Bladerunner, Shadowrun, Sherlock Holmes, Deus Ex, Sytem Shock, Mass Effect,
+ Flexibles Kampfsystem
+ Abwechslungsreiche Side-Quests
+ Stimmiger Soundtrack
+ Ernstzunehmende, gesellschaftskritische Themen
+ Gelungenes Karma- und Fraktionssystem
- Kommt nur langsam in Fahrt
- Unsichtbare und unsinnige Levelbarrieren
- Überladene Steuerung
- Unzureichende Tutorials
Der Mars. Groß. Rot. Tödlich. Die Wenigen, die das Glück haben nicht in der sengenden Sonne zu krepieren oder als Mutanten in der Sklaverei zu enden, kommen in Kolonien unter, die mit harter Hand geführt werden. Das Wasser ist knapp, die Armut groß und ihr ein Technomancer. Als Teil einer elitären Spezialeinheit der Armee, ist es eure Aufgabe für Ordnung zu sorgen. Auf welche Art auch immer. The Technomancer macht es einem gerade am Anfang etwas schwer richtig Spaß zu haben. Ein sehr langgezogener Einstieg, die überladene Steuerung, mäßige Tutorials und eine doch recht grobe Grafik machen dieses Open-World-RPG zu einem Kandidaten für den schnellen Wiederverkauf. Schafft man es aber ein paar Stunden dranzubleiben, belohnt euch das Spiel mit einem interessanten Moral-Choice-System, einem flexiblen Kampfsystem, einer gesellschaftskritischen Story, haufenweise Endorphinausschüttungen, wenn ihr von alleine auf Lösungen kommt und interessant gestalteten Side-Quests. Cyberpunk-RPG mit Elektro-Magiern vom Mars und Optionen auf romantische Beziehungen. Definitiv einen Blick wert.
Lesezeit: 6 MinutenKennt ihr Spiele, die von der ersten Minute an packen? Die euch dazu bewegen, den Controller erst dann aus der Hand zu legen, wenn der Hunger unerträglich und die Blase kurz vor’m Platzen ist? So spannend und fesselnd sind, dass… ok, ihr wisst schon, wohin das führt. Denn The Technomancer gehört nicht unbedingt zu dieser Kateorie Spiele. Zumindest Anfangs.
Welcome to Hell.. uuhm… I mean Mars
Unsere Geschichte startet in der Ophir-Mars-Kolonie. Ihr seid Technomancer-Kadett Zacharia Mancer (ehemalig Rogue) und habt euren letzten Tag im Training vor euch. Man schickt euch auf eine letzte Mission, die über eure Graduierung zum Offizier entscheiden soll. So weit so unüberraschend. Das besondere an Zach ist jedoch, dass er eben ein so genannter Technomancer ist. Das ist sowas wie Cole aus InFamous, nur etwas schwächer und gesellschaftlich auch angesehener als die sogenannten “Conduits” im eben erwähnten Spiel. Jedenfalls könnt ihr körpereigene Elektrizität manipulieren und die Regierung stellt diese besonderen Menschen ein, um auf dem vom Bürgerkrieg um das Wasser zerrütteten Mars etwas für Ordnung zu sorgen. Denn das Wasser ist knapp und wird von der Regierungsorganisation “Überfluss” kontrolliert, die ihre GeStaPo-ähnliche Einsatztruppe durch die Kolonie schickt um “Regime-Feinde” auszuspionieren oder entfernen zu lassen. Dabei müsst ihr helfen. Oder eben nicht. Denn es gibt noch einige andere Fraktionen, die da gerne ein Wörtchen mitreden würden. Oh und habe ich schon erwähnt, dass Elektrizität gefährlich werden kann und Zach einige Narben von seinem Training als Technomancer davon getragen hat? Und achja, außerdem…
Ein laaaaanger Einstieg
Bitte entschuldigt meinen Überfluss an Informationen und Sachverhalten, mit denen ich euch am Anfang bombardiert habe, aber sicherlich habt ihr gemerkt, dass das nur ein Stilmittel war. Denn ungefähr so fühlen sich die ersten Stunden von The Technomancer an. Eine nicht enden wollende Flut an Informationen, Spielmechaniken, die es zu verstehen gilt und ein unglaublich überladenes Steuerungs-Interface. Gepaart mit einem eher mauen Tutorial, hat es The Technomancer tatsächlich geschafft dafür zu sorgen, dass sich das eigentliche Spielen tatsächlich nach Arbeit anfühlt. Grundsätzlich also schon mal kein gutes Zeichen.
