Lesezeit: 7 MinutenWir befinden uns im Jahre 2014. Ganz Kyrat ist vom Diktator Pagan Min besetzt… Ganz Kyrat? Nein! Ein von unbeugsamen Rebellen bevölkertes Dorf hört nicht auf, der Royal Army Widerstand zu leisten. Und wir stecken plötzlich mitten drin in Ubisofts neuem Open-World-Shooter-Spektakel. Also dann packt die Bergsteigerausrüstung ein, schwingt euch auf euren Elefanten und erfahrt, ob der Urlaub in Kyrat die Reise wert ist. Eines ist jedenfalls sicher: Die kugelsichere Weste gehört auf jeden Fall in den Koffer.
Ob du wirklich richtig stehst…
Dieses Mal verschlägt es uns in das kleine, vom Bürgerkrieg zerrüttete, Land Kyrat im Herzen des Himalaya. Ein sonst sehr idyllisches Fleckchen, geprägt von einem kyratischen Glauben, an dem die Menschen in eher einfachen Verhältnissen von der Landwirtschaft lebten. Doch diese Zeiten hat das Land schon lange hinter sich gelassen.
Ähnlich wie der Vorgänger brilliert auch Far Cry 4 wieder mit einer ausgezeichneten Story und setzt dabei schon in der Intro-Sequenz auf viel Blei in der Luft. Eigentlich wollten wir als Ajay Ghale nämlich nur nach Kyrat reisen, um die Asche unserer Mutter in den Bergen zu verstreuen, doch kaum angekommen macht uns Pagan Min, der selbst ernannte Diktator auf dem Königsthron, einen Strich durch die Rechnung. Prompt schließen wir uns der Rebellenorganisation “Goldener Pfad” an und holen zum Befreiungsschlag gegen den König aus.
Ganz einfach wird das aber nicht, denn der “Goldene Pfad” ist innerlich zerstritten und so diskutieren die Anführer eher, statt an einem Strang zu ziehen. Während der junge, von seinen Idealen geleitete Sabal an traditionellen Werten in Kyrat festhalten will, um das Land so zu seinem alten Glanz zurückzubringen, stellt sich die zielstrebige Amita eher zukunftsorientiert auf ein modernes Kyrat ein. Zunächst hört sich ihre Vision eines modernen Kyrat auch noch sehr vielversprechend an, doch müssen wir schnell zum Moralhandbuch greifen und unsere Haltung überdenken, während sie uns erschreckend plausibel erklärt, warum wir Kyrat zu einem Drogenstaat machen sollten.
Schnell wird klar: Die zunächst schwarz-weiß wirkenden Handlungsmöglichkeiten verschwimmen schnell in einem bunten Entscheidungswirrwarr und lassen uns grübelnd zurück.
Zum Glück können wir uns immer wieder zwischen den Positionen der Beiden neu entscheiden und müssen nicht dauerhaft eine der beiden Schienen fahren. Während Sabal zum Beispiel von uns verlangt, eine der Opiumplantagen zu zerstören, möchte Amita lieber, dass wir sie einnehmen. So schwanken wir also hin und her zwischen den moralisch verwerflichen Vorschlägen und rational gesehen schlechten Entscheidungen der Anführer. Die Führung der Rebellenorganisation ist nämlich nicht besonders erfolgreich und so liegt es an uns, diese zum Erfolg zu führen. Letztendlich stellt sich die Frage, wen von den beiden wir weniger sympathisch finden sollen. Dass Ubisoft beide nur mit relativ flach ausgeprägten Charakterzügen gesegnet hat, macht es auch nicht sehr viel leichter, sie zu mögen. So bleibt uns nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Dabei bleiben die von uns getroffenen Entscheidungen auch ohne merkliche Veränderungen auf die Spielwelt und beeinflussen lediglich ein paar der Missionen. Wenigstens werden die schlecht ausgetüftelten Charaktere durch die exzellente Synchronisation wieder wettgemacht.
Antagonist Pagan hingegen spielt in einer ganz anderen Liga und stellt eine ehrenhafte Nachfolge für den amtierenden Far Cry-Lieblingsbösewicht Vaas Montenegro dar. Der charismatische Diktator nimmt die Rolle des Comic Relief für das gesamte Spiel ein, welches sich an vielen Stellen viel zu ernst nimmt. Einerseits ist Far Cry 4 nämlich der epische Shooter, der er sein will und andererseits ist es eine riesige Shooter-Action-Sandbox, um Spaß zu haben und Mal ordentlich einen drauf zu machen. Dieser Aspekt ist ein klarer Mehrwert für das Spiel, der sich in der Entwicklung der Spielereihe immer stärker abzeichnet – und sie täte gut daran, diesen Aspekt noch mehr zu fokussieren.
