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“Wie lange geht das schon so? Tage ? Wochen ? Monate ? Jahre ? Angriff, Gegenangriff. Die Toten stapeln sich. Winter, Sommer, die Tage sind heiss und die Leichen liegen unbeerdigt. Wenn der Wind zu uns herrĂĽberweht, bringt er den Blutdunst mit, der schwer und widerwertig sĂĽĂźlich ist.”
Erich-Maria Remarque: Im Westen nichts Neues, 1929
Vor genau 100 Jahren befanden sich große Teile Europas und zahlreiche andere Länder in einem bewaffneten Konflikt, der lediglich die Einleitung eines noch viel größeren Krieges werden sollte. Ein dunkles Kapitel der europäischen Geschichte, dessen sich EA mit seinem neusten Ableger der Battlefield-Reihe jetzt annahm. Ist Battlefield 1 nur stumpfe Ballerei oder doch ein atmosphärisches Meisterwerk?
Eine kurze, aber unerwartet reife Kampagne
Bevor ich mir selbst ein Bild von der Kampagne in Battlefield 1 machen konnte, war ich ein wenig durch die Meldungen zur knappen Spielzeit besorgt, denn tatsächlich ist die Spieldauer im Einzelspielermodus mit knapp 5 Stunden noch recht großzügig bemessen. Ist das schlecht? Nein, denn neben einem kurzen Prolog spielt ihr fünf verschiedene Szenarien eines Krieges, dessen Dimensionen sich ohnehin kaum begreiflich machen lassen. Dabei legte DICE derart viel Wert auf Atmosphäre, Authentizität und das Erzählen eines individuellen Schicksals, sodass die Kampagne von Battlefield 1 ganz ohne Pomp, Patriotismus und anderes erzählerisches Störfeuer auskommt. Ihr sterbt, ihr schlüpft in die Haut eines anderen Soldaten, ihr sterbt, ihr stürmt, ihr sterbt. Manchmal dauert es Sekunden, manchmal haltet ihr euch eine Weile, bevor euch aus dem Nichts eine Kugel erwischt. In diesem Kontext eröffnet euch Battlefield 1 ganz bewusst mit jedem seiner Kapitel einen kleinen Einblick in eine Zeit kriegerischer Auseinandersetzungen, in der geradlinig gezogene Gräben, Stellungen und Frontverläufe noch den Begriff des symmetrischen Krieges prägten.
Der Multiplayer bleibt das HerzstĂĽck
Was Battlefield 1 in Sachen Spieldauer im Einzelspielermodus vermissen lässt, wird durch den gewohnt bombastischen Mehrspielermodus wieder ausgeglichen. An spielbaren Klassen bleibt hier auch im Vergleich zu den Vorgängern Vieles ähnlich. Sanitäter, Sturm- und Panzerabwehrsoldaten und der obligatorische Scharfschütze bilden auch hier das solide Standbein dieses First-Person-Shooters. Neu sind die sogenannten „Operationen“. Dieser Mehrspielermodus greift eine der zahlreichen verschiedenen Schlachten des Ersten Weltkriegs auf und positioniert euch entweder in der Rolle des Angreifers oder des Verteidigers. Sektorenumspannend treffen hier Wellen von Angreifern auf die zerbombten Stellungen der Verteidiger und es entwickelt sich auch in den hektischen Mehrspielerpartien eine Stimmung, die ähnlich intensiv und düster wie die des Einzelspielermodus ist. Die Gründe dafür sind vielseitig. Neben einer synchronisierten Einführung, gesprochen von einer Stimme aus dem Off, sind es insbesondere die historischen Details, die es mir als geschichtsaffine Person angetan haben. Operationen, wie die sogenannte Kaiserschlacht und die Erwähnung des Namens Durchbruchmüller, angelehnt an Georg Bruchmüller, den Begründer des systematischen Artilleriefeuers, haben in mir kleine Freudensprünge ausgelöst. Zwar mögen diese Dinge kleinere Features sein, aber letztlich bilden diese Kleinigkeiten in der Summe ein Multiplayervergnügen, das ich so seit Battlefield 1942 nicht wieder aufkommen spürte.
Die Innovation des Mordens
In einer Zeit, in der es weder Drohnen noch Nuklearwaffen gab, lagen sich die verfeindeten Parteien teilweise nur wenige Meter, eingegraben im Schlamm gegenüber und warteten auf das Signal zum Sturmangriff. In den engen Gräben, egal ob es die eigenen oder die des Feindes waren, wurde nicht nur geschossen, sondern gestochen, geschlagen und mit allem geschwungen was die Maschinerie des Krieges ihren Soldaten zur Verfügung stellte. Keulen, Spaten, Bajonette und selbstkonstruierte Hiebwaffen gehörten zum Repertoire des Mordens, wie der Karabiner oder das Maschinengewehr 08/15. Battlefield 1 greift dieses Element des Ersten Weltkriegs sehr treffend auf und liefert mit spielerischen Neuheiten, wie dem Heranstürmen mit Bajonett oder dem Angriff vom Pferd aus, einige Optionen, die euch häufig in Nahkampfreichweiten führen werden. Was Fernkampfwaffen und gepanzerte Fahrzeuge angeht, so bekommt ihr auch hier nahezu alles in die Finger, was die Technologie des anklingenden 20. Jahrhunderts hervorbrachte. Maschinengewehre, erste Prototypen von Panzern, Mörsern und mit den schleichend tödlichen Gasgranaten auch das entsetzlichste Mittel der damals anklingenden chemischen Kriegsführung. Das einstmalige Schlachtfeld war nicht nur ein Ort des industriellen Mordens, sondern ebenso ein enormes Versuchslabor, auf dem sich viele Chemiker und Ingenieure mittels der Entwicklung neuartigster Waffen für ihr Heimatland verdient machen wollten. In diesem Sinne könnt ihr also fast noch froh sein, wenn ihr in Battlefield 1 einfach nur durch eine riesige, von einem Zeppelin abgeworfene, Granate umkommt.
Ein Spiel, das fast schon ein LehrstĂĽck ist
Ich hätte nicht gedacht, dass ich nach Battlefield 1942 noch einmal so viel Zeit mit einem Battlefield-Titel verbringen würde. Nun sitze ich hier, zig Stunden Spielzeit auf meinem Origin-Account betrachtend und ich weiß auch ganz genau warum. Battlefield 1 ist nicht bloß eine Iteration dieser bekannten Spielreihe, sondern ein gut geglückter und auch dringend benötigter Neustart. Mit dem Aufgreifen des Ersten Weltkriegs thematisiert dieses Spiel nicht nur inhaltlich eine Epoche, die wir so bisher nur wenig im Kontext aktueller Videospiele sahen. Darüber hinaus und das ist die wahre Leistung dieses Spiels, ist Battlefield 1 ein atmosphärisches Meisterwerk, das innerhalb seines Genres so schnell kaum Konkurrenz zu fürchten hat. Dabei ist es fast schon unerheblich, dass die Einzelspielerkampagne derart kurz ist, denn durch die bewusste, episodenhafte Konstruktion und die Abkehr vom stereotypischen Patriotismus und Pomp gelingt diesem Spiel beinahe ein Transformationsprozess, der diesen Titel nahezu in den Bereich des historisch-lehrstückhaften heben könnte.
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