Telltale-Adventures, Murder Mysteries, Visual Novels
+ immens diverse, gut geschriebene Charaktere
+ ĂĽberzeugender Artstyle
+ packende Story
- vereinfachte, teils zufallsbasierte Ermittlung
- unpraktisches Geldsystem
- niedriges Replay-Value
Ein Mann und sein Taxi in Paris. Von der Polizei erpresst, stets auf der Suche nach einem Serienkiller, der den Protagonisten beinahe auf dem Gewissen gehabt hätte. Was nach einer spannungsgeladenen Verfolgungsjagd mit cleverer Detektivarbeit im Noir Comic-Stil klingt, verliert schon im zweiten Durchgang aufgrund vieler Wiederholungen einiges an Tempo. Auch ein unübersichtliches Geldsystem und vereinfachte Ermittlungen versetzen dem Ganzen einen Dämpfer. Eine Liste von 70 NPCs mit einzigartigen Geschichten vermögen es jedoch, das Spiel lebendig zu halten.
Lesezeit: 7 MinutenMit Night Call haben die Developer Monkey Moon und Black Muffin einen Titel herausgebracht, der den Spagat zwischen Kriminalroman-Textadventure und Taxisimulator wagt. Wie viel Spaß es macht, durch die verregneten Straßen von Paris zu fahren und in welchen Bereichen das Spiel vielleicht noch ein wenig Starthilfe gebrauchen könnte, erfahrt ihr hier.
Jeder Krimi braucht seinen Sherlock
Ganz Paris zittert vor Furcht, denn ein Serienkiller treibt sein Unwesen auf den StraĂźen der Metropole. Auch auf Houssine, einen einfachen Taxifahrer, hat es der Killer eines Nachts abgesehen. Dumm fĂĽr ihn, dass er trotz schwerer Wunden ĂĽberlebt hat. Nachdem der Spieler sich dafĂĽr entschieden hat, welcher der drei Serienkiller momentan durch die Gassen von Paris schleicht, wacht er im Hospital auf. Während ein paar Minuten werden die Grundsteine der Rahmenhandlung, im Gespräch mit der Ă„rztin, gelegt. So war Houssine das jĂĽngste – und gleichzeitig aktuell lebendigste – Opfer des Serienkillers. Im Gespräch mit unserem besorgten Chef, ein paar Wochen später, erfahren wir, wie wir mit unserem Taxi umzugehen haben. Nett von ihm.
Nachdem wir nun unseren Dienst in der Nachtschicht wieder angetreten haben, sitzt plötzlich Madame Busset auf unserem RĂĽcksitz. Eine ausgesprochen unsympathische Variante einer Pariser Polizistin. Von ihr wird ein wenig Kontext zur Figur des Taxifahrers selbst geliefert. Schwere Jugend, vermutlich Drogen und am Ende auch eine Haftstrafe wegen Mordes. All’ das fĂĽhrt letztlich dazu, dass sie in der Lage ist, den Spieler zu erpressen. Weil die Polizei selbst im Dunkeln tappt, ist es nun unsere Aufgabe, uns bei den Fahrgästen nach Hinweisen bezĂĽglich des Mörders umzuhören. Denn, wie Busset selbst es formuliert: “I’ve seen you and heard you enough to know that you have a trick… a gift for getting people to talk.”
Weigert man sich zu tun, was sie will, droht sie damit, uns statt des Killers ins Gefängnis zu stecken. Schlicht wegen der etwas holprigen Vergangenheit des Taxifahrers. Ach, und weil er einen arabischen Namen hat und das doch passen würde. Wie gesagt: Charmant.
Egal wie, man befindet sich nach dieser Unterhaltung in der spannenden Position des wehrlosen Detektivs, der rein technisch gesehen durchgehend in Lebensgefahr schwebt. Denn wer weiß, vielleicht ist ja schon der nächste Fahrgast der Killer?
Das Taxi – Batmobil oder fahrender Beichtstuhl?
Ab der zweiten Nacht wird endlich klar, worin die absolut grösste Stärke von Night Call liegt. Insgesamt 70 Charaktere wurden für die Rückbank des Taxis entworfen, jeweils mit ganz eigenem Hintergrund und Optik. Wie auch einer unserer Fahrgäste bemerkt, fungiert das Taxi hier als eine Art Beichtstuhl. Man hört sich die Geschichten, die Probleme seiner Fahrgäste an und offeriert, wo nötig, mehr oder minder guten Rat, oder einfach ein offenes Ohr. So kommen auch oft Themen wie Rassismus, Politik oder Sexualität zur Sprache.
Gerade diese Geschichten lassen die Akteure unglaublich lebendig wirken. So fährt man eine chaotische Gruppe Cosplayer durch die Nacht, direkt nach einem dezent angetrunkenen Weihnachtsmann, oder der ein- oder anderen übernatürlichen Gestalt. Jede Begegnung ist einzigartig, jede bleibt auch nach dem Spiel noch im Gedächtnis. Allerdings bleiben die Menschen, und somit ihre Probleme, bei jedem Durchgang gleich.