Ein guter Schritt in die richtige Richtung ist dabei der genannte, exzentrische Tyrann Pagan, denn dieser beweist nicht nur, dass er trotz seiner Liebe zur Gewalt eine Menge Humor hat, sondern auch einen sehr fraglichen Modegeschmack. Oder um es mit den Worten des Radio DJs von “Radio Freies Kyrat” zu sagen: “Pagan Min sieht so aus, als hätte er einen metrosexuellen Zuhälter ausgeraubt”. Er regiert Kyrat mit eiserner Hand, tyrannisiert die Bevölkerung mit den Soldaten seiner Royal Army und beschallt die Region mit seinem Propagandaprogramm.
Immer ‘Bumbumbum’ und Pfeile und schießen und so laut!
Gewohnt gut kommt der Sound von Far Cry 4 daher. Die NPCs sind, wie bereits erwähnt, exzellent vertont und machen so einen Großteil ihres Charmes aus. Auch die Umgebung trumpft mit einem passenden Sounddesign auf. Zwischen der atmosphärischen Untermalung durch den Soundtrack mischen sich Rock, Elektro und indischer Pop, der aus den Autoradios plärrt und der Welt so noch ein viel intensiveres Feeling gibt.
Dadurch macht das Autofahren zwar noch mehr Spaß, doch bestenfalls lässt man den Wagen einfach stehen und erkundet Kyrat aus der Luft. Jawohl, ihr habt recht gehört! Durch das dafür prädestinierte Terrain der Bergregion und einen schon sehr früh verfügbaren Wingsuit ist man entsprechend oft in der Luft. Dazu kommt, dass man an fast jeder Ecke einen Gleiter oder einen der neuen Gyrokopter findet.
Diese Fortbewegungsmittel bilden eine der Neuerungen der Far Cry-Reihe. Weitere lassen sich jedoch nur schwer finden, denn auch in Kyrat kommt die alte Far Cry-Formel unverändert zum Einsatz. Mit der Frage “Ist das hier Far Cry 3 mit anderem Setting?” im Hinterkopf schlagen wir uns nach Schema F durch die Gegend, nehmen Außenposten schleichend und leise ein oder marschieren, aus allen Rohren feuernd, durch den Haupteingang. Aber das ist natürlich jedem Selbst überlassen! Und auch die Funktürme sind diesmal als Glockentürme wieder mit dabei, die wir erklimmen müssen, um Teile der Karte aufzudecken. Eine Mechanik, die bei Ubisoft-Open-World-Spielen mit einem Blick auf Far Cry 3, Assassin’s Creed oder auch Watch_Dogs schon fast zum Standard gehört. Wenig Innovation, die inzwischen ziemlich verbraucht wirkt.
Ansonsten kommt das Spiel aber mit einigen frischen Ideen und Verbesserungen am alten, sehr beliebten Konzept daher, wodurch wir gar nicht böse darüber sein können.
Sammlerfreunde kommen in Far Cry 4 übrigens auch wieder absolut auf ihre Kosten. An jeder Ecke gibt es Blumen zu pflücken, Kisten zu durchstöbern, Tagebucheinträge zu finden, Poster, Masken eines Serienmörders, Tierfelle, Briefe und den ganzen Krimskrams, den unsere gefallenen Gegner bei sich tragen. Warum gefühlt fast jeder Zweite von denen allerdings ein altes Pornoheft mit sich führt, bleibt ungeklärt.
Vorsicht bissig!
Die Tierwelt von Kyrat ist manchmal gefährlicher als jeder Soldat der Royal Army. An jeder Ecke lauern Wölfe, Schlangen, Tiger und Adler, die nur darauf warten, uns an die Gurgel zu gehen. Das ist manchmal nicht nur nervig, sondern auch ein wenig unrealistisch. Und wenn dann sogar noch ein Honigdachs drei Kopfschüsse mit dem Präzisionsgewehr einsteckt und uns dann immer noch anfällt, bleibt oft nichts anderes übrig, als kopfschüttelnd wegzulaufen.