Die ersten Stunden ziehen sich auch tatsächlich wie heißer Mozzarella auf einer frischen Pizza. Dies ist einerseits der etwas ungünstigen Erzählweise geschuldet, da alles (aber auch wirklich alles) in langen Dialogen vermittelt wird. Da ist man echt dankbar für die Untertitel, und den “Skip”-Button, sodass man wenigstens ein wenig Lebenszeit und Nerven sparen kann. Ich sag es auch nicht gerne, aber der “Skip”-Button ist mir tatsächlich ein sehr guter Verbündeter geworden. Ohne lästige Ladezeiten – und wirklich auf Knopfdruck – erspart er mir langweilige, langgezogene Konversationen, die oft wenig bis gar nichts zur Geschichte oder der Immersion beitragen.
Der dritte große Zeitdieb ist das bereits erwähnte, heillos überladene Gameplay. Ich habe nichts gegen Crafting. Nichts gegen Skill-Trees, Perk-Systeme usw. Wogegen ich aber etwas habe, ist, wenn der Controller und das Menü doppelt und dreifach belegt werden, man im Kampfgetümmel, statt eines Zaubers zu wirken, sich in eine Ecke rollt aus der man nicht mehr rauskommt oder sich total unnötig eines der raren Medipacks spritzt.
Auch, wie man Dinge herstellt oder aufrüstet, welches Menü für welche Aktion zuständig ist, wie man Waffen aktiviert oder deaktiviert, sollte zumindest in der spärlichen digitalen Anleitung einsehbar sein. Denn die Tutorials sind ein Witz. Vor allem die höheren Schwierigkeitsgrade, bei denen explizit geschrieben steht, man muss den KONTER meistern, um Kämpfe zu überleben, wirken, als wollten sich die Entwickler lustig über uns machen. Denn wie genau so ein Konter funktioniert, wird nie erklärt. Klar, als erfahrener Spieler, kann man sich reinfühlen, aber das kann ja auch nicht Sinn der Sache sein.
Jeder Schatten wird vom Licht gespeist
Doch genug gebashed. Ich könnte jetzt noch Seitenlang weiter ranten. Darüber, dass die Umgebung doch irgendwie einfach nur karg ist. Dass die Grafik- und Figurenmodelle auf der PS4 aussehen, als wäre es nur eine aufpolierte Gamebryo-Engine, die in Fallout 3 zum Einsatz kam. Ich könnte mich auch darüber auslassen, dass sich die Hauptfigur in The Technomancer wie eine zugdröhnte Kuh in Stahlkappen in Bewegung versetzt und die Kollisionsabfrage einfach nur ein Albtraum ist. Aber leider macht mir das Spiel dafür zu viel Spaß.
Wenn man sich erst mal ein paar Stunden durch diesen zähen Brei an Dialogen, eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten und öden Umgebungen gekämpft hat, taucht unter dieser dickflüssigen Oberfläche der Langwierigkeit tatsächlich ein unterhaltsames Spiel auf. So grob und frickelig die Steuerung am Anfang auch ist, so umständlich euch das Navigieren und Bedienen der Menüs auch scheint, irgendwann habt ihr es verinnerlicht und ihr stoßt auf den süßen süßen Kerns unter der wirklich harten Kruste dieser Gaming-Crème-brûlée.
