Lesezeit: 9 MinutenDer schnelle, blaue Igel ist zurück, und mit ihm die Skepsis, die traditionell und unausgesprochen über jedem neuen Spiel schwebt, welches das Erbe der einstigen Kultfigur weitertragen möchte. Die Community ist sich einig: Seit Sonic Generations besteht wieder Grund zum Aufatmen, auch wenn der Nachfolger Sonic: Lost World nicht ganz in dessen Fußstapfen treten konnte. Doch kann der neueste Streich, Sonic Boom: Lyrics Aufstieg, ebenfalls überzeugen?
Man hat sich irgendwie damit abgefunden, dass der Held unserer Kindheit seit einer gefühlten Ewigkeit in einer Selbstfindungsphase steckt, die selten zu einem positiven Ergebnis führte, jedoch die Hoffnung noch nicht zu ersticken vermochte. Sonic Boom heißt der neuste Streich und bringt einen kompletten Neuanstrich mit sich, den Fans bereits seit der Ankündigung kritisch beäugten. Der Hintergrund hierfür liegt in einer computeranimierten TV-Serie, die am 8. November dieses Jahr in den Staaten anlief und kräftig beworben werden muss. Daher wurden nun zwei Spiele im Sonic Boom-Universum entwickelt: Der zerbrochene Kristall (3DS) und Lyrics Aufstieg (Wii U), um die Community an die Neuinterpretation heranzuführen. Wie sich die Veränderung äußert und wie diese zu bewerten ist, erfahrt ihr nach einem kleinen Absatz.
Schnell, keine Zeit verlieren!
Wie wir wissen, spielt Sonic nicht mehr die alleinige Geige in seinem eigenen Franchise. Über die Jahre sind zahlreiche Freunde und Nebenfiguren entstanden, welche die Reihe mitgeprägt haben. So gesehen ist es bei der Konzipierung einer Cartoon-Show nicht verwunderlich, wenn diese zum festen Bestandteil des neuen Konzepts werden. So beläuft sich der Freundeskreis auf Sonic, Tails, Knuckles und Amy, deren Persönlichkeiten überarbeitet wurden. Sonic ist nach wie vor der selbstbewusste Draufgänger, Tails der technikaffine Sidekick, Knuckles wurde zum breitgebauten Haudrauf mit langer Leistung und Amy ist eben das Mädchen, das jedoch nicht weniger aktiv mit einem riesigen Hammer umgehen kann. Als die vier Freunde eines Tages dem scheinbar ganz normalen Alltag beiwohnen und Eggman durch die Rennstrecken des Waldes jagen, passiert das Unerwartete. Durch einen Hinterhalt eingekesselt, flüchten sie sich in einen mysteriösen Tempel, dessen Fassade mit Gravuren von Sonic und Tails verziert ist. Nicht wissend, was sich hinter diesem Tempel verbirgt, dringen sie weiter in diesen vor und befreien unbeabsichtigt das schlangenartige Wesen Lyric, der sich kein geringeres Ziel gesetzt hat als die Welt mit einer Armee von Robotern zu vernichten. Mit geistiger Unterstützung des alten Handwerkers Cliff, der in dem nahegelegenen Dorf lebt, schmieden die Freunde einen Plan, der dieses Vorhaben unterbinden soll.
Der Einstieg in das Spiel erfolgt ziemlich hastig und plump, indem ohne jeglichen Kontext eine Szene abläuft, in der Sonic von Laserstrahlen niedergestreckt und von Felsbrocken verschüttet wird. Die Geschehnisse, die zu diesem Ereignis führen und per Gameplay gelenkt werden, passierten am Vortag. Das Ganze soll offensichtlich eine Spannungskurve erzeugen, die jedoch aufgrund der mangelnden, näheren Erklärung nicht aufgeht. Gerade weil die Spiele als Prequel der TV-Serie gelten, ist es für mich unverständlich, warum die neuen Persönlichkeiten der Sonic-Helden nicht ausführlicher beleuchtet werden und der Spieler nicht die Möglichkeit bekommt, sie lieb zu gewinnen. Die Zwischensequenzen bestehen aus vorgerenderten Ingame-Scrips, die – unabhängig von der Technik – gut gestaltet sind und das Cartoon-Flair, in Kombination mit einem passenden Score, entsprechend stimmig transportieren. Gerade deshalb ist es umso tragischer, dass der Comedy-Aspekt, der ein großer Teil der TV-Serie ist, aufgrund der Barriere zu den Protagonisten vorerst nicht zündet. Es ist dennoch klar zu erkennen, dass sich die Reihe nicht mehr auf ein stereotypisches Bekämpfen von Gut und Böse beschränken, sondern eine Geschichte mit vielen Charakteren, verschiedenen Ereignissen und Wendepunkten erzählen möchte. Der Ansatz ist gut, jedoch funktioniert die Ausführung leider nicht immer, da vieles zu lieblos konstruiert wirkt. Alles in allem ist die Inszenierung und die Cineastik aber nach einer ausführlichen Eingewöhnungsphase durchaus charmant und ansehnlich.
