Lesezeit: 6 MinutenKnapp ein Jahr nach der PC-Uraufführung liefert uns die polnische Entwicklerschmiede CD Projekt eine Xbox 360-Version des Rollenspielhits The Witcher 2: Assassins of Kings. Doch es bleibt nicht einfach bei einer Portierung, die sogenannte Enhanced Edition ist sozusagen ein Director’s Cut des Spiels mit erweiterten Inhalten – aber hat ein Spiel, dessen Vorgänger für das Konsolenpublikum verborgen blieb, überhaupt eine Chance gegen die schon lang etablierte Genre-Konkurrenz?
Geralt von Riva in der Patsche
Ich selber habe weder die Romane gelesen, noch den Vorgänger gespielt – daher war ich gespannt, wie gut mich The Witcher 2 in die düstere Welt des Hexers einweihen wird. Um es kurz zu machen: Als Neuling versteht man gerade am Anfang nur Bahnhof. Im Grunde läuft der Prolog so ab, dass Hexer Geralt als “Bodyguard” des Königs unterwegs ist. Dummerweise fällt der König einem tödlichen Attentat zum Opfer. Um seine Unschuld zu beweisen, jagt Geralt im weiteren Storyverlauf dem wahren Mörder hinterher.
Waschechtes Rollenspiel oder doch nur Action-Adventure mit Sidequests?
Das Spiel läuft ziemlich geradlinig ab und kann kaum mit Rollenspielgrößen wie Skyrim verglichen werden – die Abschnitte sind sehr schlauchig und begrenzt, frei erkunden könnt ihr getrost vergessen. The Witcher 2 bietet euch dafür aber eine wesentlich dichtere Story mit einem starken Hauptcharakter. Wobei ihr im Spielverlauf dennoch eher ein Rollenspiel-“light” erwarten solltet, im Stil von Mass Effect. Zwar gibt es den ganzen Kram wie Nebenquests, Talentbäume, Ausrüstungsmanagement, Item-Management etc…, ohne diese Ausstattung wäre The Witcher 2 jedoch ein gewöhnliches Hack&Slay – besser gesagt: ein Hack’n’Run’n’Cast’n’Slay.
Dark Souls in schlecht: Das Kampfsystem
Ohne viel um den heißen Brei zu reden: Das Kampfsystem in The Witcher 2 ist eine mittelschwere Katastrophe. Ihr bewegt euch ähnlich wie bei “Dark Souls” in 3rd-Person-Ansicht durch die Welt und könnt Gegner mittels Schulterbutton anvisieren. Wenn ihr Glück habt, funktioniert das auch. Leider verlaufen die Kämpfe fast ausnahmslos holprig und eher schwammig – ein wirkliches Gefühl von Kontrolle bekommt man eigentlich nur bei Zweikämpfen. Sobald mehrere Gegner ins Spiel kommen, habt ihr besonders auf den höheren Schwierigkeitsgraden ein Problem: Ohne Gnade werdet ihr von allen Seiten durch die Mangel genommen und sterbt schneller den Hexertod als euch lieb ist – die einzige vernünftige Taktik bestand (in meinem Fall zumindest) aus weglaufen und die Gegner aus der Ferne mit Feuerbällen beharken. Das hat selbst im höchsten Schwierigkeitsgrad immer zum Erfolg geführt, begünstigt durch die strunzblöde Gegner-KI.
Ein Spielablauf mit Tücken
Nicht nur im Kampf macht sich die Steuerung negativ bemerkbar, insgesamt wirkt die ganze Erkundung innerhalb des Spiels sehr anstrengend. So muss man brav auf der richtigen Stelle stehen, um Items aufzusammeln – ein Schritt zuviel und man darf nochmal nach dem “Hotspot” suchen. Auch wenn durch Magie die Item-Locations angezeigt werden können, wird das Abgrasen der notwendigen Utensilien schnell nervig. Aber auch das umherwandern in Dörfern läuft recht unspektakulär und zackig ab – außer bei Personen mit Haupt- und Nebenquests finden keine richtigen Gespräche statt. Das ist sehr Schade, denn durch das Ansprechen der lediglich “wichtigen” Personen wirkt das Spielgeschehen permanent sehr technisch und lässt den geneigten Rollenspieler kaum in die eigentlich gut designte Spielewelt eintauchen.
Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen schlürf ich Tränke
Ein wichtiges Element, welches The Witcher 2 von anderen Rollenspielen abhebt, ist der Konsum von Tränken. Praktisch in jedem Raum liegen Zutaten herum, die ihr später zu Tränken verarbeiten könnt. Dies wird vor allem in höheren Schwierigkeitsgraden wichtig, da sie euch je nach Zutaten Fertigkeitsboni geben. Anfangs schert man sich noch herzlich wenig um die Möglichkeit Geralt kurzfristig zu “pimpen”, aber spätestens in Situationen, wo euch das Spiel längere Zeit ohne Speichermöglichkeit kämpfen lässt, werdet ihr den Nutzen der Zaubertränke zu schätzen wissen.
Technik, die verzaubert?
