Lesezeit: 6 MinutenWäre dieser Artikel ein Boxkampf, würde eine ellenlange Einleitung die Geduld des Rezipienten strapazieren, sich selbst huldigen sowie einer Menge Dinge von Unbelang zu viel Präsenz verleihen – diesen Fehler macht dieser Artikel nicht. Und noch wichtiger: diesen Fehler macht auch Fight Night Champion nicht! Ring frei zum Test der Boxsimulation mit einer Story voll Kampf, Herz, Tragik – und Kitsch.
Das Intro wird eingeblendet, EAs Einzeiler sagt uns, wir sind “in the game” – und wie! Schnell reiße ich das Gamepad vom Tisch, denn ich werde sofort gefordert. Ohne Vorwarnung muss ich vor einem Haufen Müllmänner einem bleichen Kollegen die Visage dick hauen. Der Mann schlägt kräftig zurück und schickt mich das erste Mal auf die Bretter. Mit dem aus dem Vorgänger, Fight Night: Round 4, bekannten Minispiel rappel ich mich wieder auf, die verschwommene Sicht klart auf. Ich bin wieder da, habe Wut im Bauch und transportiere sie über den rechten Analogstick direkt ins Spiel, der Müllmann ist mein Opfer. Die, zugegeben, ungewollte Links-links-rechts-Kombination haut ihn um – ich siege. Und merke, dass ich im Knast bin. Kein Ruhm, kein Glamour, nur purer Abbau von Aggressionen – die Essenz des Boxens eben. Eine Zwischensequenz später, in der ich zum Zuschauen verdonnert werde, wie meinem Alter Ego kräftig der Hintern versohlt wird, liege ich im Knastbett.
Was bisher geschah
Eine Rückblende schickt den Hauptcharakter, Andre Bishop, zurück zu den Anfängen seiner Karriere. Sein alter Trainer, ein kleiner, kauziger Kerl mit Mütze namens Gus, gibt mir Anweisungen. Als Mittelgewicht muss ich schnell schlagen und mich ständig bewegen, wenn ich zu einer großen Nummer im Boxsport werden will. Werde ich aber nicht, sagt D. L. McQueen, ein Boxpromoter, der seine Handlanger überall hat und auch vor Manipulationen nicht zurück schreckt. Als guter Kerl lehnt mein Trainer natürlich ab, einen Kampf um den Titel im Mittelgewicht gegen eine Unterschrift bei McQueen einzutauschen. Die andere und weitaus spaßigere Methode ist allerdings, einfach ungeschlagen zu bleiben und somit den “Title-Shot” für Andre unausweichlich zu machen. Und so kämpfe ich mich über 5 Jahre zu einer Bilanz von 11-0 hoch. Dabei hat jeder Gegner spezielle Techniken, die der alte Trainerfuchs Gus natürlich sofort durchschaut und mir die Kampftaktik aufzwingt. Teilweise sind K.O.-Schläge ein Muss, mal reicht auch ein Punktsieg. Der erste Kämpfer ist Spätzünder, der immer ausweicht und eine Minute vor Kampfende Gas gibt.
Hier offenbart die Steuerung die erste Schwäche: Vergeblich versuche ich, ihn in den ersten beiden Minuten zu attackieren, doch er weicht stets zurück und ich komme nicht hinterher. Mein Boxer bewegt sich zu langsam, meine Bewegungen am Gamepad werden hektisch. Das hat zur Folge, dass ich ständig ungewollt “nachschlage”, obwohl ich längst eine andere Bewegung ausführen möchte. Zwar ist die Steuerung weitaus unanfälliger für ungewollte Arten von Schlägen wie noch im Vorgänger, wo aus einem einfachen, schnellen Jab ein langsamer Haken wurde, doch Trägheit der Steuerung vermiest die Taktik des frühen Angreifens. Also lass ich den Mann auf mich zukommen, drücke Decken und schlagen gleichzeitig – Taktik sieht anders aus. Weitere Gegner sind ausgewiesene Power Puncher, denen ich mit schnellen Schlägen zusetzen muss. Oder fixe Schläger, die aber nicht einstecken können und somit von mir mit harten Schlägen (R2 + rechter Stick) bearbeitet werden. Zwischen den Kämpfen leitet der real existierende ESPN-Moderator Brian Kenny eine Show, die meine Erfolge zusammenfasst und immer wieder auf den Shootingstar im Schwergewicht, Isaac Frost, verweist, der meine Leistungen geringschätzig kommentiert.
Knacki-Kitsch
Der folgende Storytwist wird nicht verraten, aber in der sehr vorhersehbaren Handlung ist jedem sofort bewusst, gegen wen ich im “Endkampf” in den Ring steige, dass McQueens Tochter ein Faible für mich hat – und dass der Weg nach oben hart wird. Er führt mich durch den Knast. Hier beweist Fight Night Champion Mut: statt sauberer Fights muss ich mit blankem Knochen einen Haufen Glatzköpfiger Knackis zeigen, wo der Hammer hängt. Illegale Kopfstöße und der Tiefschlag helfen mir dabei. Die dreckigen Kämpfe erzeugen viel Atmosphäre und ich danke EA dafür, die Knastmentalität durch unsauberes Kämpfen zu unterstreichen!