The Legend Of Sonic
Auch wenn die ersten Minuten von Sonic Boom anders verlaufen, ist das Spiel in seinen Grundzügen ein klassisches Action-Adventure. Ihr bewandert mit allen Vieren eine relativ offene Welt, die jedoch nach vorgefertigten Stationen abgearbeitet wird. Diese Stationen bestehen jeweils aus einem Dungeon, in dem sich anhand von Schalterrätseln, Kletter- oder Geschicklichkeitspassagen ein Weg von A nach B gebahnt werden muss, an dessen Ende der Zugang zum nächsten Dungeon ermöglicht wird. Gesteuert wird dabei eine der Hauptfiguren, die per D-Pad jederzeit gewechselt werden können, sofern dies der Abschnitt erlaubt, denn die Clique teilt sich auch mal gerne strategisch in Zweiergruppen auf. Die zu absolvierenden Passagen orientieren sich praktischerweise an den Spezialfähigkeiten der vier Freunde, die zum besseren Verständnis farbig gekennzeichnet sind. Knuckles klettert an roten Wänden hinauf, während Amy mit einem dreifachen Sprung pinke Vorsprünge erreichen kann. Tails nutzt den Luftstrom von Ventilatoren, um mit kreisendem Schweif helikoptergleich aufzusteigen und Sonic flitzt per Spin-Attack Rampen hinauf. Der Rest der Mechanismen lässt sich mit grünen Buttons betätigen. Hilfreich ist zuletzt auch ein elektrisches Lasso, welches alle vier besitzen. Damit lassen sich nicht nur Hebel ziehen, sondern es ermöglicht ein Schwingen zwischen schwebenden Bojen und das Anhängen an Schienenbahnen, um weite Distanzen zu überwinden. Das Voranschreiten innerhalb der Levelstrukturen erfolgt meist sehr intuitiv und bietet kaum Herausforderungen. Abwechslung bieten einige Abschnitte, die in einer 2,5D-Perspektive absolviert werden. In diesen Passagen gilt es, sich innerhalb des labyrinthartigen Aufbaus zurechtzufinden und festgelegte Aufgaben zu erledigen.
Damit Lyric auch eine Chance bekommt seinen Plan in die Tat umzusetzen, stellen sich unseren Helden immer wieder eine Vielzahl von mechanischen Gegnern in den Weg. Die klassische Aim-Attack wurde zurückgeschraubt, stattdessen werden die weißen Zeichentrickhandschuhe zu Fäusten geballt und alles zerlegt, was nicht bei drei auf der Sprungplattform ist. Auch hier hat die bunte Meute individuelle Fähigkeiten, was von regulären Kombos über Wirbelattacken bis hin zu Angriffen aus der Luft reicht. Das Elektrolasso kann hierbei verwendet werden, um Gegner an sich ran zu ziehen und sogar durch die Luft auf andere Ziele oder gegen Wände zu schleudern. Wie auch in der Vergangenheit dienen die kultigen Goldringe, die großzügig in den Arealen verstreut sind, als Lebenserhaltung. Sonic und seine Freunde teilen sich einen Vorrat von maximal 100 Ringen, die bei einem Treffer nicht komplett, sondern in kleinen Portionen verloren gehen. Nach einem Vollverlust gibt es beim letzten Checkpoint 20 Ringe aufs Haus. Das Kampfsystem an sich ist ziemlich hektisch und bedarf etwas Übung, den Überblick zu wahren und auch um die unterschiedlichen Attacken sinnvoll einzusetzen, jedoch bietet es letztendlich keine wirkliche Herausforderung und richtet sich daher vermutlich an jüngere Spieler. Sporadisch selten findet ihr in den Prügelpassagen auch Waffen, die für eine kurze Zeit benutzt werden können, darunter eine Trompete, die mit streuenden Noten die Gegner wegflötet, einer Fernbedienung mit rotem Knopf als Auslöser einer Explosion oder einer Bombe – wenn ich es nicht selbst gespielt hätte, würde ich es nicht glauben.