Zumindest auf dem PC konnte die Grafik von The Witcher 2 begeistern. Doch wie sieht es auf einer über sechs Jahre alten Konsole aus? Leider nicht allzu gut. Meiner Meinung nach ist ein PC-Setting in mittlerer Grafikstufe als Grundlage für die Konsolenportierung zu wenig. Auch wenn das Spiel alles andere als hässlich ist, irgendwie erscheint grafisch alles schrecklich altbacken und ungeschönt. Die Texturen wirken einfach nicht besonders tief und lassen Bump Mapping vermissen. Auch die Charaktermodelle wirken etwas schlicht. Natürlich muss man bei einer in die Jahre gekommene Konsole Abstriche machen und kann keineswegs die grafischen Höhen eines neueren High-End-PCs erreichen. Aber wenn ich mir auf der gleichen Konsole ein Skyrim oder “Dark Souls” anschaue, sehe ich grafisch immer noch ganz viel Luft nach oben, denn in diesem grafischen Gewand wirkt The Witcher 2 auf der Konsole wie ein Titel von 2005. Mal abgesehen von den schwächeren Texturen und Details fallen holprige Animationsübergänge und Clipping-Fehler auf: so fallen die Haare von Geralt gerne mal öfters durch seine Kapuze – unschön. Aber auch die vielen Ingame-Zwischensequenzen wirken einfach nicht besonders cineastisch. Hier hat “Mass Effect” schon lange vorher gezeigt, wo der Hammer hängt. Als Konsolero fallen vor allem die (für PCler wohl gewohnt) schrecklich kühlen Interfaces und Menüs auf. Ungeschönt wird hier z.B. bei Boss-Gegnern ein liebloser Lebensbalken ohne Verzierungen hingeklatscht. Das vom Hauptspiel losgelöste Tutorial wirkt schrecklich unzugänglich: Ihr dürft ein Mini-Level betreten und in spielunterbrechenden Texteinblendungen wird dort flüchtig die Spielmechanik erklärt. So etwas hätte man meiner Meinung nach wesentlich eleganter ins Hauptspiel einpflegen können.
Sound-Design von vorgestern
Akkustisch kann der Titel leider nur bedingt überzeugen. Die Hintergrundmusik plätschert meistens unauffällig vor sich hin und hat kaum Wiedererkennungswert. Insgesamt ist die Abmischung eher unspektakulär, bei den Soundeffekten fehlt einfach Wumms dahinter und die Personen in den Dörfern sprechen gerne mal durcheinander oder heben sich nicht stark genug von den Hintergrundgeräuschen ab. Beides macht Untertitel zur Pflicht, wenn man keinen Dialog verpassen möchte. Die deutsche Sprachausgabe ist übrigens sehr gelungen und trägt durch die rauhe Wortwahl zur düsteren Stimmung der Fantasiewelt bei – im Gegensatz zu anderen prüden Genrevertretern wie Skyrim lässt The Witcher 2 gerne mal die Zunge schnalzen. Nur soviel: Eure erste Auswahlmöglichkeit innerhalb des Hauptspiels beinhaltet die Aussage: “Fick dich.” Wer das Spiel jedoch lieber auf Englisch genießen möchte, muss die Konsole nicht dafür einrichten, denn in den Optionen kann die gewünschte Sprache innerhalb des Spiels umgestellt werden, sehr löblich!
Fazit – Ein Hexerspiel der Kategorie Gandalf oder Bibi Blocksberg?
The Witcher 2 hat es nicht leicht auf der Xbox 360. Seit PC-Release haben uns in der Zwischenzeit Rollenspiel-Granaten wie Skyrim, Dark Souls und Mass Effect 3 begeistert. Und alle haben sie mindestens ein Spielelement mehr zu bieten, welches The Witcher 2 recht alt aussehen lässt: Sei es die offene, nicht-lineare Spielewelt eines Skyrim, das ausgeklügelte und nahezu perfekt steuerbare Kampfsystem eines Dark Souls oder die cineastische, brilliante Präsentation eines Mass Effect 3. In all diesen Punkten zieht The Witcher 2 den Kürzeren – vor allem die recht bescheidene Technik und der schwammige Spielablauf heben das Rollenspiel nicht aus der Masse hervor. Dem Spiel fehlt es an einem richtigen Killer-Feature, denn was geboten wird, ist woanders schon seit Jahren Standard. Vielleicht dachten die Entwickler, dass die Einbindung von sexuell expliziteren Inhalten schon genug wäre. Die ach so harten Dialoggefechte mit bösen Schimpfwörtern wirken daher manchmal geradezu plakativ und nicht immer so richtig glaubwürdig. Warum gibt es in dieser Welt denn kaum eine freundliche Seele? Oft hat man das Gefühl, dass jeder in The Witcher 2 gerade einen schlechten Tag hat. Aber wisst ihr was? Ich habe keinen schlechten Tag und gebe dem Spiel trotz der vielen Kritikpunkte noch eine “guter Durchschnitt”-Wertung. Warum das Spiel auf dem PC letztes Jahr so abgefeiert wurde, kann ich mir ehrlich gesagt nicht erklären. Es macht zwar nichts grundlegend verkehrt, ist aber nunmal auch nirgends besonders herausragend. Als Rollenspielfutter für Zwischendurch habt ihr mit The Witcher 2 durchaus euren Spaß, besonders wenn euch die finstere Welt zusagt.
Deinem Gejammer nach hätte es eine 5/10 werden müssen 🙂