Zum Glück sind Tiefkühl-Pizzen ja recht aromatisch beim Garprozess. Die Nase warnt mich also vor, bevor das Backgut zu einem Klumpen Kohle wird. Die Pizza kommt dann doch etwas überreif auf den Teller und in Sichtweite auf den Wohnzimmertisch. Idealer Weise zwischen Gamepad und TV-Gerät, damit man die Real-Life-Quest “Pizza essen” immer vor Augen hat. Zocken und Essen. Eine tödliche Kombi für die Jeanshose, die noch mehr Hüftgold (bei Frauen) und Plauzenplatin (bei Männern) bitterböse bestraft.

Ich gehe jetzt mal davon aus, dass sich der/die Eine oder Andere hier wiedererkannt hat.
Das passiert mir in letzter Zeit wieder häufiger. Das hat zum Einen mit dem stetig wachsenden “Pile of Shame” zu tun, zum Anderen aber damit, dass ich derzeit eine Reihe von Spielen habe, die mich wirklich ans Gamepad fesseln. Kleine Auswahl gefällig?
The Legend of Zelda: Breath of the Wild, FIFA 18, Horizon: Zero Dawn und Alienation.

Und gerade Letzteres hat schon mehrere Male zu dem “Dicke Augen”-Symptom geführt.
Das eindrucksvollste Ergebnis habe ich zusammen mit zwei Freunden erzielt. Bei einer sehr intensiven und sehr langen Zockernacht in Düsseldorf. Eigentlich haben wir alles Mögliche an jenem Abend gespielt. Aber Alienation haben wir gesuchtet! Wer das Spiel nicht kennt, hier mal ein Trailer:

Zu dritt in diesem Getümmel zu bestehen, hat seine Tücken und Finessen. Denn wir konnten das Spiel – einmal begonnen – nicht mehr abbrechen. Zwei von uns hatten sich mit einem Profil auf der PS4 angemeldet, der Dritte im Bunde, war als Gast eingestiegen und damit wäre jeder Levelaufstieg seiner Spielfiguren mit einem Spielwechsel oder gar einem Konsolen-Wechsel hinüber gewesen. All’ die schönen Waffen und Erweiterungen, die wir Welle für Welle und Alien für Alien mit Blut und Schweiss erkauft hatten. Ich kann gar nicht sagen, wie oft wir ins virtuelle Gras gebissen haben und uns Horden überrannt haben. Diese Horden werden in den unmöglichsten Situationen getriggert und sind jedes Mal so hart, dass man ihnen nur mit Mühe und Not und mit Aufbietung aller Items, Fähigkeiten und vor allem Munition entkommen kann. Und nur, wenn man sich Rücken an Rücken positioniert und nicht aufhört zu feuern.

In diesen Momenten blinzelt man nicht. Geht einfach nicht. Vom kleinen Zeh bis in die Haarspitze ist alles angespannt und man feuert, auf der letzten Rille laufend, aus allen Rohren. Ist der Kampf überstanden, muss man gefallene Kameraden wiederbeleben, durchladen, Items einsammeln, blinzeln und durchatmen. Die Intensität des Spiels ist in Horden-Momenten, die mit einem durchdringenden Alarmton und einem blutroten Schriftzug auch direkt ein Stresskatalysator. Natürlich gefolgt von einem enormen Endorphin-Schub, wenn man das Ganze überstanden hat. So muss sich ein Fußballspieler beim Elfmeter fühlen.

Das ist natürlich kein echter Stress, der Leib und Leben bedroht, aber eben Stress für die Augen. Und in unserem Fall haben wir das glaube ich für drei, vielleicht sogar vier Stunden so arg getrieben. Die Müdigkeit war einfach kein ausreichender Impuls, um das Spiel zu beenden. Aber eine Raucher-Pause unseres dritten Mannes brachte Klarheit. Wir standen auf der Terrasse und genosssen die frische Luft. Bis wir einander ansehen. Jeder von uns sah in etwa so aus:

Nichts für zarte Gemüter 😉

Als wir realisierten, dass wir aussahen, als hätten wir gerade eine Tonne Zwiebeln geschält und geschnitten, war es Zeit den Controller für diesen Tag nicht mehr in die Hand zu nehmen. Ich musste unweigerlich an den Spruch denken, den Kinder sicher seit Jahrzehnten zu hören bekommen: “Guck nicht so viel Fernsehen, sonst kriegst du viereckige Augen!”
Gut. Viereckig wurden sie nicht. Aber dick und rot und sie tränten wie verrückt.

Warum wir uns das antun? Weil es monströs Spaß gemacht hat!
Und darum werde ich auch weiterhin, Essens- und Pinkelpausen-Verzögerungen hinnehmen. Und dicke Augen!

Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht?
Welche “Immersions”-Probleme habt ihr so in eurem Zockleben schon hingenommen?
Und für welche seid ihr inzwischen “zu alt”? Oder könnt ihr das gar nicht nachempfinden?
Freue mich auf eure Kommentare.

Kommentare
 
Kommentiere »

 
  • MonkeyHead
    15. Oktober 2017 at 19:58

    Ich habe eine Abneigung dagegen, wenn gesagt wird, der oder die ist kein richtiger Gamer. Aber wer sich bei diesem Text nicht angesprochen fühlt, ist zumindest kein so leidenschaftlicher Spieler. Oder wahrscheinlich hat die Person ihr Leben nur besser im Griff.

    Bei mir ist es dann in extremen Fällen so, dass ich meine Augen auf den Bildschirm gerichtet halten muss, da mich ein Blick nach links oder rechts sofort müde werden lässt. Und das darf doch nicht sein. Schließlich muss doch „nur noch“ dieses eine Level oder der eine Boss dranglauben. Und nach dem Sieg will man sich ja auch noch belohnen, also wenigstens noch kurz gucken, was mich da als nächstes erwartet. Und so geht es weiter.


  • 15. Oktober 2017 at 20:26

    Ein Teufelskreis.
    “Nur noch das hier fertig machen” und “dann kurz mal schauen, was danach kommt”


  • staygold
    15. Oktober 2017 at 21:03

    Total War – “nur noch diese eine Runde… oh es ist 4 Uhr morgens.”


  • emontie
    16. Oktober 2017 at 15:46

    Bei mir ist das mittlerweile auch nicht mehr so schlimm wie in meiner Jugendzeit. Damals als man Freitag nach der Schule sich an den PC setzte, CS bzw. die anderen Verdächtigen auf den Konsolen startete und gefühlte 30 Minuten später, die Kaffeemaschine in der Küche anfing zu gluckern. Man aus den Zimmer schaute und Mutti fragte warum man so früh wach ist. 🙂
    Mittlerweile können das nur noch wenige Spiele wie Daniel schon sagte, mich an das Display fesseln, aber die sind auch die Highlights….


Du musst eingeloggt sein zum kommentieren