Lesezeit: 4 MinutenWer heutzutage einen Computer benutzt – und das sind in unseren Breiten ja beinahe alle Menschen – lebt vom Pioniergeist einer Firma, die wie keine zweite die frühe PC-Industrie geprägt hat und um die sich so viele Mythen ranken: Commodore! Das Buch Volkscomputer: Aufstieg und Fall des Computer-Pioniers Commodore aus dem GAMEplan-Verlag ist eine spannende Lektüre, die mit Vorurteilen aufräumt und die Geschichte dieser einzigartigen Firma in vielen Details offenlegt.
Commodore
Was für ein Name! Für Zocker jenseits der 25 Lenze quasi ein Synonym für den ersten eigenen Computer und die erste eigene Daddelkiste. Denn vor allem der C64, bis heute der meistverkaufte Computer aller Zeiten prägte eine ganze Generation und ist heute – mehr denn je – ein begehrtes Sammlerobjekt.
Doch der C64 ist nur eines von so vielen Commodore-Produkten, deren Entstehung das Buch Volkscomputer – Aufstieg und Fall des Computer-Pioniers Commodore und die Geburt der PC-Industrie beschreibt. Dabei geht es in diesem 368 Seiten-Schmöker um so viel mehr. Es geht um die Köpfe hinter den für die PC-Branche wichtigsten Erfindungen wie Chips (beispielsweise den 6502er Chip), um Ingenieure, Hardware-Tüftler und Software-Schmiede wie Chuck Peddle, Al Charpentier, Bill Seiler, Robert Yannes. Aber natürlich geht es auch um den legendären Firmengründer Jack Tramiel, Mitstreiter und Konkurrenten wie Bill Gates, Steve Jobs und Steve Wozniak, Firmen wie Apple, Atari, IBM, Hewlett Packard, Motorola und Radioshack.
Ein Blick in die graue Vorzeit
Dabei fängt das Buch sehr verhalten und beinahe wie ein Geschichtsbuch an. Beleuchtet wird das Leben des jungen Jack Tramiel, der sich in den 50er Jahren in New York als Taxifahrer verdingte. Zuvor hatte er als 17 jähriger Idek Tramielski deutsche Konzentrationslager überlebt, mit 19 Jahren geheiratet und war in die USA ausgewandert, wo er bereits 1958 die Schreibmaschinen-Firma Commodore gründet.
Dann switcht Volkscomputer um, auf den vielleicht wichtigsten Mann für Commodores zukünftige Jahre: Chuck Peddle.
“Für den Erfolg benötigt jede High-Tech-Firma drei Schlüsselfiguren: einen Finanzier, einen Technik-Guru, sowie einen charismatischen Unternehmer mit rastloser Persönlichkeit. […] Was noch fehlt ist ein technischer Visionär.”
Chuck Peddle ist dieser technische Visioniär. Der Leser wird entführt in die graue Vorzeit der Computerei. In eine Zeit, in der es nur Großrechner mit Speicher-Bändern und Programmen auf Lochkarten gab. Als Mikrocomputer noch pure Theorie waren und niemand die Notwendigkeit erkannte, dass Chips weniger als 250 US-Dollar kosten mussten. Peddle konnte schon früh in die Zukunft schauen und war sich sicher, dass es eine Zeit geben werde, in der jeder seinen eigenen Computer haben würde. Und er wollte genau diesen Computer ermöglichen.
Erste Schritte in Richtung Volkscomputer
Nach seinem Ingenieurs-Studium fing er bei Motorola in der Chip-Konstruktion an, wechselte dann zu MOS Technology und entwarf dort mit einem interdisziplinären Team den legendären 6502-Chip, der die frühen Computer-Selbstbauten der damaligen Hacker, Tüftler und anderer Ingenieure überhaupt erst ermöglichte und erschwinglich machte. Firmen wie Atari und Apple verbauten diese Chips in rauhen Massen, weil sie nicht nur kostengünstig waren, sondern auch leistungsfähig, wie kein anderes Produkt. MOS Technology ging nach einem Rechtsstreit mit Motorola schwer angeschlagen an den bisherigen Chip-Abnehmer und Taschenrechner-Hersteller Commodore. Peddle konstruierte dort den ersten erfolgreichen Personal Computer “PET” auf Basis der revolutionären neuen Chips. Commodore lies das immer schwächer laufende Taschenrechner-Geschäft sausen und produzierte fortan Computer.
