Lesezeit: 8 MinutenNach einer längeren Pause kehrt nun wieder die Rubrik “Alte Liebe rostet nicht” zurĂĽck. Und dafĂĽr habe ich mir eines meiner absoluten Lieblingsspiele ausgesucht: den Echtzeit-Strategie-Klassiker Total Annihilation von Cavedog Entertainmentaus dem Jahr 1997. Stellt sich nur die Frage, ob es sich auch nach heutigem Verständnis noch so gut spielt wie in den späten 90ern oder ob der Zahn der Zeit doch zu heftig daran genagt hat.
RĂĽcksturz in die 90er
Dass Total Annihilation fĂĽr mich potentiell interessant sein könnte, habe ich schon bei meinem ersten Kontakt mit dem Spiel bemerkt. Ende 1997 war ich auf der Suche nach neuem Gaming-Futter fĂĽr meinen PC. Den hatte ich erst vor knapp einem Jahr bekommen und in der Zwischenzeit hat mich Command & Conquer – Alarmstufe Rot zum Echtzeit-Strategen gemacht. Also war klar, dass ich nach weiteren Genrevertretern Ausschau hielt. Doch welcher sollte der richtige sein? SchlieĂźlich lief aufgrund des Erfolgs der C&C-Reihe die sogenannte “Clone & Conquer Welle”. Haufenweise Spiele wilderten im Bereich des Westwood-Klassikers. Das zeigte auch schon das Cover der PC Games Ausgabe 11/97, die ich mir als Entscheidungshilfe fĂĽr meinen nächsten Einkauf besorgte. Schon die Titelseite sprach von einer “Invasion der Strategiespiele”. Und das war auch mehr als zutreffend. SchlieĂźlich wurden alleine in dieser Ausgabe neben Total Annihilation noch Age of Empires, Akte Europa, Dark Colony, Dark Reign und das Alarmstufe Rot Add-on Vergeltungsschlag getestet. FĂĽr mich als Strategiespieler war das Heft also eine echte Kirmes.
Doch warum hat sich gerade Total Annihilation bei mir durchgesetzt? Gut bewertet wurde schlieĂźlich die Mehrheit der erwähnten Titel. Aber die groĂźflächigen Bilder in der PC Games haben schon mal einen ordentlichen Teil geleistet. Denn das Cavedog-Spiel ist immerhin das erste RTS mit echtem 3D-Terrain. Auch wenn man keine frei schwenkbare Kamera hatte, beeindruckte mich die voll-gerenderte Umgebung mit ihrem “Satellitenbild-Look” sofort. Dazu gab’s noch detaillierte Einheitenmodelle (natĂĽrlich auch in 3D) und selbst auf den Screenshots war zu erkennen, dass die Explosionseffekte alles andere was man bisher so im Strategiegenre gesehen hat durch tolle Beleuchtungseffekte und herumfliegende Schrapnells ĂĽbertrafen.
Nach dem Spielen einer Demo (aus einer Sonderausgabe der guten alten Power Play) und dem Kauf des Spiels, konnte ich mich aber auch selbst davon ĂĽberzeugen, dass Total Annihilation nicht nur aus optischem Blendwerk bestand.
Ein Kampf bis auf die Knochen
Die Hintergrundgeschichte ist recht schnell erklärt, in ihrer Konsequenz aber doch bemerkenswert. Zwei Fraktionen, die ARM und die CORE haben sich darüber zerstritten, ob man das Bewusstsein aller Menschen in Maschinen transferieren sollte, um sie so vor Krankheit, Alter und Leid zu bewahren. Unglücklicherweise tobt der daraus folgende Krieg seit über 4000 Jahren und Diplomatie ist nicht mal mehr eine theoretische Option. Der Feind wird eher als eine Art Krankheit betrachtet, die man ausmerzen muss.
Man beginnt das Spiel auf dem Heimatplaneten der ausgewählten Fraktion, entweder auf dem Waldplanet Empyrrean (ARM) oder der mit Metall ĂĽberzogene Welt Core Prime. In beiden Fällen wehrt ihr die Invasion des Feindes ab und begebt euch auf einen Feldzug der nur mit der namensgebenden “Totalen Vernichtung” der gegnerischen Fraktion enden kann. Eigentlich ist das erst mal ein recht konventioneller Ablauf fĂĽr eine Kampagne. Die Missionen beschränken sich in der Regel auf “Vernichte den Gegner”, “Vernichte Gebäude X” oder “Erobere das Galaxistor … okay und vernichte den Gegner” (ein Galaxistor ist eine Art Stargate zu einem anderen Planeten). Jede Welt bietet dabei eine eigene Art von Landschaft. Von WĂĽste ĂĽber karibische Inselgruppen bis zu Einöden aus Geröll und Lava ist alles dabei. Aus heutiger Sicht wirken die Umgebungen im Spiel zwar recht steril, haben sich aber besser gehalten, als die der meisten Genrekonkurrenten aus derselben Zeit. Ohnehin fĂĽllen recht schnell eure Einheiten und StĂĽtzpunkte das Geschehen mit Leben. Infanterie kommt in der Welt von Total Annihilation ĂĽbrigens nicht vor. Aber egal ob Fahrzeug oder Gebäude, alles wurde nicht nur aus (fĂĽr damalige Verhältnisse) zahlreichen Polygonen aufgebaut und gut animiert, der Spielverlauf bleibt auch nach heutigem Verständnis äuĂźerst dynamisch.
