Lesezeit: 5 MinutenWillkommen zurück auf den Straßen von Miami. Ich hoffe du hast einen starken Magen und noch stärkere Nerven mitgebracht. Denn mit Hotline Miami 2: Wrong Number geht es ohne Frage noch heftiger zu als im allseits beliebten Vorgänger. Erneut erobert die bizarr-brutale Formel unsere Herzen, und stellt die eigene Geduld ordentlich auf die Probe. Trotzdem kann die energetische Pixel-Metzelei in der zweiten Runde nicht mehr ganz mithalten, und bietet ein gutes Beispiel dafür, dass weniger manchmal mehr sein kann.
Der Indie-Hit Hotline Miami eroberte 2012 die Herzen der Gamer-Welt im Sturm. Aus einer Ecke der Spielelandschaft von der zuvor keiner wusste, dass sie überhaupt existiert, drangen plötzlich laute Musik, Neonlicht und Pistolenschüsse. Hotline Miami erblickte das Licht der Welt und wurde sofort von allen freudig in Empfang genommen.
Provokant, laut, brutal und vor Allem blutig setzen sich die Hotline-Miami-Spiele in Szene.
Der Arm hier, der Kopf dort drüben
Nun, ein paar Jahre später geht der “Metzel-Rave” nahezu nahtlos weiter. Schon vom Gameplay her wirkt der Nachfolger wie aus einem Guss mit dem Vorgänger. Das bringt allerdings nicht nur Vorteile mit sich. Die Steuerung wirkt vertraut. Fast ein wenig wie Rad fahren, etwas das man nie verlernt. So gehen die ersten Gegner wie von alleine zu Boden. Und auch neu eingeführte Spielemechaniken, wie das Benutzen von zwei Maschinengewehren gleichzeitig oder das Steuern zweier Charaktere sind innerhalb von Sekunden erlernt.
Nachteilig hingegen zeigt sich die Lernkurve. Diese gleicht mehr einem beherzten Schubser vom Dreimeterbrett.
Anders als im Vorgänger, werden wir ohne Vorwarnung von Wachhunden zerfleischt, von Mafiosi mit schweren Waffen durchsiebt oder einem gut gesetzten Schuss mit der Schrotflinte durch ein Fenster erschossen, welches wir versehentlich übersehen haben.
Wer also nicht schon Erfahrungen mit Hotline Miami hat, wird sich hier öfter mal die Zähne ausbeißen.
Doch wir selbst können uns auch ordentlich zur Wehr setzen. Vom Baseballschläger bis hin zur Kalashnikov ist alles dabei, um den schier unzähligen Gegnern das Licht auszupusten. Doch während die Mafiosi wie die Fliegen fallen, halten wir selber wie gewohnt auch nicht so viel aus und so gehört sterben zum Spielfluss einfach dazu.
Sterben, neu starten, nochmal sterben, wieder neu starten.
Frustration in knallig bunt
Grade der Spielfluss und die Try-and-Error-Formel machen das Spiel aus und führen doch zu häufigen Frustrationen und unzähligem Rage-Quitting. Ich kann nicht sagen, wie oft ich das Spiel aus purer Verzweiflung beendet habe, nur um dann zehn Minuten später erneut zu starten und es diesmal zu schaffen. Genau das sind die Momente die Hotline Miami so fesselnd machen: die Erfolgsmomente, in denen wir ein gerade noch unmöglich scheinendes Level endlich schaffen.
Allerdings machen es uns die größeren noch unübersichtlicheren Level von Hotline Miami 2 manchmal schwer das eigene Überleben zu sichern.
Und so müssen wir mit Lock-On und einer Menge Voraussicht durch die Etagen der Level schleichen.
Wo wir in Hotline Miami noch gegen eine ganze Etage voller Gegner mit wildem Rumgefuchtel ankamen und dann selbst wunderten, wie wir das überlebt haben, verteilt Wrong Number einfach nur einen Satz warme Ohren und schickt uns an den Anfang des Levels zurück. Glück wird überbewertet, Taktik ist gefragt.
Das “Flow”-Erlebnis bleibt trotz oder gerade wegen der großen Level irgendwie auf der Strecke, alles wirkt ein bisschen weniger energetisch, zielt mehr auf Strategie ab und spielt sich dadurch sehr viel langsamer.