Auch optisch ändert sich Bishop, um seine Umstände deutlicher zu machen. Im Knast trägt er Vollbart und Afro, die vorher unbescholtene Haut wird durch Tattoos verziert. Durch die viele Zeit trainiert Bishop so lange, bis er zum Schwergewicht wird – spätestens hier sind die Weichen für den Endkampf gelegt. Ja, er trainiert. Es gibt zwar kurze Trainingssessions im Spiel, in denen Schlagkombinationen vorgegeben und nachgemacht werden müssen, aber sonst lehrt das Spiel nur während der Kämpfe. Ausprobieren ist angesagt. Wer nicht längere Zeit im Singleplayer geübt hat oder den Vorgänger gespielt hat, kämpft zunächst eher wirr denn koordiniert.
Bishop in der Königsklasse
Als Schwergewicht kämpfe ich mich durch eine Reihe unbekannter Namen mit wiederum unterschiedlichen Kampfsituationen. Absolutes Highlight hierbei: Im Kampf bricht sich Bishop die Hand durch einen Schlag ins Gesicht des Opponenten (den ich nicht selber ausführen darf – schlecht!). Ich darf also nur mit der linken Schlagen und soll ihn auch noch K.O. hauen. Sehr motivierend, wenn er denn mal durch einen linken Wischer liegt. Wischer ist hierbei bewusst gewählt, denn den größten Kritikpunkt muss sich Fight Night Champion gefallen lassen: es fehlt an Wumms! Ob in den Replays oder im Kampf selber, habe ich nie das Gefühl, dass ich ein Schwergewicht bin und gerade zum Power Punch ausgeholt habe. Entweder geht der Schlag vorbei und ich denke mir, dass es den Gegner in die Ringseile gefeuert hätte, hätte ich den Schlag genauer getimet.
Trifft jedoch so ein Schlag, ist es eher ein freundschaftlicher Stupser ans Kinn. Auch optisch tut sich bei den beiden schweißnassen Kontrahenten nicht viel, denn sie sehen auch nach einigen heftigen Schlägen aufs Auge noch so frisch aus, wie vor dem Kampf – doch wo kommt dann das Blut auf den Hosen und dem Boden her? Diese Mankos sind gleichzeitig Motivationskiller für das Ende eines Kampfes, in dem das Gegenüber ständig die Oberhand hatte und man selber mit all seiner Wut einen Punch gelandet hat und am Ende doch nur eine verunglückte Begrüßung zweier Hip-Hop-Buddies dabei herauskam. Dass dieser Schlag auch noch ausreicht, ist der größte Hohn – das ging doch schon mal besser!
Weiteres Potential wird mit der Auswahl unbekannter Fantasie-Kämpfer verschenkt. Man hat hier über 50 Boxer lizensiert und modelliert, über 7 Gewichtsklassen hinweg hat man die Auswahl zwischen aktuellen Stars wie den Klitschkos, David Haye oder Legenden wie Mike Tyson und Muhammad Ali. Es mag Lizenzprobleme gegeben haben, diese in die Story einzubinden – anders kann ich mir nicht erklären, warum diese Kämpfer nur dem Einzelspieler- oder Onlinemodus vorbehalten sind. Wobei hier auch die Qualität in der Darstellung schwankt.
Während Tysons Wiedererkennungswert hoch ist, sehen die Klitschkos eher aus, als wäre der zuständige Grafiker lieber durch die Bars in der Ukraine gezogen, als sich ernsthaft mit dem Look der beiden Weltklasse-Boxer zu beschäftigen. Für zukünftige Fight Nights mit Story ist also noch gehörig Luft nach oben. Vielleicht ist es bald sogar möglich, mit dem Game Face-Feature sozusagen seine eigene Geschichte vom No-Name zum Weltmeister-Aspiraten nachzuspielen.
Schicker Schaukampf
Optisch gibt sich Fight Night Champion stark, was daran liegt, dass der Titel auf der Engine des Vorgängers basiert und noch ein wenig aufgehübscht wurde. Das sagt zumindest der Pressetext, im Spiel an sich merkt man davon wenig. Die Einmärsche bieten hier normale Kost, ist aber vom Gänsehaut-Niveau eines UFC Undisputed noch entfernt. Die englischen Sprecher machen einen guten Job. Zwar wiederholen sie sich dann und wann, werden aber niemals nervig.
Fazit:
EA hat mit Fight Night Champion einen tollen Boxtitel geliefert, der für rund sechs Stunden (in der Kampagne) gute Unterhaltung im Boxmilieu bietet. Im Storymodus gleicht kaum ein Kampf dem anderen, die Stärken der Gegner müssen gezielt ausgespielt werden. Dabei variieren die Gegner nach Gewichtsklasse, Milieu und Schwierigkeit. Highlight: der missionsbasierte Endkampf! Abseits der Karriere gibt es in Fight Night Champion wenig zu entdecken und wird zumindest mich nicht darüberhinaus ans Gamepad fesseln. Böser Tiefschlag: die Schläge lassen Masse und Kraft vermissen. Trotzdem gehört dieser Titel zu dem Mutigsten, was ich von EA in letzter Zeit im Sportbereich gesehen habe – zuschlagen!
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sehr schön geschrieben und ich muss sagen das was ich in der demo gefühlt hab passt zum test,sau stark!
Dankeschön! 🙂