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Cupido’s Diary – Videospiele, Emotionen und Call of Duty

von am 20. Januar 2017
 

Lesezeit: 4 MinutenWas, wirklich? Call of Duty? Reitet der Kerl wirklich dieses tote Pferd? In der Tat werde ich zu großen Teilen über das größte Shooter-Franchise aller Zeiten reden, also akzeptiert es einfach und lest den Rest auch noch. Außerdem habt ihr auf den Titel geklickt und seid genauso Schuld daran wie ich.

Bevor ich aber meine analytisch wie künstlerisch hochwertige Rede schwinge, möchte ich anmerken, dass ich kein Problem mit Call of Duty habe. Bis vor einigen Jahren hätte ich mich wohl auch als Fan der ersten Stunde bezeichnet. Ich teile sogar viele tolle Erinnerung mit der Serie. Angefangen im Jahre 2003: damals hat mir der vollkommen verantwortungslose EB-Games-Mitarbeiter die Deluxe Edition vom ersten Teil verkauft. Obwohl ich schon damals einige Weltkriegs-Shooter durchgespielt hatte – hallo Medal of Honor! – war ich vollkommen begeistert von dieser mitreißenden Kampagne, welche ich dutzende Male danach noch durchgespielt habe. Und der Multiplayer gehörte zum Standardrepertoire jeder LAN-Party.

Doch schon mein jugendliches, nicht verbittertes Ich hat sich an einer kleinen Sache gestört: Am Ende der britischen Kampagne, in der man Undercover mit dem unfassbar sympathischen (und immer wieder in der Serie vorkommenden) Captain Price einen deutschen Kreuzer infiltriert und… ähm… Pläne stiehlt? Sprengladungen legt? Hitlers verstecktes Gold entdeckt? Es ist ewig her und es tut nichts zur Sache! Man fliegt jedenfalls missionsgebunden auf und muss sich mit Price an der Seite den Rückweg freischießen. Während der feuchtfröhlichen Kabinenschießerei passiert das Unmögliche: Captain Price stirbt. Einfach so. Sein Tod wird nicht einmal inszeniert, man stolpert eventuell über seine Leiche und verlässt danach das Schiff. Ende der britischen Kampagne. Was zur Hölle?

Tod ohne Sinn und Zweck

Das Bemerkenswerte an der ganzen Sache ist allerdings, dass dieser Tod das einzige Ableben eines NPCs ist, welches mich jemals in der CoD-Serie ansatzweise emotional berührt hat. Im ersten Modern Warfare war ich damals natürlich wie alle anderen geschockt, als man mitten in der Kampagne ins nukleare Gras beißt. Doch der Schock entstand aus der Überraschung und benötigte keine emotionale Investition. Und seitdem versuchen die Macher, solche Momente immer wieder zu verarbeiten. Leider ohne wirklichen Erfolg: die Flughafensequenz in Modern Warfare 2 war albern und die Twists in der Black Ops-Reihe haben sich mit der Subtilität einer Leuchtfackel angekündigt. Und auch im neuesten Teil Infinite Warfare – nebenbei Anwärter für den Titel “dümmster Untertitel 2016” – krepieren meine Kollegen links und rechts von mir, während deren Namen (bis auf E3N) mir bereits eine Stunde später nicht mehr einfallen wollen. Und ich erinnere mich sogar an die Lyrics von Black Hole Sun. Meine Kolumne, meine obskuren Referenzen.

“Was ist nun eigentlich dein Problem?”, fragt ihr euch sicherlich jetzt. Call of Duty war niemals für seine filmreifen Stories bekannt, der Großteil der Spieler kauft die Teile eh nur wegen des Multiplayers. Das ist mir alles bewusst, dennoch ist das keine Entschuldigung. Von Jahr zu Jahr werden diese Spiele rausgebracht, mittlerweile arbeiten drei verschiedene Entwicklerteams im Wechsel um diesen Zyklus überhaupt aufrecht zu erhalten. Es ist ein Franchise geworden, “Fast Food” für den Casual Gamer. Und vielleicht sollte ich nichts mehr von einer Shooterreihe erwarten, welche hoffnungsvoll mit mehr oder minder realistischen Gefechten im zweiten Weltkrieg begann und nun nur noch als Schablone für den modernen Shooter taugt, inklusive Paranoia gegenüber Russen, Moslems und eigentlich jedem, der nicht vor dem Frühstück mindestens viermal vor der amerikanischen Flagge salutiert. Wenn ich also Lust habe, mal wieder in meine Kalte-Kriegs-Fantasien zu flüchten, bietet mir Call of Duty die richtige Kost.

Michael Bay lässt grüßen

All das ist mir bewusst und ich weiß zudem, wie schwer es sein kann, sich regelmäßig eine ansprechende Story aus den Fingern zu saugen. Aber das ist das Problem: die Stories sind ein Witz! Man könnte eine Wagenladung voller AK47s in die Plot-Löcher werfen und problemlos einen M1 Abrahams hinterherschicken. Die Schreiber schaffen es bis heute nicht, fesselnde Charaktere oder eine immersive Welt zu erschaffen, was in Anbetracht der vielen Millionen Activision-Dollar, die sie jedes Mal dafür bekommen schon absurd ist. Und spätestens wenn es zum x-ten Mal in der Kampagne kracht, wird man das Gefühl nicht los, dass bei einer der Explosionen das Skript mit in die Luft geflogen ist.

Das ist eigentlich das, was mich seit Jahren bei den meisten großen Titeln ärgert. Man hat das Budget, die Ressourcen und das Talent. Man nutzt ein interaktives Medium und hat unendlich viele Möglichkeiten und unbegrenztes Potenzial. Der Klient kann im Gegensatz zum Medium Film oder Buch aktiv seine Erfahrung beeinflussen und etwas völlig Neues erschaffen. Wenn man ein Spiel geschickt konzipiert, kann man die Gefühle des Spielers manipulieren und dafür sorgen, dass man sich um seine virtuelle Umwelt sorgt, eine temporäre Bindung zu diesen digitalen Charakteren aufbaut und am Ende Wut, Freude oder auch Trauer empfindet. Aber wozu sollte man das machen? Jagen wir einfach Dinge hoch, dann haben wir genug Material für den Trailer.

Nur ein Gedanke…

Mein Lösungsvorschlag, Activision? Lasst den Singleplayer einfach sein. Selbst der Koop-Zombiemodus ist überladen und  unfokussiert. Macht aus Call of Duty ein reines Multiplayerspiel, wo sich überkoffeinierte Jugendliche und einsame xenophobe Mittvierziger treffen können. Denkt euch jedes Jahr ein neues Szenario aus – warum nicht mal der Wilde Westen? – und legt den Titel für vierzig Euro ins Regal. Und was ist mit den nun arbeitslosen Schreiberlingen? Gönnt den armen Jungs eine Pause und lasst sie zu Kräften kommen. Gebt ihnen Valiant Hearts: The Great War oder Spec Ops: The Lin zum Spielen. Legt ihnen Das Herz der Finsternis auf’s Kopfkissen oder mietet einen Kinosaal und schaut gemeinsam Der schmale Grat. Erlaubt ihnen danach, wirklich atemberaubende Geschichten für Videospiele zu schreiben. Denn davon gibt es wahrlich zu wenige.

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