Lesezeit: 7 MinutenSimulation ist das Wort der Stunde. In immer mehr Sportarten verabschieden sich die Entwickler von der locker flockigen Arcade-Spielerei, um ein realistisches Ebenbild des Sports zu präsentieren. Diesen Weg hat 2K Sports schon mit Top Spin 3 beschritten, was gerade bei der Fachpresse zu Stirnrunzeln führte. “Zu trocken und zu dröge!”. Jetzt betritt der vierte Teil den Court und straft alle Skeptiker Lügen.
Was ist denn das?!
Dabei macht es Top Spin 4 einem auf den ersten Blick nicht leicht. Die Menüs sind eher trocken, um es freundlich auszudrücken. Simple weiße Menüpunkte unterlegt von einem Babyblau, dass einem die Augen brennen lässt. Eine durchgestylte Präsentation sieht anders aus. Dazu dudelt ein Soundtrack von Bands wie “Ok Go!” oder “Daft Punk”.
Neulinge schreiben sich erst einmal in die Top Spin-Akademie ein, um die Grundlagen des Tennissports zu erlernen. Aufschläge, Grundlinien Offensiv- und Defensivspiel, Serve & Volley, Präzisions- sowie Powerschläge. Alles verständlich von einem Trainer erklärt. Allerdings in Textform, was im Jahre 2011 eher antiquiert wirkt. Auch schade, dass es keine Vorschauvideos gibt, damit Anfänger auch genau wissen, was im jeweiligen Tutorial gemeint ist und verlangt wird.
Aller Anfang ist schwer!
Timing ist alles! Ernsthaft: Timing IST alles! Einfaches gedrückt halten der vier Schlagtasten Flat, Slice, Topspin und Lob bringt euch nicht mal bis zum zweiten Satz. Die korrekte Position zum Tennisball sowie der richtige Zeitpunkt des Schlages machen den Unterschied. Für präzise Bälle reicht ein kurzer Druck zur rechten Zeit, nämlich kurz bevor der Spieler seine Ausholbewegung abschließt.
Powerschläge brauchen etwas Vorbereitung, weswegen die gewünschte Taste schon recht früh gedrückt werden muss, am besten sobald der Gegenspieler den Ball retourniert. Steht Euer Spieler dann in Position und bereitet sich auf den Schlag vor, muss die Taste losgelassen werden. Der gelbe Filzball wird dann mit Karacho auf die andere Seite geballert. Dafür allerdings nicht mehr so genau wie ein präziser Schlag.
Die Schlagkunst hört damit aber noch nicht auf: Mit dem linken Trigger (bzw. L2) lässt sich die Schlaghand wechseln, um so zum Beispiel ein Gefährliches Inside-Out zu spielen, was bedeutet den Gegner mit einem Vorhand-Schlag aus der Rückhand-Ecke zu überraschen. Der rechte Button (auf der PS3 dementsprechend R1) wird benutzt, um nach einem Schlag zum Netz zu sprinten und ein Volley-Spiel vorzubereiten, das den Gegner bei richtiger Ausführung wie einen begossenen Pudel dastehen lässt. Zu guter Letzt kann die Rechte Schultertaste den Ball in einen kurz gespielten Stopp verwandeln. Doch Vorsicht: Stopp-Returns sind besonders fehleranfällig und brauchen ein besonders gutes Timing! Das alles kostet Kraft. Und geht die Ausdauer erstmal in die Knie, sind Fehler so gut wie vorprogrammiert.
Der lange Weg zur Nummer Eins
Natürlich möchte man mit dem frisch angeeigneten Wissen der Tenniskunst mehr anstellen als nur Einzelspiele zu bestreiten. Also wird prompt die eigene Tenniskarriere gestartet! Zu aller erst muss man sich natürlich einen Charakter basteln. Nach dem die Geschlechterfrage geklärt ist und rudimentäre Informationen eingegeben wurden, geht es ans Gestalten. Und das ist nicht so einfach, denn die eigenen Tennisathleten können schnell aussehen, als wären sie das uneheliche Kind von Gargamel und Peggy Bundy. Da wird bisweilen viel Feingefühl im Profigesichts-Editor benötigt, um halbwegs attraktive Menschen auf die Beine zu stellen. Aber wer stört sich schon an Oberflächlichkeiten?
