Lesezeit: 7 MinutenEs ist ein wenig still geworden um Fire Emblem. Der letzte vollwertige Titel Radiant Dawn erschien 2007 auf der Wii. Zwar gab es in der Zwischenzeit zwei Remakes auf dem Nintendo DS, doch selbst davon erschien nur Fire Emblem: Shadow Dragon außerhalb Japans. Jetzt schlägt Entwickler Intelligent Systems zurück, denn Fire Emblem: Awakening soll auf dem 3DS auch völlig neue Zielgruppen erschließen.
Fire Emblem Logbuch, Bahnfahrt 26, Eintrag 118…
Meine Hände zittern. Seit 20 Minuten habe ich mich in dieser Schlacht tapfer geschlagen und keine Einheit verloren. Nur der Endgegner dieses Kampfes verharrt in seiner Ecke und wartet darauf vermöbelt zu werden. Er ist stark. Verdammt stark. Einer meiner Krieger wird nicht reichen, um ihn in einem Zug zu vernichten. Ein Gegenschlag würde tödlich enden. Ich positioniere meine tapferen Recken um ihn herum. Die letzte Runde steht bevor, meine letzte Einheit wurde platziert. Mein Gegenspieler ist dran. Aber er sollte brav in seiner Ecke stehen bleiben, so dass ich ihn in der nächsten Runden von allen Seiten attackieren kann. Doch was macht er? Er bleibt nicht stehen. Er zieht zu einer schwachen Zauberin, von der ich im Leichtsinn dachte, er könne sie nicht erreichen. Meine Augen weiten sich. Es gibt immer noch die Chance, dass sein Schlag ins Leere geht. Vielleicht könnte… Aber da ist es schon geschehen. Peng. Sie ist tot. 20 Minuten meines Lebens im Nichts verpufft. Würde ich nicht in einem rappelvollen Zug sitzen, würde ich am liebsten lauthals “ZENSIERT” schreien. Aber ich schließe die Augen, resette mein Spiel und nehme mir vor, es beim nächsten Mal besser und mit weniger Leichtsinn zu machen. Herzlich Willkommen bei Fire Emblem: Awakening auf dem Nintendo 3DS!
Dimensionsportale, Untote und jede Menge Helden
Mein kleiner Einstieg soll euch schon mal darauf einstimmen, was die Faszination Fire Emblem eigentlich ausmacht. Aber worum geht es hier eigentlich? Glücklicherweise muss man die vorangegangenen Teile nicht gespielt haben, um sich einen Überblick zu verschaffen. Awakening schlägt ein neues Kapitel in der Welt von Fire Emblem auf, in der gleich an mehreren Fronten dunkle Wolken aufziehen: Das friedliche Königreich Ylisse wird permanent von Plegia provoziert. Ein Krieg scheint unausweichlich, allerdings gibt es da noch die unheimliche Bedrohung in Form von Dimensionsportalen, aus denen zahlreiche untote Soldaten gekrochen kommen. Zu Beginn erstellt ihr einen Hauptcharakter, der Prinz Chrom und seine Gefolgsleute auf ihrem beschwerlichen Weg begleiten wird, ihr Königreich zu retten.
Die Qual der Wahl – Der Schwierigkeitsgrad und seine Tücken
Auch wenn es kein wirklich neues Feature ist vor Spielbeginn einen Schwierigkeitsgrad auszuwählen, spielt es in Fire Emblem: Awakening eine maßgebliche Rolle. Speziell die Option, neben dem Schwierigkeitsgrad das Perma-Death-Feature auszuschalten, könnte euer Gesamterlebnis des Spiels stark beeinflussen. Was steckt hinter dem neumodischen Schnickschnack-Begriff Perma-Death? Sollte eine eurer Einheiten während einer Schlacht das zeitliche Segnen, ist diese für immer verloren. Sofern es sich bei der Einheit nicht um euren Avatar oder Prinz Chrom handelt, läuft das Spiel normal weiter. Der Tod sitzt euren Einheiten also immer im Nacken und macht das Spielgeschehen umso spannender, da ein Verlust stundenlanges trainieren im Nichts verpuffen lassen würde – ganz zu Schweigen von der persönlichen Bindung zum Charakter. Wenn ihr alle Charaktere bis zum Ende behalten wollt, hilft nur ein Reset nach jeder verlorenen Einheit. So nervig es sich anhört, es ist seit Serienbeginn ein stilprägendes Spielelement und sollte wirklich nur ausgeschaltet werden, wenn ihr ausschließlich an der Story interessiert seid und möglichst frustfrei zum Ende kommen wollt.