So ist der erste Anlauf meist einfach nur die Testrunde. Wer läuft wo lang, wer hat welche Waffe, wo ist es sicher. So schnipseln wir uns die korrekte Route durch die Räume langsam aber sicher zusammen, nur um uns am Ende dann doch nochmal was Neues einfallen zu lassen, weil der dicke Bodyguardtyp nicht eine ganze Menge Kugeln schluckt, bevor er dann endlich zu Boden geht.
Identitätskrisen und Zeitsprünge
Was Neues gibt es aber auch bei der Story von Hotline Miami 2. Die ist ordentlich komplex und wer nicht aufpasst oder sich keine Notizen macht, verliert schnell den Überblick. Statt einem stehen uns jetzt 13 spielbare Charaktere zur Verfügung, welche wir in diversen Story-Strängen spielen. Die sind auch noch auf mehrere Jahre verteilt, die dann auch noch, vor, nach und während der Handlung des Vorgängers spielen und die allgemeine Verwirrung dann fast perfekt machen.
Mal streifen wir durch den Dschungel oder auf Hawaii durch die Gegend und eliminieren russische Militärposten, Schießen uns mit einer Gruppe von Fans des Protagonisten des Vorgängers durch Appartmentgebäude oder schlüpfen in die Haut eines Polizisten mit etwas fragwürdigen Methoden. Allein in der Rolle von Journalist Evan bleiben wir etwas harmloser und verprügeln unsere Gegner bloß, statt sie zu töten. Alles in allem wird so eine weite Spanne aus verschiedenen Settings und Spielstilen geboten.
All’ dieses Wirr-Warr und die Masse an spielbaren Figuren bieten ein spannendes Story-Puzzle, welches wir niemals lösen können, wenn wir nicht ganz genau aufpassen, und so zählt jedes Detail in Dialogen und den Level selbst. Daher ist es ratsam alles nochmal genau anzusehen, jeden Hinterhof zu durchforsten und auf Kleinigkeiten zu achten. Und nur langsam wird ersichtlich welcher Handlungsstrang wie zusammen gehört, wie und ob er mit dem Vorgänger verknüpft ist oder ob das Geschehen überhaupt real ist.
Denn einige Abschnitte der Story sind Teil eines Films, der sich in der Produktion befindet. Und auch hier wird an Kontroverse nicht gespart, denn bereits zum Ende des ersten Levels werden wir mit einer Vergewaltigungsszene konfrontiert. Diese lässt sich jedoch in den Optionen ausschalten.
Im Großen und Ganzen ist die Story von Wrong Number definitiv spannend zu verfolgen, doch setzt sie weniger auf unerwartete Wendungen als auf verschiedene Perspektiven. Das ergibt eine solide Geschichte, die es leider nicht schafft so sehr in den Bann zu ziehen wie Hotline Miami. Sie wirkt mehr wie eine Art Erweiterung des ersten Teils, beantwortet Fragen und bringt alles zu einem würdigen Ende. Das befriedigt dennoch weniger als die offenen Fragen des ersten Teils.
Lauter, Bunter… Besser?
Die Präsentation von Hotline Miami 2 bleibt der Reihe treu, es ist bunt, es wankt, es leuchtet und im Hintergrund ertönt wieder ein absolut genialer Soundtrack der Spitzenklasse. Das Spiel schafft es ohne Frage in seinen Bann zu ziehen und zu fesseln. Und trotzdem scheint etwas zu fehlen. Das liegt aber keineswegs an der etwas unbefriedigenden Story oder dem ein bißchen hinkenden Spieldesign, sondern eher einfach daran, das es der zweite Teil ist.
Hotline Miami bot einfach ein frisches, noch nie da gewesenes Spielgefühl. Die drei großen Bs der Hotline-Miami-Spiele – Brutal. Bizarr. Blutig – überzogen mit einer dicken Schicht aus 80’s-Flair und geiler Musik boten etwas von Grund auf Neues. Natürlich ist Hotline Miami 2: Wrong Number immer noch genauso intelligent und fesselnd wie sein Vorgänger, doch hat es nicht mehr die gleiche Wirkung, da es einfach nicht mehr so sehr flashed.
Hotline Miami 2 ist und bleibt ein geniales Spiel, es macht alles richtig was es richtig machen kann. Die guten Aspekte von Hotline Miami bleiben erhalten und es wird noch eine Schippe oben drauf gelegt. Fordernder, komplexer, länger, aber dadurch auch leider ein wenig zu viel.
Es mag das schwächere Spiel der Reihe sein, dennoch ist es kaum zu übertreffen.