Autoren mit Röntgenblick
Das faszinierende an diesem Buch ist seine Ehrlichkeit. Schonungslos werden die Fehlentscheidungen jedes Commodore-Managers und -Ingenieurs aufgedeckt, wird mit Gerüchten, Mythen und Glorifizierungen aufgeräumt. Denn neben all’ den unglaublichen technischen und visionären Pionierleistungen waren es vor allem die Misserfolge, die Commodore einen Platz in den Annalen einbrachten. Eigentlich zu Unrecht, denn lange bevor Apple und IBM – denen heutzutage oftmals die Commodore-Leistungen zugesprochen werden – mit erfolgreichen, funktionierenden und leistungsfähigen PCs um die Ecke bogen, hatte Commodore den Dreh bereits heraus. 1977 eröffnete Commodore den Markt für Personal Computer und verkaufte Spitzentechnologie zu Preisen deutlich unter denen der Konkurrenz. Den C64 beschreibt der Autor des englischen Original-Buches nicht ganz zu Unrecht als “VW Käfer der Computerindustrie”.
Die Marke vs. Die Macher
Wer die Geschichte dieser Firma erzählen will, kommt an den Akteuren der legendären Marke nicht vorbei, weswegen sich dieses Buch auch so intensiv und objektiv mit ihnen beschäftigt. Jack Tramiel zum Beispiel, der charismatische, zielstrebige Firmengründer mit dem durchdringenden Blick, war bekannt für seine knallharte Geschäftspolitik. Geschäft war für ihn Krieg: Er wollte mit IBM, Apple und Co. nicht konkurrieren, er wollte sie aus dem Weg räumen und vernichten. Ihm war egal, ob die Händler, die seine Produkte unters Volk brachten Gewinne einfuhren, solange er es tat. Unter seinen Angstellten herrschte er mit eiserner Hand, war bekannt für seine “Jack-Attacks”, die nicht selten einen Manager den Job kosteten. In den frühen 80er Jahren stand das Büro des leitenden Ingenieurs beispielsweise so oft und lange leer, dass die Entwicklungsabteilung ihren Hochgeschwindigkeitsdrucker – der sehr =laut war – dort einquartierte.
Das Buch selbst
Dieses Buch – in seiner deutschen Ausgabe übrigens deutlich überarbeitet und ergänzt – ist voll von solchen Geschichten. Der Autor Brian Bagnall hat über Jahre hinweg mit ehemaligen Branchenbeobachtern, Weggefährten und Commodore-Internen Interviews geführt, Fakten zusammengetragen und ausgewertet.
Herausgekommen ist ein umfassender Blick in die frühe Computergeschichte und die Geschichte einer Firma, die vom Schreibmaschinenhersteller, über die Taschenrechner-Fertigung, hin zur unbestrittenen Nummer Eins der Computer-Branche wurde und 1994 ihr bitteres Ende fand. Spannend wird das Buch durch all‘ die kleinen Anekdoten, persönliche Stellungnahmen der Akteure, ihre Erfolge und Misserfolge, die Auslotung und Verschiebung technischer Grenzen und das Zusammenspiel von persönlichen und wirtschaftlichen Entscheidungen.
Für jeden Commodore-Liebhaber und Retro-Fan ist Volkscomputer: Aufstieg und Fall des Computer-Pioniers Commodore ein absolutes Muss. Allerdings braucht man als Leser ein gewisses Maß an technischem Sachverstand und sollte eine gehörige Portion Ausdauer mitbringen.
Volkscomputer: Aufstieg und Fall des Computer-Pioniers Commodore ist für 27,80 Euro erhältlich. Kaufen könnt ihr es entweder über die Webseite von GAMEplan. Oder hier: