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Live Streams – Wieso? Weshalb? Warum?

von am 30. April 2016
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Lesezeit: 4 MinutenWie ich bereits im letzten Podcast mehr oder weniger subtil immer wieder erwähnt habe, streamt die I KNOW YOUR GAME-Redaktion mittlerweile bei Twitch. Was als kleiner Running-Gag gedacht war, hat sich in meinem persönlichen Umfeld aber zu einer lebhaften Debatte entwickelt. In fast jeder Gesellschaft, in der ich meine unterschwellige Eigenwerbung an den Mann zu bringen versuchte, wurde mir die gleiche Frage gestellt. Warum? Warum nehmen sich Menschen beim Zocken auf und übertragen das Ganze auch noch live im World Wide Web? Und viel wichtiger: Wer guckt sich diese Live Streams überhaupt an? Es war erstaunlich, auf wie viel Skepsis ich bei dem Thema gestoßen bin, nicht nur bei den älteren Generationen, bei denen ab einer gewissen Uhrzeit im Fernsehen damals noch Sendeschluss war, sondern auch bei den sogenannten Digital Natives. Deshalb wollte ich diese Diskussionen nutzen, um meine eigenen Gedanken zu dem Thema zu artikulieren und vielleicht auch für ein wenig Klarheit zu sorgen und ein bisschen mehr Toleranz für das wohl jüngste Unterhaltungsformat unserer Medienlandschaft zu schaffen.

Was ist überhaupt Twitch?

Den meisten von euch wird der Name sicherlich geläufig sein, weshalb es auf den ersten Blick ein wenig überflüssig erscheinen mag, das Format Twitch noch einmal zu erklären, allerdings soll dieser Artikel auch die vollkommen Unwissenden erreichen und vielleicht könnt ihr das hier ja auch den Leuten zeigen, die mit der Streaming-Szene so gar nichts anfangen können. Ich bin schließlich nicht nur Unterhalter, sondern verfolge hier einen enorm wichtigen Bildungsauftrag!
www.twitch.tv ist neben www.hitbox.tv die größte Live-Stream Plattform für Videospiele auf der Welt. Das bedeutet, dass man über diese Webseiten in der Lage ist, Videoübertragungen live ins Internet zu stellen, in denen gezeigt wird, wie man Videospiele spielt. Das klingt zunächst erst einmal banal, allerdings hat sich auf diesen Live-Stream Plattformen ein so großes Publikum gebildet, dass es Personen gibt, die über Spenden und kostenpflichtige Abonnements ihrer eigenen Kanäle so viel Geld verdienen, dass sie damit ihren gesamten Lebensunterhalt bestreiten können.

Ein paar Zahlen zu Twitch:

– Anfang 2014 besaß Twitch circa 45.000.000. Zuschauer (mehr als doppelt so viel wie in 2012)

– Das Durchschnittsalter der Zuschauer liegt bei 21 Jahren

– 68% der Befragten gaben an, weniger Fernsehen zu gucken, um stattdessen Twitch-Kanäle zu verfolgen

– Durchschnittlich konsumiert jeder angemeldete Twitch-User täglich 106 Minuten an Live Streams

Für mehr Zahlen lohnt sich ein Blick in die Twitch Rückblicksbroschüre aus dem Jahr 2013, die auch als Quelle für die oben genannten Zahlen diente.

Wer guckt sich sowas an?

Es lässt sich also schwer leugnen, dass sich Twitch in den letzten Jahren immer größerer Beliebtheit erfreut. Das scheint auch Amazon erkannt zu haben. Das erfolgreiche Unternehmen hat Twitch im Jahr 2014 für knapp eine Milliarde Dollar aufgekauft. Aber woher rührt die große Popularität der Videospiel-Streams? Ein Freund von mir fragte mich vor Kurzem:
„Warum sollte man jemand anderem beim Spielen zugucken? Ist das nicht langweilig? Da würde ich lieber selbst spielen.“
Erst, als ich ihn auf den Fernseher im Raum aufmerksam machte, auf dem gerade ein Fußballspiel übertragen wurde, erkannte er die Ironie hinter seiner Aussage. Worauf ich damit hinaus will: Die berühmtesten Streamer auf Twitch sind Profis in ihren Spielen. Sie vollführen in ihrem Metier Dinge, von denen Amateur-Spieler nur träumen können. Und ob es jetzt ein Lionel Messi ist, der einen Freistoß mit Effet von 30 Metern Entfernung ins linke, untere Eck pfeffert oder ein Mew2King, der in Super Smash Bros. nach 3 Stocks Rückstand ein rasantes Comeback hinlegt und das Match mit einem übrigen Stock und einem perfekt abgepassten Edgeguard per Meteor Smash noch dreht, das spielt keinen Unterschied. Beides benötigt unglaubliche Präzision, Jahre an Training und einen kühlen Kopf in der richtigen Situation. Und beides findet auf seine eigene Art und Weise Bewunderung. Wenn man ein Spiel liebt, dann kann es unglaublich spannend sein, die Profis in ihrem Element zu beobachten.

Aber auch Laien können ein Publikum finden. Und das vergleiche ich dann wiederum gerne mit dem TV Total Turmspringen. Wenn man selbst keine komplexen Manöver hinlegen kann, dann muss die Unterhaltung von woanders kommen. Da zählen dann eben Attribute wie Humor, Charisma und Persönlichkeit. Wenn jemand in seinem Spiel dauernd versagt, aber dabei die richtigen Worte findet, sodass die Zuschauer sich unterhalten fühlen, dann hat diese Person ihren Job als Entertainer richtig gemacht.

Der größte und wichtigste Unterschied zum Fernsehen besteht aber wohl darin, dass Streamer im direkten Kontakt mit ihrem Publikum stehen. Zuschauer können über ein Chatfenster mit ihrem Unterhalter kommunizieren und eine direkte Reaktion erhalten. Dadurch schrumpft die Distanz zwischen Sender und Rezipienten und das ist etwas, wozu Fernsehen nie fähig sein wird. Interaktion sorgt für Intimität und dem Publikum wird das Gefühl vermittelt, dass es am Geschehen direkt teilnimmt. Mittendrin statt nur dabei ist die Devise.

Und warum macht man solche Live Streams?

Warum suchen Menschen eine Bühne? Warum lernen manche Menschen ein Instrument? Warum schreiben manche Menschen Texte und tragen sie auf Poetry Slams vor? Warum schreibe ich diesen Artikel?
Viewerzahlen und Follower sind wie digitaler Applaus. Wenn man streamt, arbeitet man entweder mit seinen Fähigkeiten oder mit seiner Persönlichkeit (oder in seltenen Fällen mit seinem Äußeren) und wenn man Bestätigung dafür erhält, dann ist das eines der tollsten Gefühle der Welt. Ich selbst war immer eine ganz schlimme Rampensau. Der Klassenclown in der Schule, der Kerl mit der Gitarre am Lagerfeuer, der, der immer ganz vorne mit dabei war, wenn es darum ging, im Mittelpunkt stehen zu können. Und erst, wenn man selbst einmal dieses Gefühl der Bestätigung erhalten hat, weiß man, wie süchtig das machen kann. Früher sind diese Leute eben Kabarettisten, Musiker oder TV-Moderatoren geworden. Heute posten sie auf YouTube Videos, auf Soundcloud Musik oder streamen auf Twitch eben ihr Gameplay. Natürlich suchen manche Leute auch nur das einfache Geld im Internet, aber die wenigsten dieser Streamer haben die nötige Motivation, lange genug mit einer kleinen Fanbase zu arbeiten, bis sie ihren Durchbruch geschafft haben, weshalb regelmäßiges Streaming auch eine gewisse Leidenschaft für das Metier voraussetzt. Es gibt aber noch sehr viel mehr Gründe, warum man Freude daran finden kann, der Welt zu zeigen, wie man spielt. Manche Menschen wollen beim Zocken einfach nicht allein sein, wie Kiki in unserem Pixelfrauen Podcast bereits angemerkt hat. Manche Menschen genießen einfach die Interaktion. Und das veraltete Vorurteil, wir Gamer seien alle isolierte, unsoziale Einzelgänger, die keine echten Freunde haben und in ihrem muffigen Kämmerchen in einer digitalen Scheinwelt versinken, wird so durch den regelrechten Streaming-Hype zumindest ein klein wenig abgebaut. Twitch dient nicht nur der Unterhaltung, es ist eine Plattform, die einen großen Teil dazu beiträgt, unser Milieu den Menschen näher zu bringen und mit Klischees aufzuräumen. Und in meinen Augen ist das alles andere als banal.

Kommentare
 
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  • MonkeyHead
    30. April 2016 at 18:24

    Für mich hat Twitch eine ähnliche Funktion wie früher Reviews und Zeitschriften, später dann GIGA und danach dann YiuTube-Videos von Spieleseiten. Ich nutze es als Informationsquelle für Spiele die mich potentiell interessieren und ich kann dann Gameplay sehen und wenn ich fragen habe den Streamer direkt fragen. Dann kommt noch hinzu das ich natürlich nicht jede Konsole hier stehen habe, es aber trotzdem Spiele gibt die mich interessieren. Für die sich der Erwerb einer Konsole aber nicht rentiert. Zu guter letzt darf man natürlich nicht vergessen, dass auch der Streamer oder die Streamerin eine Rolle spielt.


  • 1. Mai 2016 at 10:50

    Ja, ich sehe das auch so!
    Zum Einen schau ich mir Twitch Streams an von Spielen die ich potentiell selbst kaufen möchte (oder nicht kaufen kann/werde weil Hardware nicht vorhanden). Zum Anderen schaue ich Streams wegen den Castern (wobei ich ja häufig erst dann die Aufnahmen auf Youtube oder im Archiv schaue weil Zeitverschiebung) oder eSports halt.


  • AlmightyPhi
    1. Mai 2016 at 11:33

    Bezüglich der Information, ob man ein Spiel daraufhin kauft oder nicht, finde ich es sehr nett, dass der Xbox One Store mit Twitch verknüpft ist. Wenn man sich ein Spiel im Store anschaut, kann man direkt live Twitch-Streams dazu sehen, um einen Eindruck vom Spiel zu gewinnen. Eine wirklich sehr nette Idee, vor allem, weil nicht bei jedem Spiel immer ein Trailer oder dergleichen vorhanden ist 🙂


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