Lesezeit: 6 MinutenFrüher war alles besser, das ist natürlich klar. Schaut euch nur mal den heutigen Motorsport an. In der Formel 1 schmettern reiche Hipster in raketenartigen, windkanalgeformten und weltraumtechnologisch optimierten Torpedos auf Rädern um einen minutiös auswendig gelernten, etwa drei bis fünf Kilometer langen Flachland-Rundkurs. Keine Spur mehr von der alten Zeit der Niki Laudas und James Hunts, der Ayrton Sennas und – ja – Michael Schumachers. Damals. Als es noch große Testikel brauchte, um ein solches Geschoss ohne eine Armada von elektronischen Helferlein um die engen Kehren zu wuchten, das Pedal auf Anschlag und den Schweiß auf der Stirn, die Hände gedanklich zum Gebet gefaltet und den an den Grenzen der Physik um Haftung kämpfenden Reifen gut zusprechend. Und wenn das Rennen vorbei war, dem Sensenmann mal wieder eher knapp als mit gutem Vorsprung eine lange Nase gezeigt, wurde ein schönes Bierchen aufgemacht. Nicht selten gemeinsam mit einem der zahlreichen – damals durchaus noch aus guten Grund so genannten – Boxenluder. Die Fahrer waren Haudegen alter Schule, gleichzeitig aber Menschen wie Du und ich. Nahbare Charaktertypen. Und der Sport selbst war noch keine groß angelegte Marketingkampagne für Mercedes und Red Bull.
Ein Hoch auf den Rallyesport
Das gibt’s doch heute alles gar nicht mehr! Oder vielleicht doch? Heute mehr Nischenrennsport denn je, zeigt die World Rally Championship der Formel 1 den Mittelfinger (möglicherweise auch aus Neid über fehlende Medienabdeckung), und besinnt sich auf alte Tugenden. Fahrer, Co-Pilot und im Vergleich zur Formel 1 ziemlich seriennahe Allrad-Geschosse. All das einmal im Thermomix gut vermischt mit halsbrecherischen Strecken über Stock und Stein, Schnee und Eis, Schotter und Matsch. Et voilà – Motorsport vom Feinsten. Der Rallyesport hat sich seit seiner Anfangszeit gar nicht so sehr verändert.
Und wie man das Ganze virtuell herausragend in Szene setzt, hat erst kürzlich Codemasters mit dem international hochgelobten Dirt Rally eindrucksvoll bewiesen. Muss sich also der neueste Rallye-Ableger WRC 6 am Platzhirschen messen lassen? Ja und nein. Ja, weil es der selbe Motorsport ist. Und nein, weil es eine andere Richtung einschlägt.
Die letzten Ableger der WRC-Reihe waren nicht unbedingt das, was man als gelungene Rennspielumsetzung bezeichnen würde. Wie schlägt sich also Nummer 6 auf dem internationalen Parkett?
Grafik ist nicht alles. Aber vieles.
Lasst uns erst einmal die offensichtlichen Dinge aus dem Weg räumen. Zum Beispiel die Grafik. Ist nicht wichtig? Ich sage: doch. Ein Rennspiel bildet nun mal, soweit möglich, die Realität ab. Also soll der WRC Polo von Volkswagen doch bitte auch so aussehen, wie ich ihn kenne. Und auch die finnischen Wälder bei Höchstgeschwindigkeit dürfen gerne wie finnische Wälder bei Höchstgeschwindigkeit aussehen. Sichtbare Pixel und die Reduktion auf das Wesentliche mögen mich bei Retrogames in Verzückung versetzen. Hier allerdings will ich Realismus. Und jetzt sieh’ mal einer an, Bigben Interactive und Kylotonn Racing Games haben hier einen guten Job gemacht. Wir reden nicht von der Speerspitze der grafischen Virtuosität, wie sie ein Forza Horizon 3 auf den Screen zaubert. Aber ich bin wirklich mittendrin im Rallye-Zirkus. Wunderbar.
Übermächtige Konkurrenz?
Und eine weitere wichtige Frage möchte ich gerne an dieser Stelle schon beantworten: Ist WRC 6 so gut wie Dirt Rally? Nein. Die herausragende Präzision, die bei Dirt Rally allerdings auch erst mit dem entsprechend kostspieligen Volant inklusive Pedalerie mit Kupplung richtig zur Geltung kommt, erreicht WRC zu keiner Zeit. Die gute Nachricht ist aber: das war überhaupt nicht das Ziel der Entwickler. Wo der geistige Nachfolger der Colin McRae-Reihe höchsten Simulationsansprüchen gerecht werden will, zielt WRC 6 auf den mäßig-ambitionierten Zocker, der mit Gamepad auf dem Sofa lümmelt und nicht unbedingt mit jedem Rennen Zehntelsekunden von seiner Bestzeit schälen möchte. Beides hat seine absolute Daseinsberechtigung.