Entdecken statt vorbeirennen!
Es ist nicht zwingend notwendig von Dungeon zu Dungeon zu hetzen, denn auch in der Oberwelt gibt es einiges zu erleben, z.B. Gespräche mit den Dorfbewohnern, die euch – sobald sie Lust darauf haben – Verbesserungsrelikte als Belohnung für Miniquests anbieten, die ausgerüstet einen bestimmten Bonus ermöglichen. Abseits der Relikte können die Freunde an bestimmten Stationen ihre Fähigkeiten grundlegend verbessern. Kronen und Roboterteile stellen die dafür benötigte Währung dar. Roboterteile bleiben von zerkloppten Gegnern übrig oder finden sich in zahlreichen offenen und versteckten Truhen, Kronen hingegen sind eher selten und bedürfen das Absolvieren von zusätzlichen Geschicklichkeitseinlagen und Abzweigungen innerhalb der Levelsysteme. Die Anzahl der Kronen gibt an, welche Upgrades zur Verfügung stehen und mit den Teilen wird bezahlt. Letzteres hat zusätzlich ein weiteres Einsatzgebiet: Über die offene Welt verteilen sich Baustellen, die mit dem Einsatz von Roboterteilen fertiggestellt werden können und neue Wege durch die Welt öffnen. Wem das nicht genug des Sammel- und Erkundungstriebes ist, der aktiviert per Tablet eine Geheimsicht, um zerbrechliche Wände aufzuspüren, die ebenfalls Belohnungen beherbergen.
Bei all den Puzzles, Kämpfen und Erkundungsgängen drängt sich die Frage auf, wo denn die Geschwindigkeit bleibt. Ein Sonic, der nicht rennt, ist immerhin unvorstellbar! Zum Glück schafft Sonic Boom Abhilfe, jedoch nicht mit Schnelligkeit als Bestandteil des übrigen Gameplay, sondern mit separierten Rennstrecken, die als Schnittstelle zweier weit entfernter Areale dienen. Auf diesen Bahnen gilt es, Ringe einzusammeln und Hürden per Ausweichen oder Springen zu überwinden. Der Rest äußert sich in den allseits beliebten Loopings, Choreografien aus perfekt platzierten Sprungplattformen und Beschleunigungsstreifen. Spielerisch sind diese Momente zwar nicht anspruchsvoll, aber schön anzusehen und erfüllen den Zweck für Abwechslung zu sorgen. Das Gameplay innerhalb von Sonic Boom bietet ein solides Grundgerüst aus geläufigen Komponenten, an dessen Kombination man sich zunächst gewöhnen muss, da die hauptsächliche Assoziation mit dem blauen Igel auf die stille Treppe geschickt wurde. Es ist kein klassisches Sonic-Spiel, möchte keines sein und die Akzeptanz dessen ist die größte Hürde, die ihr als Spieler überwinden müsst. Leider schraubt genau dieser Fakt das Erlebnis zu einem generischen Plattformer zusammen, die es innerhalb der Playstation-2-Ära zu genüge gegeben hat. Das Konzept macht also nichts falsch, sondern sogar Spaß, reduziert jedoch die Figur und das Universum von Sonic deutlich auf die neue Charakterisierung und das Erzählen einer Geschichte.