Als Technomancer habt ihr ja die Fähigkeit körpereigene Elektroangriffe auf eure Gegner loszulassen. Auch könnt ihr Elektrizität in eure Waffen leiten und damit deren Angriffskraft steigern. Der Clou ist, ihr habt ebenfalls die Wahl zwischen drei Kampfstilen, die ihr individuel ausbauen könnt. Haltet ihr eure Gegner lieber auf Distanz? Dann schnappt euch Dolch und Pistole. Wollt ihr sie lieber in eine Falle und aus der Reserve locken? Dann sind Knüppel und Schild des Wächter-Stils eure erste Wahl. Es kann auch immer zwischen den Stilen gewechselt werden, so dass es nicht langweilig wird und ihr eure Strategie im Kampf anpassen könnt.
Und auch wenn The Technomancer nicht gleich alles erklärt (wozu zum Beispiel brauche ich das Serum, dass ich aus besiegten Gegnern extrahieren kann?), belohnt es einen dafür, wenn man es selbst herausfindet. Ich habe mich ein ums andere mal dabei erwischt, wie ich mich selbst etwas gefeiert habe, nachdem ich einen bestimmten Kniff entdeckt oder die Bedeutung von etwas herausgefunden habe. Etwas, dass ich in vielen Spielen heutzutage vermisse. Aber was 2016 wirklich nicht mehr sein sollte, sind unsichtbare Wände, bzw. unsinnige Barrikaden die einem am Weiterkommen in einem Gebiet hindern, obwohl man theoretisch ganz leicht drüber oder dran vorbeikönnte.
Ein kurzes Beispiel dazu. Ihr habt eine Feuerleiter vor euch. Oder besser: über euch. Sie ist eine gute Armlänge über eurem Kopf. Fest an der Wand verschraubt. Zwei Begleiter sind an eurer Seite. Ein normaler Mensch würde entweder die 20 cm hochspringen und das Ding versuchen runterzuziehen, oder seine Jungs bitten eine Räuberleiter zu formen. Nein, das Spiel sagt, wir kommen nicht ran, lässt uns mehrmals, wie ein grenzdebiles Pony im Pferch, um dieses Gebiet herumlatschen, nur um uns dann per Zufall an einer Wand gegenüber den Kontext-Button öffnen zu lassen, der uns über eben jene Wand klettern lässt. Ein ungünstiger, weil auch pacing-schadender Lösungsweg.
Is Karma a Bitch?
The Technomancer ist ein RPG mit Moral-Choice-Elementen. Ihr habt mehrere Fraktionen, die um die Vorherrschaft in einem Gebiet kämpfen und denen ihr euch anschließen oder entgegenstellen könnt. Es gibt die Armee der Stadt, die lokale Mafia, Mutanten usw. Für jede Fraktion könnt ihr Aufgaben erfüllen und euch innerhalb einer Mission für oder gegen euren Auftraggeber entscheiden. Oder einfach was Gutes oder Schlechtes für eine andere Fraktion tun. Beispielsweise gibt es eine Mission, in dem das Dach der Kolonie von Mutanten repariert werden soll. Ihr sollt die Gesellen also “überreden”, dass sie wieder an die Arbeit gehen. Wie ihr die Mission beendet, ist egal. Die Armee wird euch mögen. Ihr könnt euch aber entscheiden, ob ihr die “Mutis” zur Besinnung prügelt oder ob ihr eurerseits etwas für sie tut.