Der simuliert doch!
Das liegt daran, dass Lead Designer Chris Taylor (bekannt nebenbei auch fĂĽr Dungeon Siege und Supreme Commander) bei Total Annihilation einen Spielablauf erzeugen wollte, der weniger auf Regeln als auf Simulation basiert. Klar, KlugscheiĂźer werden jetzt sagen, dass auch Simulationen auf Regel basieren, aber lasst mich das erklären: Bei Command & Conquer und Co. bewegten sich die Einheiten auf quadratischen Feldern und blieben zum Feuern stehen. Dabei verursachte jeder Schuss eine fest vorgegebene Menge an Schaden. Alles also ziemlich statisch. Bei Total Annihilation hingegen bewegen sich die Fahrzeuge komplett frei auf der Karte und können auch während der Fahrt feuern. AuĂźerdem wird die Flugbahn jedes abgefeuerten Projektils berechnet. Im Klartext heiĂźt das: Nur wenn sich Projektil und Ziel zur gleichen Zeit am gleichen Ort befinden, gibt’s auch einen Treffer. Die Regeln sind also nur der Startpunkt fĂĽr den Spielablauf, sie sind nicht selbst der Ablauf. Dadurch ergeben sich interessante taktische Möglichkeiten, weil zum Beispiel Artilleriegeschosse im Bogen auch ĂĽber Hindernisse hinwegfliegen, Raketen oder Lasersalven prallen aber dagegen, treffen dafĂĽr oft besser auf freiem Feld. Und zerstörte Einheiten bleiben sogar als TrĂĽmmer auf dem Schlachtfeld liegen und stellen somit echte Hindernisse dar.
Diese Trümmer kann man von Technikern wieder einsammeln lassen und so wiederverwerten. Denn Metall ist eine der zwei Ressourcen im Spiel. Gewonnen wird sie, indem man Metallextraktoren auf entsprechende Vorkommen baut, oder eben durch das Einsammeln von Trümmern und Felsen. Der zweite Rohstoff ist Energie und kann durch eine Vielzahl von Gebäuden erzeugt werden: Solar-, Wind-, Gezeiten-, Geothermal oder Fusionskraftwerke stehen zur Verfügung. Das Besondere am Wirtschaftssystem ist aber, dass Rohstoffe zwar permanent und unendlich abgebaut werden, aber man nur eine kleine Menge speichern kann. Der Rest verfällt. Somit muss man eine gut funktionierende Wirtschaft aufbauen, bei der sich Einkommen und Ausgaben immer schön die Waage halten. Getätigte Käufe werden im Übrigen nicht sofort bezahlt, vielmehr werden die Kosten nach und nach abgezogen, so lassen sich viele große Bauaufträge gleichzeitig starten.
Das ist auch nötig, denn Total Annihilation setzt systematisch auf einen großen Maßstab. Armeen sind hier viel größer, als man es sonst aus einem RTS gewohnt ist und Artillerie kann (Radaraufklärung vorausgesetzt) oft über drei Viertel oder gar die ganze Karte feuern. Und das, obwohl die Maps für damalige Verhältnisse echt riesig sind. Selbst Atombomben haben hier halbwegs realistische Explosionsradien.
Und auch die Einheitenauswahl ist gigantisch. Die Gesamtzahl der verfĂĽgbaren Fahrzeuge und Gebäude liegt locker im dreistelligen Bereich. Vom Aufklärungsbuggy bis zum Flugzeugträger ist alles dabei. Besondere Wichtigkeit hat aber der “Commander”, gewissermaĂźen euer Alter Ego. Ein kampfkräftiger Roboter, der auch die grundlegendsten Gebäude errichten kann. Wird er aber zerstört, war es das fĂĽr euch, dann habt ihr in jedem Fall verloren.
