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Chuck My Life #6 – Mit Rollerblades durch die Spielehölle

von am 28. Juli 2017
 

Lesezeit: 4 MinutenWas viele Menschen nicht über mich wissen ist, dass ich vor I KNOW YOUR GAME bereits Redakteur eines anderen Videospielmagazins war. Ich war ein junger, euphorischer Videospielenthusiast, unverbraucht, voller Hoffnung und sicher gut 30 Kilogramm leichter. Das ist jetzt zwölf Jahre her. Ich war 16 Jahre alt und hatte meine allererste DSL-Leitung. Damals hatten wir noch keine Flatrate, sondern ein eingeschränktes Datenvolumen von 3GB. Da musste ich mir meinen Internetkonsum noch gut einteilen, was sich als pubertierender Junge ohne Freundin als äußerst schwierig herausstellte, aber das ist ein Thema für einen anderen Tag. In jedem Fall hatte ich den großen Traum, Videospieljournalist zu werden. Damals las ich noch regelmäßig Magazine wie die GameStar oder die ComputerBILD Spiele und war teilweise so empört von den Wertungen, die meine Lieblingsspiele erhielten (Final Fantasy VII erhielt nur eine 97? Keine 100? Empörung!), dass ich den unbändigen Drang verspürte, den Leuten meine eigenen Wertungen um die Ohren zu hauen. Also suchte ich auf verschiedensten Videospielseiten nach einem Job. Die GameStar reagierte auf meine informelle Bewerbung überraschenderweise gar nicht erst. Aber eine Seite suchte händeringend neue Redakteure und erbarmte sich:

www.filehell.de

Ihr braucht gar nicht erst auf den Link klicken, denn die Domain führt bereits seit längerer Zeit ins Nirvana. Ich habe recherchiert. Das Internet vergisst zwar nicht, aber FileHell ist vergessen worden. Zurecht, meiner Meinung nach. Mein damaliger Chefredakteur, nennen wir ihn Paul, war hauptberuflich Freelancer. Diese Jobbezeichnung klang so verdammt cool. Er musste ein großes Tier in der Branche sein. Wir hatten zunächst nur Mailkontakt, aber nachdem ich dann Teil des Teams geworden war, tauschten wir Telefonnummern aus. Ich erzählte meiner Mutter ganz aufgeregt, dass ich nun eine Karriere als großer Journalist anstrebte und deshalb bereits mit einem fremden Mann aus dem Internet telefoniert hatte. Je länger ich darüber nachdenke, desto fragwürdiger erscheint mir das Urteilsvermögen meiner Mutter in dieser Sache. Aber Paul war ein netter Kerl. Ein wenig komisch, aber nett. Er erklärte mir, wie man mit einem FTP-Serverclient umging, wie ich Artikel online stellte und versprach mir die Welt. Er sprach von Besuchen auf der gamescom (damals noch Games Convention), von Gratis-Spielen und wie er uns irgendwann futuristische Mobiltelefone besorgen würde, mit denen wir dann ins Internet gehen könnten. Haha, natürlich. Telefone im Internet. So ein Spinner.

Bei all’ diesen tollen Dingen, die er mir schenken wollte, da konnte ich darüber hinwegsehen, dass er mich immer nur Christian nannte und ich ihn am Telefon nie richtig verstand, weil er zum einen ein sehr beschissenes Handy hatte und zudem auch noch einen Sprachfehler, sodass ich im Prinzip nur jedes zweite Wort von ihm verstand und ich die Hälfte seiner Aussagen aus dem Kontext herleiten musste. Aber ich war glücklich. Schließlich würde ich den Pulitzerpreis – ach was sag ich – den Literatur-Nobelpreis für meine fantastischen Gaming-Reviews erhalten!

Und dann kam der Tag, an dem ich meine erste Review schreiben sollte. Paul erzählte mir, dass er ein Spielemuster für mich hatte, das ich doch bitte testen sollte. Hell yeah! Er schickte das Paket los und die nächsten Tage war ich so aufgeregt, dass ich kaum essen oder schlafen konnte. Ein paar Tage später traf das Paket ein und ich rannte sofort in mein Zimmer, riss die Verpackung auf und zum Vorschein kam etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Hello Kitty: Roller Rescue.

Bedenkt, dass ich ein 16-jähriger Teenager war, der in der Schule sowieso schon Probleme damit hatte, sich als “ganzer Mann” zu beweisen. Heutzutage lache ich darüber, aber damals fand ich das nicht ganz so witzig. Zumal ich Freunden bereits erzählt hatte, dass ich ab jetzt nie wieder für Spiele zahlen müsste, weil ich ganz viele Testmuster kriegen würde. Aber nun hielt ich stattdessen dieses pinke Monstrum in der Hand und musste wohl oder übel eine Review dazu schreiben. Ich öffnete die knallbunte Hülle und installierte das Game. Zuvor musste ich meine Festplatte ein wenig leeren, denn das Spiel war riesig, bestimmt 3GB groß. Aber dann konnte die Action auch schon starten! Ich glaube, ich habe die kleine Hello Kitty ganze 30 Minuten dabei begleitet, wie sie auf Rollerskates gegen eine kunterbunte Alieninvasion kämpfte. Dann hatte ich mein Urteil gefällt. Das Spiel war gut. Nein, wirklich! Es war ein generisches Jump’n’Run-Game, keineswegs ein künstlerisches Meisterwerk, aber für die Zielgruppe, die es ansprechen sollte, war es wirklich kein schlechtes Game. Und genau so schrieb ich das auch. Meine erste Review sollte aber auch meine Letzte für FileHell gewesen sein. Irgendwann ging ich einfach nicht mehr ans Telefon. Stattdessen lernte ich, mich für andere Dinge zu begeistern. Ich lernte meine erste Freundin kennen, erhielt eine DSL-Flatrate (auch wenn ich sie dank Freundin nun nicht mehr so dringend brauchte), kaufte mir ein Skateboard und meine kurze Karriere als Videospielredakteur fand ein abruptes Ende.

Ich habe das halbe Internet nach dieser Review abgesucht, bin aber leider nicht fündig geworden. Was ich allerdings gefunden habe, war folgender Link:

http://urltra.de/detail/16587/filehell-brandheisse-news-aus-der-spielehoelle-pc-konsole-testberichte-gamemagazin/

Man beachte die Searchtags, in denen die Worte “Hello Kitty” vorkommen, was darauf schließen lässt, dass es nicht viele Reviews auf diese Seite geschafft haben. Ich habe recherchiert und Einiges über Paul herausgefunden. Er arbeitet immer noch als Freelancer und war einige Zeit 3D Visual Artist für verschiedene Gamingprojekte. Der Mann ist seinem Traum treu geblieben. So wie ich. Denn ein Gutes hat es: Ohne Filehell wäre ich vermutlich nie auf die Idee gekommen, Teil von I KNOW YOUR GAME zu werden.

Insofern: Danke, Paul.

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