6 Stunden
Point'n'Click, Rätseln, guten Geschichten und nervtötenden KIs
+ Atmosphärischer Soundtrack
+ Umwerfende Grafik
+ Fordernde Rätsel mit Skip-Funktion
+ Gut geschriebene Story und Charaktere
+ 6 unterstützte Sprachen
+ Schachspielen gegen Boardcomputer
- Zuweilen etwas mühsames Wimmelbild-Feeling
- Ein paar Loose Ends bei der Geschichte
- Hin und wieder un-intuitive Lösungen für kleinere Rätsel
Still There ist ein wirklich starkes Space-Adventure, das in seiner Story schwere Themen wie Verlust und Einsamkeit behandelt, aber ebenso mit viel Humor um sich wirft. All dies geschieht, während man fordernde Puzzles löst, seine Memoiren auf dem Boardcomputer zusammenfasst, oder gegen die KI Schach spielt. Still There spielt man nicht, um sein Gehirn zu entspannen, sondern um die Grafik, den Soundtrack zu bewundern und zuweilen die grauen Zellen ein wenig zu strecken.
Lesezeit: 4 MinutenStill There, die Kollaboration von Demigiant, GhostShark Games, La Boîte und Abstraction, hat absolut nicht meinen Erwartungen entsprochen. Was nicht schwierig ist, denn anhand des Trailers wird dem Spieler herzlich wenig vom eigentlichen Inhalt des Spiels vermittelt. Und obwohl ich bis zum Klick auf “New Game” quasi keine Vorstellung davon hatte, was mich erwarten würde, hat sich dieses Spiel vielleicht zu einer meiner liebsten Gaming-Erfahrungen dieses Jahr gemausert.
Ein Augen- und ein Ohrenschmaus
Bevor man auch nur den Hauch einer Ahnung hat, worum es bei Still There nun eigentlich geht, wird man bereits mit der umwerfenden Grafik und einem Sneak Peek des Soundtracks konfrontiert. Beides Punkte, die meiner Meinung nach beinah nicht besser hätten sein können. Die kleine Welt des Astronauten Karl fühlt sich vom ersten Moment lebendig an. Überall sind kleine und große Indizien dafür, mit was für einem Menschen wir es hier zu tun haben.
Das World-Building, dass im Laufe der Geschichte noch sehr stark durch Dialog und Erinnerungen geleitet wird, erfährt durch die Beschreibung von verschiedenen, teils skurrilen Objekten, einen kleinen Anfangs-Boost. Alles ist liebevoll illustriert, alles absolut stimmig zueinander. Dies, kombiniert mit dem Fakt, dass die Raumstation aus nur einem einzigen Raum besteht, sorgt gleichzeitig für eine merkwürdige Gemütlichkeit, aber auch für eine gewisse Platzangst. Und gerade wenn man sich die Wand neben der Toilette ansieht, an welcher Karl die vergangenen Tage mit Kreidestrichen zählt, wird klar, dass auch er sich hier eingesperrt fühlt.
Hinter allem liegt der stimmungsvolle Soundtrack, der zum einen ein wenig melancholisch wirkt, zum anderen sehr angenehm über die Tatsache hinwegtäuscht, dass das Spiel wahrscheinlich gewisse Ähnlichkeiten zum Landwirtschafts-Simulator hat.
Der angesprochene Soundtrack lässt sich übrigens über Spotify finden.
Vor allem während den Traumsequenzen wird die gezeichnete Ästhetik dezent vernachlässigt, um anderen Effekten Platz zu machen. Während dies vermutlich die visuell schwächsten Abschnitte sind, vermag die Story relativ gut, diese Flauten zu überbrücken.
Was passiert hier eigentlich?
Das Storytelling als stärksten Punkt anzuführen, finde ich persönlich angesichts des Gameplays ungerechtfertigt. Allerdings ist absolut klar, dass Still There zu vielen Teilen von der erzählten Geschichte lebt. Dies passiert auf verschiedene Weise:
- wie bereits erwähnt, durch die Raumstation an sich, mit seinen zig verschiedenen Objekten und Beschreibungen, unter anderem auch durch E-Mails im Postfach oder durch die Geschichte, die Karl gerade schreibt und weitergeführt werden kann.
- Durch die Interaktion mit verschiedenen, sehr gut geschriebenen Charakteren. Was sich zu 80% auf den Boardcomputer Gorky bezieht, der die stereotypisch-sarkastische, und ultimativ nervtötende KI vom Dienst markiert. Und doch liebenswert ist. Manchmal.