Praktisch ist dabei jedoch, dass wir mit den neuen Ködern nun Tiere auf Gegnergruppen ansetzten, können, während wir aus gemütlicher Entfernung das Spektakel beobachten oder einfach mal den Blick über die Landschaft schweifen lassen.
Die ist nämlich zugegebener Maßen die größte Stärke des Shooters. An den beschneiten Bergen, den herbstbunten Wäldern und dieser atemberaubenden Weite kann man sich einfach nicht sattsehen. Zudem gibt es an vielen Stellen etwas zu sehen und entdecken, seien es nun verlassene Hütten, verwinkelte Höhlen oder auch mal eine Blumenwiese, die unseren Beutel mit auffindbaren Heilspritzen ordentlich aufstocken.
Noch mehr Abwechslung für die Augen bekommen wir dann durch das mysteriöse Shangri-La, mit seinen seltsamen Umgebungen und dem blutroten Gras, alles getaucht in goldenes Licht. Wahrlich ein Anblick, den man so schnell nicht vergisst.
Allgemein bietet Far Cry 4 ein wahres Meisterwerk für die Augen. Egal wo man hinschaut, sieht das Spiel einfach spektakulär aus. Besonders hübsch sind die Animationen der Mimik der Hauptcharaktere oder Kleinigkeiten, wie die im Wind wehenden Fähnchen, die dank PhysX-Anforderung leider nur NVidia-Nutzern vorbehalten sind. Hin und wieder findet man zwar eine matschige Textur, aber das kann man einem Open-World-Spiel auch verzeihen. Eher ärgerlich sind die kleinen Ruckler, die hin und wieder beim Laden der Welt auftauchen und die Framerate für einen kurzen Moment in den freien Fall versetzen. Bleibt nur zu hoffen, dass das bald gepatcht wird!
Der Online-Koop-Modus von Far Cry 4 bietet die Möglichkeit, zu zweit durch die Gegend zu ziehen und sämtliche Nebenmissionen gemeinsam zu bestreiten. Lediglich die Hauptstory ist dem Singleplayer vorbehalten. Leider war ein ausgiebiges Testen des Koop-Modus nicht möglich, da Spieler im Zweiminutentakt aus dem Spiel rein und wieder raus ploppten, ohne länger zu bleiben. Es erwies sich jedoch als äußerst praktisch, wenn zum Beispiel ein Spieler das Auto fährt, während der andere die Gegner aufs Korn nimmt.
Fazit
Wer mehr Far Cry will, ist hier absolut an der richtigen Adresse! Gameplay-technisch bleibt der neue Ableger der Reihe sehr treu und traut sich nicht viel Neues, was ehrlich gesagt etwas schade ist. Das Setting reißt dafür aber alles wieder raus! Endlich wird uns mal etwas Frisches geboten, das, ähnlich wie damals bei Far Cry 2, noch nie zuvor da gewesen ist. Kyrat sieht zugegebenermaßen einfach nur bombastisch aus.
Jeder, der also mit viel Zeit seine Machtfantasien in einer riesigen, offenen Spielewelt ausleben oder auch einfach mal entspannen will, ist hier genau richtig. Denn mit einem großen Arsenal an – für moderne Shooter nicht immer ganz vertrauten – Waffen und einer gefühlten Tonne an Nebenmissionen ist Far Cry 4 eine abwechslungsreiche Zeitfressmaschine. Ubisoft hat somit eigentlich alles richtig gemacht. Vom Setting, über den absolut exzentrischen Antagonisten, bis hin zum Look und Feel des gesamten Spiels. Einziges Manko: Die Far Cry-Formel braucht ein wenig frischen Wind, um nicht die Assassin’s Creed-Route zu nehmen! Trotz des happigen Preises ist Far Cry 4 damit eine absolute Kaufempfehlung.
Ich spiele sogar sehr mit dem Gedanken, es mir doch noch zu holen. Aber ich könnte ganau so gut nochmal den dritten Teil spielen und ich weiß, dass es, obwohl ich viel Geld dafür auf den Tisch legen würde, doch eh nur in dem Regal namens “Komm ich drauf zurück” landet.
Für mich ist das ein deutliches Zeichen, Spiele, von denen ich weiß, dass ein Nachfolger in einigen Jahren sicher erscheint, vorerst mal auszulassen.