Der Schwierigkeitsgrad wird ebenfalls über Frust und Lust entscheiden, je nachdem welcher Typ Spieler ihr seid. Es ist keine Schande, als Neuling erstmal mit dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad “Normal” zu starten, da ihr später keine Möglichkeit mehr haben werdet, die Schwierigkeitsstufe zu ändern. Dies könnte nach mehreren Stunden ärgerlich sein, wenn ihr der steilen Lernkurve nicht gewachsen seid. Speziell der knallharte “Extrem”-Modus wird selbst Profis das Fürchten lehren und euch dermaßen zermürben, dass ihr den 3DS schnell in die Ecke pfeffern werdet. Nicht nur, dass die gegnerischen Einheiten deutlich aggressiver Vorgehen, sie sind auch breiter aufgestellt und haben höhere Werte. Ich weiß, ihr schmunzelt und denkt euch: “Ach komm, so schlimm wird es schon nicht sein.” Oh doch, Freunde. Wenn schon im Prolog jede einzelne eurer Einheiten dermaßen auf den Sack kriegt, dass der Kampf nach zwei Runden entschieden ist, werdet ihr an meine Worte denken.
Buntes Schachbrett in 3D
Nachdem ihr euch entschieden habt wie hart euer Abenteuer werden wird, kann es endlich losgehen! Fire Emblem bleibt seinen rundenbasierten Taktik-Rollenspiel-Wurzeln treu. Ihr könnt euch das Spielgeschehen wie eine modernere Form von Schach vorstellen: Nacheinander zieht jede Seite ihre Figuren und greift die gegnerische Partei nach Möglichkeit an. Eure und die gegnerische Armee haben verschiedene Einheiten mit jeweils anderen Attributen. Pferde können beispielsweise weitere Strecken zurücklegen als gepanzerte Ritter. Bogenschützen und Magier haben zwar geringe Verteidigungswerte, können aber aus weiterer Entfernung Treffer landen. Gepaart mit einer Art Schere-Stein-Papier-Prinzip können bestimmte Einheiten besonders effektiv bekämpft werden. Man spricht im Fire Emblem-Universum vom Waffen-Dreieck. Das auf den ersten Blick simple hin- und hergeschiebe von Einheiten birgt Rafinessen, die unbedingt berücksichtigt werden müssen. So kann es Spielentscheidend sein, welche Gegenstände jede Einheit mit sich führt. Waffen zerbrechen nach einer Weile, habt ihr eine Ersatzwaffe im Gepäck? Und wenn der nächste Heilpriester zu weit weg ist, werdet ihr euch wünschen einen Heiltrank eingesteckt zu haben. Aber auch die beste Vorbereitung und Taktik kann durch einen kritischen Treffer zunichte gemacht werden und euch in manch haarsträubende Situation bringen. Gerade die nie 100%ig berechenbaren Abläufe im Gefecht sorgen für Spannung. Die Steuerung ist dabei höchst durchdacht und geht schnell in Fleisch und Blut über, so dass ihr euch bald nur noch auf das Taktieren konzentrieren müsst.
Päärchen, Kinder und noch viel mehr!
Anders als in ähnlichen Genrevertretern spielt die Blickrichtung eurer Spielfiguren keine Rolle. Es gibt auch keine höher- bzw. tiefergelegenen Ebenen, dafür aber bestimmte Felder wie Wälder oder leerstehende Festungen. Diese geben euren Einheiten einen Stats-Boost oder heilen nach jeder Runde ein paar Lebenspunkte. Neu innerhalb der Reihe ist die Bildung von Paaren. Nicht nur, dass nebeneinander stehende Einheiten sich gegenseitig unterstützen, ihr könnt sie sogar miteinander verschmelzen. So könnt ihr z.B. einen Schwertkämpfer mit einem Reiter paaren, mit dem Pferd weitere Strecken zurücklegen und wieder zum Schwertkämpfer wechseln, um zum vernichtenden Schlag auszuholen. Je öfters ihr bestimmte Einheiten miteinander losziehen lasst, desto stärker wird deren Bindung. Bei Männlein und Weiblein geht das sogar so weit, dass sie irgendwann heiraten und Kinder kriegen. Die Sprösslinge dürfen dann sogar mitkämpfen, daher spielen die Status-Werte der Eltern auch eine maßgebliche Rolle. Abseits der Kämpfe gibt es auf der Oberwelt viel zu entdecken: Neben den obligatorischen Händlern und Zufallskämpfen (die ihr freiwillig auslösen könnt), werden die 3DS-Features vollends ausgeschöpft. SpotPass heißt das Zauberwort!
Schöne neue Online-Welt
Über SpotPass könnt ihr euch neue Herausforderungen herunterladen oder gar Kämpfer rekrutieren. Auch lokale Multiplayer-Matches sind möglich, was ich jedoch nicht ausprobieren konnte. Erstmals in einem hauseigenen Nintendo-Titel werden DLCs angeboten, die mit zwei Euro pro Kampfkarte aber deutlich zu teuer ausgefallen sind. Das Tückische daran ist, dass man zumindest im Extrem-Modus sogar darauf angewiesen ist DLCs zu kaufen, da man sonst keine vernünftige Auflevel-Möglichkeiten hat. Sieht man von den Preisen mal ab, passen die DLC-Herausforderungen aber perfekt in das Fire Emblem-Universum, da sie euch immer wieder mit neuem Spielspaß versorgen werden.
