Lesezeit: 4 MinutenPokémon ist tatsächlich ein modernes Phänomen. Während der aktuellste Ableger Pokémon Go, Handy-Vertrag- und Powerbank-Anbieter Freudentränen in die Augen schießen lässt, ist ein Teil unserer Crew dabei bei der Gruga-Park-Poké-Liga auf klassiche Weise unsere Ehre zu verteidigen. Zeit genug also das Phänomen Pokémon noch mal kurz Revue passieren zu lassen.
Die Regel von der Ausnahme
Wisst ihr Leute, viele Menschen fragen mich: “Aber Tony, du gutaussehendes Bildnis von einem Mann, du betonst doch immer wieder, wie wenig du mit Japano-RPG’s anfangen kannst. Warum magst du dann Pokémon so sehr?” Worauf ich meistens antworte: “Gut aufgepasst, du nicht verurteilender, objektiv argumentierender und nicht minder attraktiver Fremder.” Und die Antwort ist meistens genauso einfach wie genial. Erstens: Zeit. Und Zweitens: MARKETING.
Lasst mich darauf ein wenig näher eingehen. Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, dass Nintendo es geschafft hat, in einen Markt zu treten, der nur so vor Geld strotzt. Kleine Kinder der Mittelschicht mit viel Zeit und Zugang zum Geld ihrer Eltern. Und meine Güte, haben die Jungs von Big N gelernt diese Kuh zu melken!
Es war einfach alles perfekt. Nicht nur, war das mein erster, wirklich bewusster Kontakt mit japanischem Kulturgut (wenn ich das so nennen darf), es hat auch einfach Alles gestimmt. Ich war im richtigen Alter, im deutschen Fernsehen lief außer gammligen 80er-Jahre Serien (UND GODZILLA) nichts Vernünftiges und da mein großer Bruder mich eh schon mit Videospielen und auch Animes (Dragon Ball) angefixt hatte, bin ich auf den Wagen aufgesprungen wie eine Fliege auf einen halb vergammelten Hamburger.
Die Serie ging dem Ganzen voraus. Sie hatte (für mein 10-jähriges Ich) alles. Identifizierbare Figuren, nette Animationen, (gotta) catchy (’em all) Musik und abgefahrene, schnelle Kämpfe. Sie hat unsere Fantasie angeregt, wir haben uns getroffen, vorgestellt wie es wäre, wenn es Pokémon wirklich gäbe und natürlich zum Grübeln gebracht. Ich meine, warum waren Team Rockets Aktionen immer ein “Schuss in den Ofen”?
Und es hat BOOM gemacht
Dann kam es nämlich endlich. Wir haben schon in der Werbung auf RTL 2 davon gehört und in diversen Zeitschriften davon gelesen. Pokémon Rot und Blau sollten endlich erscheinen. MIND — BLOWN! Wir konnten es nicht fassen! Unsere eigenen Pokémon?! Die wir überall mit hinnehmen konnnten?!? Und auch noch mit unseren Freunden tauschen?!?!!! Vergesst es, wir waren raus. Es war einfach zuuuu krass. Und dann die Entscheidung. Rot oder Blau? Bisasam, Shiggy oder Glumanda? Ein Traum ist in Erfüllung gegangen. Plötzlich waren wir alle Pokémon-Trainer. Auf einmal konnten WIR die Arenaleiter und Team Rocket schlagen. Plötzlich waren WIR der Champion.
Und das lag an diesem einfachen aber genialen Kampfsystem. Ein Grund, weswegen ich Pokémon mag, abgesehen davon dass es mir, wie auch bei Yu-Gi-Oh! später die Grundzüge der Kämpfe durch die Serie vermittelt hat, war, dass es immer alles verständlich und einfach, aber auch herausfordernd gehalten hat. Obwohl die Kämpfe rundenbasiert waren, hatten sie einen Drive und eine (für mich damals) taktische Tiefe, die mich irgendiwe bei der Stange gehalten hat. Ich musste keine besonderen Gegenstände ausrüsten. Es gab drei Dinge: Kämpfen, Items oder Fliehen. Friss oder stirb. Die männlichste Art des Hahnenkampfes.