Also schön ist das nicht…
Ich schreibe es mal frei heraus: Die Grafik hat keinen Blumentopf verdient, es sei denn, es ist ein Kaktus eingepflanzt und der Topf wird geworfen. Wie wir wissen, bietet die CryEngine auch auf älterer Hardware eine Menge Möglichkeiten, die hier bei Weitem nicht ausgeschöpft wurden. Grundsätzlich ist der Stil im bunten CGI-Look der Serie ansprechend und abwechslungsreich. Von klaren, vom Sonnenlicht erhellten, Stränden mit Karibikflair, über technisch-fortschrittliche Science-Fiction-Gefilde, bis zu schmutzigen Abwassersystemen ist alles vorhanden, was das Plattformer-Herz begehrt. Auch die Gestaltung und Animationen der Figuren befinden sich auf einem guten Niveau, passend zur Inszenierung der TV-Serie. Die Sache hat jedoch einen großen Haken: Die Grafik ist vollkommen ungeschliffen. Furchtbare Texturen, zuckende Animationen, Kollisionsprobleme, Unmengen an Glitches, Geschwindigkeitseinbrüche, Skriptfehler, sogar Kamerafahrten, die Ringe einsammeln zählen zu den vielen großen- und kleinen Fehlern, die das Erlebnis deutlich schmälern. Gerade bei einem Prequel, welches für eine neue Ära des Sonic-Universums werben soll, ist es für mich absolut unverständlich, dass dieses Spiel in diesem Zustand in die Regale gewandert ist. Gerade wenn euch neue, große Areale mit einem atmosphärischen Kameraschwenk und passender Musik eröffnet werden, erkennt man, welches Potenzial dieses Konzept und das Design bietet, was jedoch nur funktioniert, wenn man regelmäßig ein Auge – manchmal auch beide – zudrückt. Die Fehler hindern euch selten am Spielen, aber sie sind präsent, auffällig oft präsent und somit Gift für die Lebendigkeit der Inszenierung, die eigentlich vermittelt werden möchte.
Es geht auch mit echten Freunden
Neben dem eigentlichen Spielgeschehen hat Big Red Button Entertainment aus der eigentlichen Spielmechanik des Hauptspiels insgesamt drei Multiplayer-Modi gebastelt. Die unspektakulärste Abwandlung nennt sich “Arena”, in der 2-4 Spieler erscheinende Gegnerwellen verdreschen. In “Hindernisrennen” bewegen sich ebenfalls 2-4 Spieler durch eine selbstscrollende Schlauchlevelstruktur und sammeln gemeinsam Kristalle ein, während sich in “Sammelball” 2-4 Spieler um das Hinterherziehen eines Balls kümmern, der ebenfalls Kristalle einsammelt, wobei die Spieler durch Gegnerwellen daran gehindert werden. Alle Spielmodi bieten unterschiedliche Maps bzw. Level, um für etwas Abwechslung zu sorgen, jedoch sind sie eher für kurzweiligen Spaß mit Freunden konzipiert und passen somit perfekt in das Konzept der Wii U. Eine Kaufentscheidung für Sonic Boom, werden sie jedoch nicht beeinflussen können und bleiben dementsprechend ein “nice to have”.
Fazit
Die ehemaligen Köpfe hinter Crash Bandicoot und Jak & Daxter konzipieren ein neues Sonic-Spiel als Vorlage einer neuen TV-Show. Was kann da schief gehen? Abgesehen vom technischen Desaster wurde das Grundprinzip des blauen Igels derart rekonstruiert, dass es schwierig ist, überhaupt eine Zielgruppe zu bestimmen, auch weil eine Einführung in das neue Universum nicht stattfindet und mehr Verwirrung als Begeisterung erzeugt. Nach einigen Stunden hat mir Sonic Boom: Lyrics Aufstieg wirklich Spaß gemacht, jedoch war der Weg dorthin mehr als mühselig. Man gewöhnt sich letztendlich an das Gameplay, an die Persönlichkeit der Helden und den Humor, was letztendlich der guten Inszenierung zugrunde liegt. Der Fokus auf dem Erzählen einer Geschichte und dem Aufbrechen des Franchise von Gut und Böse in ein komplexeres Konzept aus charismatischen Figuren funktioniert gut, jedoch mit Abstrichen. Der Rest mündet dennoch in ein generisches, technisch mangelhaftes und anspruchsloses Plattformer-Abenteuer, welches der Kultfigur Sonic leider nicht gerecht wird.