Und nach ausgiebigem Zocken beider Spiele lässt sich unumstößlich eine Tatsache festhalten: WRC 6 ist das zweitbeste Rallyespiel auf dem Markt. Nicht, dass es viel Konkurrenz gäbe, aber auch ohne weitere Vergleiche hat sich die WRC-Reihe mit dem sechsten Ableger vom kläglichen Versuch eines Lizenzspiels zum echten Geheimtipp gemausert. Und wenn sich dieser Trend fortsetzt, dann werden die Karten vielleicht schon 2017 neu gemischt.
Simulation oder nicht?
Definitiv nicht. Glücklicherweise, möchte ich anfügen. So sehr mich Dirt Rally fasziniert hat, so sehr habe ich es immer wieder gehasst, dieses Ungetüm von Simulation, das keine Fehler verzeiht und mich regelmäßig an den Rand des Wahnsinns getrieben hat.
Nein, WRC 6 ist der handzahme kleine Bruder, der auch Anfängern die Chance gewährt die Ziellinie zu sehen. Dabei sind die Unfälle aufgrund des wirklich schönen Schadensmodells ein echter Hingucker. Überhaupt müssen sich die Fahrzeuge nicht vor der etablierten Konkurrenz verstecken. Und auch ohne Simulationsanspruch bahnt sich der in mir schlummernde Rennfahrer ganz schnell den Weg nach draußen.
Das liegt daran, dass WRC 6 den Rallyesport wirklich hervorragend abbildet. Nicht nur aufgrund der offiziellen Lizenz. Vielmehr wegen des gelungenen Fahrgefühls und der wirklich teils fantastisch designten Strecken. Wenn sich im nächtlichen Finnland auf einer vier Meter breiten Piste mächtige Bäume bei 180 km/h in nur wenigen Metern Entfernung aus der Dunkelheit in den Lichtkegel der am Fahrzeug montierten Festbeleuchtung drängen, dann befindet man sich in einem wohligen Zustand aus innerer Zufriedenheit und blanker Panik. Wenn man auf den kurvigen Schotterpisten in Griechenland den richtigen Flow gefunden hat und fast rhythmisch von Kehre zu Kehre fliegt, dann ist das die pure Freude. Und wenn man auf vereistem Untergrund 90 Prozent der Strecke kontrolliert quer steht, dann ist man schlicht und ergreifend: der Boss.
WRC 6 bringt die Eigenheiten des Rallyesports, die Geschwindigkeit und den Nervenkitzel mit einer willkommenen Leichtigkeit auf den Screen. Hier steht genau eine einzige Sache im Vordergrund: Spaß! Wir sprechen hier aber nicht von einem reinen Arcade-Racer. Die eingängige Steuerung von WRC 6 bietet genügend Spielraum, um mit jedem Versuch besser zu werden, die Feinheiten des Driftens zu lernen und Kurven immer enger zu nehmen. Die Autos haben ein angenehmes Gewicht und fühlen sich entsprechend auch nicht an wie ferngesteuerte Autos im Maßstab 1:18. Dazu tragen nicht unwesentlich auch die wirklich ertastbaren Streckenbeläge bei. Dirt Rally mag in all’ diesen Bereich immer noch uneinholbar vorne liegen, aber hey: hat sich Vegeta ständig beschwert, weil er nie so gut wie Goku war? Naja, irgendwie schon. Sogar ohne Pause. Aber ihr versteht, was ich meine!
Kehre links, zwei rechts, über Kuppel, Achtung Sprung, macht zu.
Jede Kurve, auf der von der Rundstrecke bekannten Ideallinie zu nehmen, kann allerdings ganz schnell mit umherfliegenden Stoßstangen enden. Wie eine Ehefrau im echten Leben, sagt dir dein Co-Pilot wo es lang geht. Im Gegensatz zum echten Leben, solltest du allerdings bei WRC 6 wirklich zuhören. “Links zwei, einhundert, vier rechts, verjüngt sich, Achtung Sprung” heißt auch wirklich “links zwei, einhundert, vier rechts, verjüngt sich, Achtung Sprung”. Der Co-Pilot ist nicht nur schmückendes Beiwerk. Er ist das exakteste Navigationsgerät der Welt. Wenn er sagt “nicht schneiden”, dann bist Du gut beraten, die Kurve weiter außen zu nehmen. Denn vermutlich liegt im engeren Kurvenradius ein fetter Gesteinsbrocken im Weg.