Das Schere-Stein-Papier System war so rund, dass ich mich gar nicht mit der Mathematik dahinter auseinandergesetzt habe. “Special-Attack, wat für Ding? Hier friss meinen HYPER-STRAHL, du NULL!” Nein, alles war auf meine Erfahrung, meine Intuition und meine Risikobereitschaft gestützt. Und verdammt, tat das gut. Ich erinnere mich noch an einen ganz bestimmten Kampf. Es war der letzte Kampf gegen Gary (ja, ich hab ihn Gary und nicht Arschfurz genannt, so respektvoll war ich damals noch), nach den Top 4. Meine Herren war das ein Adrenalin-Rush!
Der Kampf meines Jahrhunderts
Ich weiß noch, wie mich seine Monster eines nach dem anderen zerflückt hatten. Es war ein langer und erbarmungsloser Kampf. Tage vergingen, und wir beide waren müde ob der Konzentration, die wir aufbringen mussten. Niemand hat sich etwas geschenkt und keiner wollte auch nur einen Schritt zurück machen. Schließlich war es soweit: Nach Jahren der Agonie waren nur noch sein Tauboss, mein Omot und sein Bisaflor übrig. Alle Anderen in meinem Team waren geschlagen, ich war heillos untertrainiert und mein Omot nur irgendwo auf Level 45 oder so. Es war aussichtslos. Aber dann. Der Kampfgeist in diesem Monster war unglaublich. Es hat quasi die Wesen der Pokémon eingeführt, bevor diese eingeführt wurden.
Nach einem blutigen Schlagabtausch mit Garys Bisaflor stand nur noch das angeschlagene Tauboss zwischen mir und dem Titel. Ich glaube ich habe alle Hypertränke und X-Defender die ich gekauft hatte, in diesem Kampf verbraucht. Keine Beleber mehr, nichts. Und dann, nach weiteren drei Tagen (gefühlt) war es geschafft. Fragt mich nicht, wie. Ich hatte das Gefühl, aus einem tiefen Schlaf zu erwachen. Aber Gary war besiegt. Ich war Pokémon-Meister. Mein Stolz wurde nur von meiner Müdigkeit übertoffen und seitdem hatte Omot immer einen festen Platz in meinem Team. Denn ich wusste, jetzt hat meine Reise erst richtig begonnen. Ich mag mich vielleicht nicht mehr ganz genau an alles erinnern. Vielleicht war es auch kein Tauboss. Vielleicht haben wir auch keinen wochenlangen Kampf ausgetragen, der uns beide an die Grenzen unserer Belastbarkeit getrieben hat. Vielleicht übertreibe ich auch gerade ein wenig.. aber eines ist sicher: Einen Eindruck hat er hinterlassen und ich werde niemals dieses tapfere Omot vergessen, welches über seine und meine Grenzen hinausgegangen ist.
Das Ende vom Lied
Ja und ich glaube, das fasst es ziemlich gut zusammen. Ich hatte Zeit, ich war gut eingeführt und es hat mich einfach emotional so gefesselt, dass ich Pokémon als eines der wenigen, oder als einziges reines Japano-RPG, die rundenbasierten Kämpfe und die teils doch flache Story durchgehen haben lasse. Und ich wette, ich bin auch nicht der Einzige, der sich so gefühlt hat. Ja, vielleicht ist ein Final Fantasy immer besser inszeniert. Ja vielleicht kann ein Fire Emblem durch bessere Geschichte und mehr taktische Tiefe andere Leute überzeugen. Aber mein Herz schlägt für die versklavten Wildtiere, die sich ohne mit der Wimper zu zucken für uns in Lebensgefahr stürzen. Und auch wenn ich eventuell ein wenig den Anschluss verloren habe und mittlerweile finde, dass es einfach zu viel wird, mache ich immer wieder gerne einen Abstecher in diese fremde und doch vertraute Welt der Pokémon.
P.S.
Credits und Sources:
Artikelbild: “Red VS Blue” by Ecowallpaper
Galeriebilder: “Pokémon the Origins Red vs Blue” from Heroism; “Pokemon” from fortune.com