2D und 3D – eine perfekte Symbiose
Eigentlich brauch es innerhalb des Taktik-RPG-Genres keine aufwändigen Grafiken, aber Fire Emblem: Awakening holt auch in diesem Punkt so ziemlich alles aus dem Nintendos 3D-Zauberkasten raus: Umwerfend schöne Anime-Zwischensequenzen im Cel-Shading-Look, hübsch anzusehende Schlachtfelder in 3D und liebevoll animierte Sprites in 2D. Beim Aufeinanderprallen von Einheiten seht ihr zudem noch eine schicke Animation, in der ihr sogar die Kameraeinstellung etwas beeinflussen könnt. Der 3D-Effekt wurde zudem äußert clever eingesetzt: Trotz flacher Landschaften entsteht durch die umherstehenden Bäume und Gebäude ein schönes Tiefengefühl. Es gibt auch Schlachten, die im Umfeld eines Schneesturms oder brennenden Waldes spielen. Hier fliegen Schnee- oder Ascheflocken im Vordergrund durchs Bild und lassen euch oft denken, dass etwas Schmutz auf eurem 3DS gelandet ist. Auch die Musik überzeugt, sowie die entweder englische oder japanische Sprachausgabe. Gesprochene Dialoge finden übrigens nur in den Zwischensequenzen statt, normale Gespräche laufen ähnlich wie bei Zelda nur mit kurzen Ausrufen und Textboxen ab. Angesichts der hohen Textdichte und der Tatsache, dass manche Charaktere im Verlauf der Geschichte sterben können, ein logischer Schritt.
Tag der Abrechnung: Extrem-Modus
Bevor wir zum Fazit schreiten, möchte ich trotz aller Lobhudelei noch ein Wort zum Extrem-Modus verlieren. Ehrgeizig wie ich bin, habe ich mich natürlich gleich am höchsten Schwierigkeitsgrad versucht. Aber mal ganz ehrlich, dieser Modus ist wirklich nur was für Masochisten. Das Problem ist nämlich, dass man erst nach dem 4. Kapitel den Zugang zu den DLCs freischaltet, um zu grinden. Davor seid ihr auf euch gestellt und müsst die fünf schlimmsten Schlachten eures Fire Emblem-Lebens schlagen, denn es ist effektiv nur einer Einheit in eurer Armee möglich, überhaupt etwas gegen die gegnerische Übermacht auszurichten. So muss man alle Einheiten bis auf eure Power-Einheit geschickt in die Ecken bewegen, um vor gegnerischen Angriffen verschont zu bleiben – mit Taktik hat das nicht mehr viel zu tun. Aber wisst ihr was? Wenn man es schafft, fühlt man sich wie der schlauste Mensch der Welt. Herz-Kreislauf-Störungen inklusive.
Fazit – Perfektion hat einen Namen
Wenn ein Handheld-Spiel mich nicht mehr von der Schüssel lässt und mir bei jedem Klogang die Beine einschlafen, macht es etwas verdammt richtig. Fire Emblem: Awakening sollte ganz oben auf eurer Einkaufsliste stehen, wenn ihr euch auch nur im Entferntesten für rundenbasierte Taktik-Rollenspiele interessiert. Intelligent Systems hat den 3DS-Ableger sinnvoll auf das System angepasst und alle Wünsche erfüllt, die man in diesem Genre nur haben kann: perfekte Spielbarkeit, gutes Balancing (auf Normal/Experte), spannende Gefechte und eine großartige Präsentation. Man hat das Gefühl, dass Fire Emblem schon immer auf dem 3DS hätte stattfinden müssen. Lediglich der übertrieben harte “Extrem”-Modus, den man nur über recht teure DLCs entschärfen kann, kratzt etwas an der ansonsten makellosen Oberfläche von Fire Emblem: Awakening. Natürlich mag der ein oder andere Fire Emblem-Veteran Angesichts eines Anfänger-Modus ohne Perma-Death die Nase rümpfen. Allerdings zwingt das Spiel einem diesen Modus nicht auf, so dass jeder Spielertyp seinen Spaß haben kann. Gerade für Neueinsteiger eignet sich der aktuellste Ableger der Serie perfekt, um einen Blick in das Fire Emblem-Universum zu werfen. Das Spiel saugt euch mit Haut und Haaren auf und unterhält euch dermaßen gut, dass es schon verboten gehört. Ein solches Spiel verdient nur eines: Die Höchstwertung.
Wird zeit, dass ich das Spiele. Die beiden zusammenhängenden Teile auf GameCube und Wii habe ich mehr als nur einmal durchgespielt. Klasse Test, bin gespannt!