Lesezeit: 6 MinutenKann man Krieg spielen? Eine ethische Frage, die wir seit Jahren entwerten. Während Medal Of Honor uns einst die historischen Schrecken aus der Ich-Perspektive präsentierte, hat sich Krieg in Videospielen zu einem temporären Schauplatz entwickelt. Meist schlĂĽpfen wir in die Rolle eines Soldaten, der mit ĂĽblicher Waffengewalt seine Pflicht erfĂĽllt und uns somit aus Unterhaltungszwecken von der Frage entbehrt, was Krieg in der Realität bedeutet. This War Of Mine “spielt” sich aus der Sicht der Zivilbevölkerung, die in elenden Umständen und in einer anarchischen TrĂĽmmerwelt ums Ăśberleben kämpfen muss. Kann man Krieg spielen? Lasst es uns herausfinden!
Momentaufnahme
Mit nachdenklicher Miene rückte Bruno seine Brille zurecht, wobei sich die Sicht durch dessen befleckte Gläser keinesfalls besserte. Bevor der Krieg ausbrach war er Koch gewesen, ein sehr erfolgreicher sogar, was ihm eine eigene Fernsehsendung einbrachte. Eine Fügung des Schicksals hatte ihn an diesen Ort verschlagen, ein runtergekommenes Haus am Rande von Warschau. Pavlo, ein ehemaliger Fußballspieler schaute ihn in diesem Moment der Stille fragend an, als warte er auf eine Anweisung. Zlata und Anton schliefen bereits im Keller, als notwendige Folge der letzten Nachtwache. Zum Glück war genug Holz vorhanden gewesen, um ein provisorisches Schlafgemach anzufertigen, denn Ruhe und Gesundheit war in diesen Tagen von äußerster Wichtigkeit. Die letzten zwei Holzscheite flackerten bereits im Ofen. Eine Erkältung oder gar Fieber konnte sich keiner der Bewohner erlauben, die sich als Überlebensgemeinschaft in dem Haus eingefunden hatten. Wortlos bückte sich Bruno nach der an der Wand lehnenden Schaufel und hielt sie Pavlo vors Gesicht, der mit gesenktem Blick zugriff und die stumme Bitte mit einem Nicken quittierte. Im zweiten Stoffwerk waren einige Zimmer durch Schutt unzugänglich geworden. In den Schränken sollten sich jedoch nützliche Utensilien befinden. Verwendbare Materialien, Medizin, Verbandszeug, vielleicht sogar Nahrung. Der Kühlschrank, dessen Brummen allen Beteiligten stets ein beruhigendes Gefühl gab, war überschaubar gefüllt. Jede Form von körperlicher Beeinträchtigung, sei es Müdigkeit, Hunger, Krankheit oder gar eine Verletzung musste um jeden Preis vermieden werden. In diesen Zeiten müssen Menschen funktionieren, mit jeder nur erdenklichen Kraftreserve.
This War Of Mine versetzt euch in einen aussichtslosen Kriegsschauplatz. In einer Wohngemeinschaft aus verschiedensten, per Zufall ausgewählten, Protagonisten gilt es gemeinsam zu überleben. Alle Bewohner haben eine Vergangenheit, die nun nicht mehr von Bedeutung ist. Wichtig ist es einen Beitrag zu leisten und die eigenen individuellen Fähigkeiten sinnvoll zu nutzen. Die Dreifaltigkeit lautet Sammeln, Verarbeiten und gesund bleiben, wobei auf Letzterem der Fokus liegt. Die Bewohner müssen Essen, Schlafen, Krankheit und Verletzung vermeiden und dabei psychisch stabil bleiben. Um das zu erreichen können gesammelte Materialien zu Möbeln oder weiteren Hilfsmitteln verbaut werden, die z.B. Regenwasser aufarbeiten, die Wohnung heizen, Kräuter verwerten oder das Kochen von Mahlzeiten ermöglichen. Wichtig ist auch das Herstellen von Werkzeug. Schaufeln beseitigen Schutt, Dietriche öffnen Türen und Schränke, leider nur solange bis sie kaputt gehen. Ein Stuhl oder ein Bett klingt zunächst wie ein überflüssiges Luxusgut, sorgt aber für erholsamen Schlaf und eine ruhige Minute im Wettlauf ums Überleben. Die Uhr tickt unaufhaltsam, und während tagsüber die Lebensumstände optimiert werden müssen, hat die Nacht eine ganz andere Verwendung.