Auch eure Mitstreiter (anfangs noch zwei, später mehr) bewerten eure Aktionen (ähnlich wie in Fallout 4) und je nachdem wie gut ihr mit ihnen seid, welches Karma-Level ihr habt usw. gewähren sie euch noch Boni. Dann gibt es noch Kleinigkeiten, wie das überhören von Konversationen der normalen Bevölkerung, die Gesellschaftskritik z.B. gegenüber etwa Problemen mit Bettlern und deren Ursachen, Rassismus und und und. Auch sehr schön sind die Nebenaufgaben gestaltet. Bemängel’ ich ja gerne immer wieder in RPGs, dass sich Side-Quests von der Struktur her viel zu schnell wiederholen, übertüncht The Technomancer dieses Problem gekonnt. Das geht dort los, dass ihr tatsächliche Polizeiarbeit betreibt und auch innerhalb jeder Mission eine Entscheidung fällen könnt, bzw. müsst. Vermisste Personen, Attentate, Botengänge, klingt alles nach generischer Standardkost, ist aber so variantenreich und schön verpackt, dass man wirklich richtig richtig Bock bekommt, sich darum zu kümmern.
Tonys Terminal Thoughts
The Technomancer ist wirklich ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite ist es nicht besonders hübsch. Gerade der Anfang zieht sich, die Steuerung ist extrem gewöhnungsbedürftig und es wirkt heillos überladen, … aber dann… so ganz langsam, schleichend, fängt es an richtig Spaß zu machen. Das geht los bei den abwechslungsreichen Side-Quests, geht über das interessante Karma- und Fraktionssystem und endet irgendwo zwischen dem flexiblen Kampfsystem und der gelungenen Soundkulisse. Achja hab ich ja noch gar nicht erwähnt. Immer mal wieder werden ein paar sehr coole, dunkle Synthie-Loops eingespielt, die wirklich zu diesem dystopischen/Blade Runner-Flair beitragen. Für RPG- und Genre-Fans mit Geduld und einem Fable (Pun intendend) für Herausforderung sehr zu empfehlen. Alle Anderen leihen es sich vielleicht erst mal aus ihrer örtlichen Videothek.
P.S. Ja ich gebe zu, bei dem Wort Technomancer musste ich an sowas wie Necromancer denken. War fast schon ein wenig enttäuscht, dass ich keine leblosen Maschinen in den Kampf schicken oder manipulieren kann, aber hey: no game is perfect.
Bin nur hier, um kurz ein Lob für diesen tollen Test da zu lassen. Wirklich wunderbar geschrieben. Gibt einen tollen Überblick und sagt mir alles, was ich wissen muss. Wunderbar.
Übrigens wirklich schön, dass hier auch Titel thematisiert werden, die ansonsten nciht so die größte Aufmerksamkeit bekommen.
OH… waoh… ich.. hui. Ich bin grade ein wenig baff. DAs ist wirklich ein sehr schöner Kommentar und macht richtig Freude ihn zu lesen, vielen vielen Dank. Und ja. Ich gebe auch zu, The Technomancer war auch ein bisschen ein geheimwunsch von mir. Ich habs zufällig auf Facebook mitbekommen und gleich gedacht: DAS müssen die Leute mitbekommen. Ich hoffe ja demnächst noch auf Vampyr und Elex dann 2017.
Aber jedenfalls. Ja vielen Dank. Ich hoffe ich krieg in ZUkunft noch n paar mehr solcher Titel für euch in die FInger:)
Freue mich auch sehr auf Vampyr. Es hat in dem kleinen Trailer von der E3 schon diesen Bloodbornevibe undas liebe ich so sehr.
Wunderbares Setting, toller Artstyle und das Kampfsystem sieht auch sehr spaßig aus. Und das ganze von den Life is Strange Machern, die auf jeden Fall Geschichten erzählen können.
Bin sehr gespannt. :3
Ich hab ein paar Gameplayszenen gesehen. Erinnert von der grafischen Umsetzung (also von der technischen Seite her) auch an The Technomancer. Ich bin wirklich gespannt. Die Welt braucht mal wieder ein vernünftiges Spiel mit Vampiren, so wie es mal wieder gute Vampir-Filme gebraucht hat.