Diese nervenaufreibende Mischung aus fehlender Streckenkenntnis und vollständiger Abhängigkeit von dem Mann auf dem Beifahrersitz, machen nicht nur im echten, sondern auch im virtuellen Rallyesport den überaus spaßigen Nervenkitzel aus.
Audiovisuell ein großer Fortschritt
Wie bereits erwähnt, muss sich WRC 6 grafisch nicht mehr verstecken. Aber auch der Sound ist nicht zu verachten. Das charakteristische Böllern der verhältnismäßig kleinhubigen Turbo-Motoren, das Schmatzen und Spratzen aus dem Auspuff, die pfeifenden Turbos und natürlich das am Unterboden klackernde Geröll auf Schotterpisten – einfach wundervoll. Es fühlt sich so an, wie es ist – rau, dreckig, rustikal. Ein wunderschöner Kontrast zu den hochglanzpolierten Forzas und Gran Turismos.
Allein’ auf weiter Flur
Wie es der klassische Rallyesport so an sich hat, fährt man nicht im direkten Zweikampf Stoßstange an Stoßstange. Vielmehr gibt es zwei nicht minder einschüchternde Gegner: die Strecke selbst und dein eigenes Gespür für Selbstüberschätzung. Bis man alle Strecken auswendig kann, dürften einige Wochen ins Land ziehen. Dementsprechend wird man nie mit der gleichen Gelassenheit und Ruhe über den Schotter fliegen, mit der man mittlerweile selbst die Nordschleife spätestens seit Gran Turismo 2 abarbeitet. Been there, done that!
Nicht so bei WRC. Unzählige an die echten Special-Stages angelehnten Strecken, an den üblichen weltumspannenden Originalschauplätzen, lassen zu keiner Zeit Langeweile aufkommen. Von Wales bis nach China – wenn eine lange Wertungsprüfung von knapp zehn Minuten ansteht, dann sitzt man auf der Sofakante und begibt sich in den mentalen Tunnel, der nur noch Gas und Handbremse kennt. Kein Jucken an der Nase, kein Durstgefühl, keine nörgelnde Freundin – es gibt nur noch dich, das Auto und eine beeindruckende Anzahl von Kurven, die unerbittlich nach diesem einen kleinen Fehler trachten.
Langzeitmotivation? Hamwa!
Zum Einen unterhält ein gutes Rennspiel mit der Jagd nach Bestzeiten ohnehin schon mal deutlich länger als Generisches Actionspiel 3. So auch WRC 6. Das Fahren macht Spaß und auch ohne mit der Karriere zu starten ist die Auswahl an Strecken und Witterungen so umfassend, dass von Langeweile nicht die Rede sein kann. Allerdings ist auch die Karriere rundum gelungen. Ich starte als unbekannter kleiner Fahrer in der “Junior WRC”, die zwar im Vergleich zur Königsklasse untermotorisiert daherkommt, mir aber so auch ein gutes Gespür für die Streckenverläufe und deren Eigenheiten ermöglicht. Bis ich dann in der “WRC” angekommen bin und mich mit Sebastién Ogier messen darf, ziehen einige kurzweilige Stunden ins Land, in denen ich viel gelernt habe, die sich aber nicht nach Lernen angefühlt haben.
Fazit
Irgendwie hatte man als Fan dieses Motorsports abgesehen von Dirt Rally schon nicht mehr mit nennenswertem Nachschub gerechnet. Und dann kommt WRC 6 um die Ecke, donnernd und in voller Fahrt wie ein hochgezüchteter Rallyebolide, und entledigt sich des gesamten Ballasts, der noch Teil 5 geplagt hatte. Schöne Optik, toller Sound, großartige Steuerung, motivierende Karriere, abwechlungsreich wie die Ehefrauen von Lothar Matthäus. Und als ganz großes Atmosphäre-Plus die Originallizenz der WRC. Liebes Team von Kylotonn, wir können uns nur bedanken. Neben Dirt Rally haben wir nun wieder einen würdigen Vertreter der weniger anspruchsvollen Dreck-Raserei, der beim Spielspaß aber kaum zurückstecken muss.
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