Looten mit Reue
Pavlo lag immer noch apathisch im Bett, obwohl er bereits seit zwei Stunden ausgeschlafen war. Die Bilder der letzten Nacht, die er vor dem Schlafengehen verzweifelt aus seinem Kopf verbannt hatte, waren zurĂĽck und lebendiger als jemals zuvor. Während Bruno und Anton Wache hielten und Zlata aufgrund einer Verletzung immer noch ans Bett gefesselt war, hatte er den Entschluss gefasst auf Beutezug zu gehen. In einem kleinen, gut erhaltenen Haus sollte er ein Schlaraffenland vorfinden. Die Wohngemeinschaft benötigte dringend Nahrung, und Zlata neues Verbandszeug. Was Pavlo nicht einkalkuliert hatte, war ein altes Ehepaar, die es wie durch ein Wunder geschafft hatten, in dem Haus zu ĂĽberleben und von den zahlreichen Banditen verschont geblieben waren. Ein Blick durchs SchlĂĽsselloch hätte alles verändert! Warum zum Teufel hatte er sich keine Gewissheit verschafft? Der Alte bemerkte ihn sofort, als er sich in seinem leichtfertigen Optimismus an der EingangstĂĽr zu schaffen machte. Als Pavlo sie aufschlug stand er bereits vor ihm, während seine Frau starr vor Schreck noch in dem Sessel saĂź, den die beiden vor dem lodernden Kamin platziert hatten. “W-Was wollen sie hier?” fragte er mit zitternden Lippen. Pavlo versuchte seine Gedanken zu konzentrieren und zu einer Antwort zu formen, doch es gelang ihm nicht. So verharrten alle drei fĂĽr wenige Schrecksekunden, die eine Ewigkeit zu dauern schienen. Dann stach Pavlo reflexartig zu. Brunos Worte vom Vortag hallten in seinem Kopf: “Ich hab dir ein Messer angefertigt. Es ist zwar nichts Besonderes, könnte aber in Notfällen sehr hilfreich sein.”
Da ihr die Wohnung bereits nach wenigen Tagen komplett durchsucht haben solltet, bietet sich die Stadt zum Plündern an. Auf einer Karte gibt es verschiedene Standorte, die in der Nacht untersucht werden können. Ist der Bewohner hierfür ermittelt, kann der Rest entweder für die Nachtwache oder zum Ausschlafen eingeteilt werden, was sich aus der jeweiligen körperlichen Verfassung ergibt. Die Standorte besitzen jeweils eine grobe Angabe, welche Gegenstände dort zu finden sind und welche Menge davon zu finden ist. Es ist höchstwahrscheinlich, dass die Orte mehrfach von euch besucht werden müssen, da die Kapazität des Rucksacks sehr begrenzt ist, je nachdem welche Werkzeuge und Waffen ihr für den Beutezug bei euch tragen wollt. Die Problemstellung äußert sich in Bewohnern oder Banditen, die vor Ort anzutreffen sind. Während einige noch zum Handeln bereit sind, sind andere wiederrum nicht allzu gastfreundlich. Dementsprechend ist Ruhe und Stille geboten, wenn ihr euch durch die Korridore und Räume schleicht. Der Einsatz von Waffengewalt ist möglich, aber nicht zu empfehlen, da die psychische Belastung eure Figur über Tage hinweg verfolgen wird. Gegner können nur in Sichtlinie erspäht werden, während der Rest verschwommen dargestellt wird. Schlüssellöcher und Treppen ermöglichen die Gewissheit einen neuen Abschnitt gefahrenfrei betreten zu können. Die Zeit sitzt euch dabei stets im Nacken. Solltet ihr es bis zum Tageseinbruch nicht zurück schaffen, setzt die Figur quasi eine Runde aus, was die Organisation für den nächsten Tag aus den Fugen werfen könnte. Aus den beiden Abläufen von Tag und Nacht ergibt sich ein Zusammenspiel aus Organisation, Ressourcenmanagement und Stealth-Einlagen. Weitere Einflüsse kommen von außen durch die Vordertür, in Form von Händlern, die ihre Waren zum Tausch anbieten oder Personen, die Schutz suchen. Ob ihr diesen Fremden ihre Absicht glaubt, bleibt euch überlassen, jedoch kann dies auch eine Möglichkeit sein die WG um neue Personen zu erweitern. Jede Hilfe kann nützlich sein, vor allem in der Nacht, denn habt ihr nicht genug Wachen, besteht die Gefahr selbst ausgeplündert zu werden.