Spätestens bei der Frage, ob man realistische Tennismatches oder verkürzte Sätze spielen möchte, geht einem dann das Herz auf. Klar, benötigt man für ein vollständiges Tennismatch auch mal eine gute Stunde, aber Simulationsfreunde erfreuen sich an dieser Möglichkeit, so kann ein Spiel nun endlich seine komplette Spannung entfalten und ist nicht dann schon vorbei, bevor es eigentlich richtig losgeht.
Im Karrieremenü angekommen, kann man seine Emails checken, den Charakter verbessern oder im Kalender seine Events planen. Dabei darf man pro Monat ein Trainingsmatch oder Spezialevent absolvieren und an einem Turnier teilnehmen. Diese unterscheiden sich zwischen Minor-, Major-, Masters- und Grand Slam-Turnieren. Die Teilnahme an Meisterschaften wird von der Reputation bestimmt. Erst wenn man genügend Qualifikationen, einen bestimmten Rang, ausreichend Fans, und/oder einen bestimmten Ranglisten-Platz erspielt hat, darf man bei den Superstars mitspielen und an den prestigereicheren Events teilnehmen.
Alles eine Frage der Technik
Am Anfang allerdings ist der eigene Tennisspieler nicht gerade ein Meister seines Fachs. Um das zu ändern, kann man die Erfahrungspunkte, die man bei Spielen (auch außerhalb der Karriere) sammelt, in drei Fähigkeitssparten investieren: Grundlinie Offensiv, Grundlinie Defensiv und Serve & Volley. Hat man also genügend Punkte gesammelt, um ein Level aufzusteigen, hat man die Qual der Wahl: Geht der nächste Schritt in Richtung Offensive? Dann verbessern sich die Fähigkeiten wie Aufschlag oder die Kraft der Schläge. Die Defensive setzt eher auf Ausdauer sowie Vorhand- und Rückhand-Technik. Serve & Volley steigert das Tempo, die Reflexe und das Volley-Spiel.
Der Kniff: Der Spieler lässt sich nur bis Level 20 verbessern. Dann ist Schluss. Das ist gut, denn so gehören Freakspieler der Vergangenheit an, die entweder alles maximal verbessern oder sich auf ein Attribut verbessern, um sich so einen Vorteil zu verschaffen. Doch es gibt auch einen Nachteil: Die Spielerentwicklung geht zu schnell von statten. Schon nach wenigen Monaten in der Karriere erreicht man ohne Mühe ein weit fortgeschrittenes Level, so dass nach etwas mehr als einem Jahr in der Laufbahn das Level-Cap erreicht werden kann. Hier hätte entweder ein höheres Level-Cap oder die erforderliche Erfahrung pro Level erhöht werden müssen. So geht nach kurzer Zeit der Reiz zur Verbesserung verloren und man spielt nur noch um Titel.
Für größere Individualität in der Charakterentwicklung sorgen die Trainer. Dabei gestaltet sich die Trainersuche relativ lieblos. Mit fortschreitender Dauer und Pokalen in der Tasche, tauchen einfach immer weitere neue Lehrer auf, die ihre Dienste zur Verfügung stellen. Vier simple Aufgaben müssen erfüllt werden, dann gibt es Boni auf bestimmte Attribute, die solange bestehen bleiben, wie der Trainer engagiert ist. Wechselt man zu einem neuen Tennis-Meister, müssen wieder neue Bedingungen erfüllt werden, wie zum Beispiel “Schlage eine bestimme Anzahl an Topspins” oder “erreiche XX Wins”. Im Grunde genommen sind die Trainer nur Items und keine wirklichen Individualisten. Ein wenig mehr Persönlichkeit hätte ihnen nicht geschadet.
Sieg ist eine unglaubliche Lust. Eine Frau kann einem diese Befriedigung nicht geben – Boris Becker
Die Karriere unterhält insgesamt ganz gut, besonders weil man schlichtweg einfach die Ambition entwickelt das erste Minor-, dann ein Major-, ein Masters-, ein Grandslam-Turnier zu gewinnen, sich mit Leuten wie Nadal, Murray oder Federer zu messen und den ersten Platz der Weltrangliste in Beschlag zu nehmen. Auch wenn die Charakterentwicklung eher schnell ein Ende findet, es keine wirklichen Sponsorenverträge gibt, sondern mit der Zeit einfach nur neue Gegenstände freigeschaltet werden und die Emails eher nur schmuckes Beiwerk sind, wird man von der Motivation getrieben der Beste zu sein.