Ich hätte hier eine To-Do-Liste für dich
Passiert euch das, liegt es aber nicht an der Bedienung. Denn kaum ein anderes Spiel setzt Wegpunkte so meisterlich ein, wie Total Annihilation. Lange Ketten von Arbeitsaufträgen zu verteilen geht flĂĽssig von der Hand und macht auch Sinn. Egal ob Gebäudekonstruktion, Patrouille oder verschieden Angriffsziele fĂĽr die dicke Bertha bestimmen, Vorausplanung macht euch in der Regel das Leben sehr viel einfacher. SchlieĂźlich ist das Gameplay stark auf Strategie und weniger auf Micromanagement ausgelegt. Wer also lieber Einheiten schubsen will, sollte besser beim E-Sport-Urgestein StarCraft bleiben. Muss er aber nicht, denn auch Total Annihilation hat einen tollen Multiplayermodus. Die vielen Einheitentypen erlauben extrem unterschiedliche Strategien, auch weil man schon auf dem ersten Tech-Level Fahrzeuge, Bots, Schiffe und Flugzeuge bauen kann. Leider ist das Balancing aber nicht so ausgewogen wie beim Blizzard-Klassiker. AuĂźerdem ist der mit Abstand coolste Mehrspielerpart seit der Pleite von Cavedog abgeschaltet. Im “Galactic War” konnten Spieler in einem Strategie-MMO gegeneinander antreten. Man entschied sich fĂĽr eine Seite und versuchte auf einer Weltraumkarte möglichst viele Planeten zu erobern. Jeder Planet entsprach dabei einer Karte und die Spieler jeder Seite spielten dabei zusammen, praktisch eine Art Weltraum-Risiko, nur ohne WĂĽrfeln, dafĂĽr mit Echtzeitschlachten!
Unfassbar gut ist ĂĽbrigens auch der Soundtrack des Spiels, eingespielt von einem echten Orchester (1997 selbst fĂĽr GroĂźproduktionen noch sehr ungewöhnlich). Verantwortlich dafĂĽr zeichnet Jeremy Soule, der zum Beispiel die Scores fĂĽr Guild Wars, Elder Scrolls, Secret of Evermore, Mists of Pandaria und Star Wars – Knights of the Old Republic komponiert hat. Toll auch, dass Total Annihilation seine Musik dynamisch einsetzt. In Bauphasen bleibt der Soundtrack ruhig, kommt es zum Kampf wird ein temporeiches StĂĽck angespielt. Auch die Soundeffekte haben sich noch recht gut gehalten. Explosionen klingen markig, Sprachausgabe im Kampf sucht man aber vergeblich. Einheiten geben bei Auswahl und zur Bestätigung von Befehlen nur Geräusche von sich. Das ĂĽbliche Gelaber wie “Jawohl Sir!” oder “Bin auf dem Weg!” entfällt hier also. Eigentlich ist das auch ganz gut so, denn wer auĂźer Blizzard und eventuell noch EA (fĂĽr C&C) kriegt das schon vernĂĽnftig hin?
Gesprochen wird dann aber doch noch etwas, nämlich zwischen den Missionen, und zwar von niemand geringerem als Gert Günther Hoffmann, der langjährigen deutschen Stimme von Sean Connery. Er fungiert als Erzähler, der die Ereignisse schildert wie ein Geschichtslehrer. Interessant dabei, dass man deutliche propagandistische Einfärbungen der Geschichte erkennt. Merkt man aber erst richtig, wenn man mal beide Kampagnen ausprobiert. Da werden nämlich Zusammenhänge immer so dargestellt, dass die eigene Fraktion positiv dabei wegkommt.
Fazit: Eines der besten Echtzeit-Strategiespiele
Klar, Total Annihilation ist gealtert. Das merkt man. Man erkennt noch den Aufwand, der damals betrieben wurde, aber der Zahn der Zeit hat deutlich seine Bissspuren hinterlassen. Dem gegenĂĽber steht jedoch die fantastische Spielbarkeit, ein strategischer Tiefgang, wie man ihn sonst fast nie im Echtzeitgenre findet, ein zeitloser und absolut fantastischer Soundtrack, gigantischer Umfang und eine – auch heute noch – erstaunlich gute Atmosphäre. Dazu hat das Spiel noch die beiden Add-Ons The Core Contingency (Die Core Offensive in Deutschland) und Battle Tactics erhalten. Ersteres zählt wohl zu den besten Add-Ons, die jemals entwickelt wurden, mit vielen neuen Spielelementen (zum Beispiel Hovercrafts und der Möglichkeit komplette StĂĽtzpunkte auf und unter der Meeresoberfläche zu bauen). FĂĽr Echtzeit-Strategen bleibt Total Annihilation also auch heute noch ein echtes Must-Play. Aber auch Rundenstrategen können hier mal einen Blick riskieren. Das langsamere Spieltempo und der Fokus auf strategische Ăśberlegungen machen Total Annihilation auch fĂĽr weniger hektische GemĂĽter interessant.
Ăśbrigens hat Wargaming.net die Marke vor Kurzem gekauft. Interessant daran ist, dass derzeit Chris Taylor fĂĽr das Unternehmen arbeitet. Eventuell steht uns also bald ein echter Nachfolger ins Haus. Ich drĂĽcke auf jeden Fall die Daumen!
Kaufen könnt ihr Total Annihilation über GOG. Da bekommt ihr dann das Commander Pack mit den beiden Addons für gerade mal $ 5,99 komplett ohne DRM, aber leider nur auf Englisch. Lauffähig ist diese Version auf Windows XP, 7 und 8 sowie auf Mac OS X.
Den originalen PC Games Test, den ich am Anfang des Artikels erwähnt habe, findet ihr übrigens hier.