Ein Trauer(Video)spiel
Die Prämisse des Spiels ist simpel: Bleib am Leben! Dennoch schwingt eine ständige, grundlegende Depression durch das Geschehen. Normalerweise spielen wir Videospiele wegen der Herausforderung und des Erfolgserlebnisses, diesem guten Gefühl etwas gemeistert zu haben. This War Of Mine stellt dieses Prinzip auf den Kopf, indem es die Ausgangssituation bereits als zu scheiterndes Vorhaben deklariert. Es gibt kein Happy End! Früher oder später wird es einen Mangel geben, sei es Wärme, Nahrung oder Verbandszeug. Die Bewohner werden krank werden, verhungern oder verbluten, was sie zu ineffizient werden lässt, um etwas daran zu ändern. Die Anzahl der Tage die ihr überlebt habt sind euer Highscore, und während nach dem Tod des letzten Überlebenden der Abspann läuft, präsentiert euch das Spiel eine Zusammenfassung aller tragischen Entscheidungen und Schicksale eures Kampfes. Es ist wahrlich ein Kriegsspiel! Es soll daran erinnern, dass es während eines Krieges keine Gewinner gibt, keine Helden, kein Happy End, sondern lediglich Leid und Tod! Auch wenn die einzelnen Figuren kaum Identifikationspotential aufweisen, die Gesamtsituation schafft das ziemlich gut, und als Spieler empfindet man Reue, wenn die eigene Ethik plötzlich der Notwendigkeit weichen muss. Der Grafikstil präsentiert sich passend trist. Eine dreckige Kulisse in schwarz/weiß mit vereinzelt sehr blassen Farben, die sich über die kargen, zerbombten Gemäuer erstreckt. Die Ansicht reduziert sich auf einen 2.5D-Querschnitt in denen ihr die Protagonisten durch die Flure klickt. Gespielt wird mit der Maus, ähnlich wie bei einem Point & Click-Adventure. Eindeutige Symbole in der Kulisse erklären die Steuerung von selbst, ohne die Anwesenheit eines Tutorials. Zur Veranschaulichung der Bewohner halten farblose Fotos her, in denen sie mit schmutzigen Gesichtern und ernster Miene in die Kamera blicken. Dieses Spiel hat einen erzieherischen Effekt, indem eine Kriegssituation nicht als Heldenepos, sondern als Simulation verkauft wird, zumindest für diejenigen, die diese niederschmetternde Erfahrung auf sich nehmen wollen.
Fazit
Auf den ersten Blick hat This War Of Mine an Alles gedacht. Jeder noch so kleine Umstand hat eine Auswirkung auf die Akteure, egal ob es nun Schlaf, Hunger, Gesundheit oder mentale Belastung ist. Ab der ersten Minute ist klar, dass dieses Spiel betroffen macht, euch nichts schenkt und ihr mit allen möglichen Mitteln versuchen müsst zu überleben, wobei die zu berücksichtigen Faktoren sehr facettenreich und gut durchdacht sind. Das Problem liegt lediglich in der Abwesenheit eines wirklichen Ziels, ebenso wie der Mangel an wirklichem Spaß, aufgrund der Thematik. Das Gameplay bietet zwar eine gewisse Herausforderung und jede Menge Spannung, jedoch fühlt sich das Lösen eines Problems nie wirklich wie ein Erfolg an, da ständig neue Probleme im Raum stehen und es letztendlich ein Wettlauf mit der der Zeit und dem unvermeidlichem Scheitern ist. Ich fürchte, dass dieser Umstand This War Of Mine zu einem Nischenprodukt verkommen lässt, obwohl es mit dem Behandeln eines ernsten Themas einen wichtigen Beitrag für die Videospielkultur leistet und die Möglichkeiten für emotionale Schnittstellen in Videospielen aufzeigt.