Die künstliche Intelligenz der Computer-Gegner trägt ihren Teil dazu bei, dass man nicht aufhört, an der eigenen Legende zu basteln. Während die ersten Gegner zum Frühstück verspeist werden, stellen einen die späteren Kontrahenten vor eine beinharte Probe. Platzierte Bälle und gutes Stellungsspiel bringen das virtuelle Alter Ego ins Schwitzen. Und gegen Andy Murray auf einem höheren Schwierigkeitsgrad zu bestehen, ist alles andere als einfach.
Die ganze Welt ist ein Filzball
Aber nicht nur Offline werden Ballwechsel ausgetauscht, sondern auch in den weiten Welten des Internets. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man nimmt mit seinem eigenen Charakter an Online-Meisterschaften teil, spielt gegen zufällig ausgewählte Gegner bis zum Finale, um dann anschließend Pokale einzuheimsen. Scheidet man vorher aus, ist man für die jeweilige Woche raus, denn so lange dauert ein Turnier. Schade, dass man immer nur seinen selbst erstellten Charakter sieht, und anstatt den Kreationen der Gegner, immer den gleichen Standardgegner angezeigt bekommt.
Oder aber man verhilft seinem Lieblings-Tennissportler zu internationalen Ruhm, in einer separaten Meisterschaft. Je öfter die Spieler mit den Profis gewinnen, um so höher klettert er oder sie in der Rangliste. Außerdem treten die Spieler selbst in einer Rangliste an, die nach jeder Saison zurückgesetzt wird.
Leider kann es in den Online-Partien vorkommen, dass das gewohnte Timing aus dem Einzelspieler aus den Fugen gerät, da es zu Verzögerungen kommen kann. So gehen sicher geglaubte Bälle doch noch ins Aus. Allerdings ist das kein Regelfall und kommt nur dann und wann vor. Nervt aber, wenn es passiert, trotzdem. Vielleicht kann 2K Sports ja mit einem Patch aushelfen.
Offline darf man natürlich auch mit Freunden auf den Court. Entweder im Einzel gegeneinander bis eine Person eine bestimmte Anzahl an Siegen erzielt hat, oder im Doppel mit bis zu drei Freunden gegeneinander. Allerdings in den typischen, verkürzten Matches.
Stimmige Präsentation wie im Fernsehen
Auch grafisch überzeugt Top Spin 4 auf ganzer Linie. Die Tennisprofis wie Roger Federer, Boris Becker oder Serena Williams sehen toll aus, sind ihren echten Vorbildern wie aus dem Gesicht geschnitten. Allein die Hautfarbe ist bisweilen ein wenig unnatürlich dunkel. Dafür findet man auf den Sandplätzen Fußabdrücke, die Klamotten werden schmutzig, die Sportler fangen an zu Schwitzen und zu keuchen und setzen sich nach langen Ballwechseln auch mal auf den Boden! Fantastisch!
Ohnehin sind die Animationen ein wahrer Augenschmaus. Wenn Boris Becker geschickt gespielte Bälle mit seiner berühmten Becker-Rolle erwischt, dann gibt es im Stadion und auf der heimischen Couch kein Halten mehr. Vor allen Dingen da solche Rettungsaktionen Seltenheitswert haben. Sogar den Spielstil des Gegners lässt sich anhand seiner Bewegungen abschätzen.
Die Akustik tut der Atmosphäre keinen Abbruch. Das Publikum gerät förmlich in Extase, wenn die Ballwechsel länger anhalten und ein Athlet sich aus einer misslichen Lage noch mal befreien kann. Das obligatorische “Quiet Please” des Schiedsrichters lässt anschließend auch nicht lange auf sich warten.
Fazit:
Ganz großes Tennis, was 2K Sports da mit Top Spin 4 auf die Beine gestellt hat. Die Animationen sind phänomenal, die 25 männlichen und weiblichen Tennisathleten sehen ihren realen Vorbildern verdammt ähnlich und das Gameplay auf dem Platz ist allererste Sahne. Da kann man schon mal über die etwas trockene Karriere und die sterilen Menüs hinwegsehen. Wer auch nur einen Hauch Interesse für den Tennissport übrig hat, wird mit Top Spin 4 überglücklich!
Wenn Euch jetzt das Tennis-Fieber gepackt hat, bestellt doch Top Spin 4 direkt bei Amazon.de!