- Durch die bereits erwähnten Traumsequenzen, welche sich vor allem mit der persönlichen Vergangenheit und Gefühlslage Karls befassen und sehr oft sehr sehr trippy daherkommen
All dies funktioniert. Die Geschichte wird mit Comic-Sprechblasen erzählt, die sich ganz der eigenen Geschwindigkeit anpassen lassen (dazu später auch noch ein Punkt). Immer wieder wirkt es so, als würde man mit der Auswahl gewisser Antworten einen bestimmten Story-Strang wählen, allerdings scheint das Ganze doch eher eine lineare Angelegenheit zu sein.
Daneben gibt es am Ende des Spiels noch immer ein paar loose Ends, die zwar angesichts der Erzählweise gerechtfertigt sind, aber doch ein wenig schmerzen.
Hier ist nix mit Gehirn abschalten. Ran an die Arbeit.
Nun zu dem Teil, der für mich das absolute Highlight von Still There markiert: Das Kommandopult.
Zunächst denkt man sich als Spieler nicht viel dabei. Wahrscheinlich ist dieser Bereich einfach dazu da, um ein wenig Flavor in das Raumschiff zu bringen. Zumindest tut sich nicht viel, wenn man die Knöpfe und Schalter, Joysticks, Schieberegler und Schlüssel betätigt.
Dann findet man die Bedienungsanleitung und realisiert, was tatsächlich der Fokus des Spiels ist. Und man realisiert, dass man in den folgenden Stunden jeden einzelnen dieser Knöpfe mindestens dreimal drehen, jeden Schieberegler fünf mal durch die Gegend schieben wird. Denn Still There nimmt einen absolut nicht bei der Hand, wenn es um das Lösen der Rätsel geht. Klar, im Handbuch steht beschrieben, wie die Maschinen funktionieren, wie man dieses Wissen allerdings anzuwenden hat, ist vollkommen dem Spieler überlassen. Das erhöht natürlich einerseits die Schwierigkeit, zum anderen ist es aber auch verdammt erfrischend, dass einem ein Spiel so weit zu vertrauen scheint.
Die Nachsicht aus der Maschine
Neben den Rätseln muss ich auch ein sehr großes Lob an eine Entscheidung der Devs aussprechen. Denn während die Rätsel logisch lösbar sind, sind sie doch manchmal ziemliche Knacknüsse (an einer Stelle haperte es allerdings auch einfach an einem unauffindbaren Teil, was irgendwie… frustrierend war). In manch anderem Spiel käme hier vermutlich der Spaß zu einem Stillstand. Hier jedoch kann man sich dazu entscheiden, das Rätsel bis zu einem gewissen Punkt automatisch lösen zu lassen. Sei dies, weil man nun absolut nicht in der Stimmung ist zu denken, oder weil man bei einem Rätsel schlicht stecken geblieben ist.
Auch beim generellen Pacing ist Still There sehr nachsichtig. Denn während es immer wieder “kritische” Systemschäden gibt, kommt der Spieler scheinbar nie in absolute Zeitnot. Klar, der Bildschirm ist rot und wackelt, aber wirklicher Stress kommt nicht auf. Was zumindest für mich sehr entlastend war, während ich versuchte die Wärmezufuhr wieder auf Vordermann zu bringen.
I’m Okay
Wenn es nicht bereits im Laufe dieser Review klar geworden ist: Ich finde dieses Spiel fantastisch. Nicht nur visuell und auditiv überzeugt es auf ganzer Linie. Zwar driftet die Story gegen Ende ein wenig in ein… Sagen wir… Pseudo-wissenschaftliches Mumbo Jumbo ab, was ich ihr angesichts der Gesamterfahrung allerdings durchaus verzeihe. Das Gameplay, die Rätsel und der Boardcomputer Gorky machen indes knapp 60% des Charmes aus.
Natürlich ist dieses Spiel nicht für jeden etwas. Gerade wenn man nicht auf storylastiges Gameplay fliegt, und eventuell Aversionen gegen etwaige Wimmelbild-Etappen hat, sollte man sich etwas in Acht nehmen. Bei mir hat Still There allerdings all die richtigen Regler gedreht und all die richtigen Knöpfe gedrückt.
PS: Ganz viel Liebe an die Tuatara.