Hier sei übrigens noch einmal ein Lob ausgesprochen an den wirklich fantastischen Grafikstil. Jeder einzelne Charakter wurde offensichtlich mit sehr viel Liebe zum Detail erstellt und mit kleinen, aber feinen Animationen versehen. Gerade wenn sich die Person auf dem Rücksitz nervös eine Strähne hinters Ohr streicht, oder unsicher an ihrer Lippe knabbert, lässt das die Welt umso lebendiger scheinen. In meinen Augen haben wir es hier mit exzellentem Character Design zu tun.
Dem Killer dicht auf den Fersen
Während der Nachtschicht stehen einem hauptsächlich drei verschiedene Wege der Spurensuche offen:
- Die Tankstelle: Im Laufe des Spiels ist es beinahe unvermeidlich, einmal bei einer Tankstelle zu halten. Nachdem man die Hälfte des erwirtschafteten Geldes an der Zapfsäule losgeworden ist, kann man mit dem Angestellten an der Kasse reden, um sich pauschal einen Hinweis zu sichern. Dieser taucht am Ende der Nacht in unserer Wohnung auf.
- Die Fahrgäste: Jeder scheint sich in dieser Zeit der Unsicherheit Gedanken zum Killer zu machen. Und viele haben kein Problem, offen darüber zu reden, was sie gesehen oder gehört haben. Allerdings muss der Spieler hier nicht gekonnt nachfragen, sondern bekommt, bevor überhaupt ein Gespräch zustande kommt, ein paar Hinweise zugesteckt. Auch diese sind erst wieder in den eigenen vier Wänden einsehbar.
- Die “Ermittlungspunkte”: Schlicht durch Augen-Icons auf der Karte dargestellt. Bis zum Beginn der Cutscene hat der Spieler keinen Hinweis darauf, wieso er zu diesem Ort fährt, was das fĂĽr ein Ort ist, oder mit wem er an diesem Ort reden will. Allerdings ist hier der Vorteil, dass man bereits während dem Dialog mitbekommt, welche Art Hinweis einem gerade zugespielt wird.
Neben diesen drei Wegen kann man zwar auch Zeitungen durchforsten oder im Radio nach Berichten lauschen, allerdings sind diese meist genauso nichtssagend wie die Gesprächs-Prologe bei den Passagieren. Alle diese Optionen beanspruchen natürlich Zeit. Zeit, welche in einem kleinen Balken angezeigt wird und normalerweise für vielleicht 7-8 Aktionen pro Nachtschicht reicht.
Alles in allem muss ich gestehen, dass ich von diesem investigativem Teil des Spiels ein wenig enttäuscht wurde. Da die auftauchenden Passagiere, wie auch die Ermittlungspunkte mehr dem Zufall überlassen wurden, fühlt man sich in der Rolle des Taxifahrers weniger als Detektiv und mehr als Informations-Schwamm, der in ganz Paris zufällig Hinweise aufsaugt.
Die Wall of Crazy
Schon am Ende der ersten Nacht wird die Pinnwand von Familienfotos befreit, um mit den Akten, die uns Busset ausgehändigt hat, eine “Wall of Crazy” zu errichten. Komplett mit Bildern der Verdächtigen, gelbem Faden und verschiedenen Hinweisen auf Papierschnipseln. Hierbei handelt es sich ĂĽbrigens bei jedem der drei Szenarien um fĂĽnf unterschiedliche Kandidaten.
Was anfangs angenehm stark nach stereotypischer Detektivarbeit aussieht, enttäuscht auf den zweiten Blick ein wenig. Denn die Hinweise lassen sich zwar verschieben, sind allerdings unwiderruflich schon von Anfang an mit den Verdächtigen verknüpft. Auch ist es nicht möglich neue Verbindungen herzustellen, geschweige denn, unspannende Hinweise zu entsorgen.
Dazu kommt, dass der Spieler die Akten, aus welchen er neue Hinweise zieht, nicht tatsächlich lesen muss. Ein Rechtsklick auf den Autopsiebericht, ein Foto, eine Akte genügt. Ein gewisser Happen verschwindet aus der Zeitleiste und ein oder zwei neue Papierschnipsel kleben an der Pinnwand.
All das macht das Spiel zwar vielleicht kurzweiliger, jedoch wird im gleichen Zug auch der Spieler bis zu einem gewissen Grad entmündigt. Wie schon beim vorherigen Punkt angesprochen, muss man sich die Informationen nicht mehr selbst erarbeiten, was die Illusion der investigativen Arbeit ein wenig zerstört.
Schnöder Mammon
Was dem Spieler bereits in der Levelauswahl eingebläut wird: “Achte aufs Geld”. So gibt es zum Beispiel auch bei der Schwierigkeitsauswahl eine Option, welche storylastigeres Gameplay erlaubt, bei dem man sich weniger Gedanken um das täglich Brot machen muss.
Nun. An und fĂĽr sich macht diese Mechanik Sinn, zumal ja gerade der Spagat zwischen der Arbeit als Taxifahrer und der inoffiziellen Position als Ermittler einen gewissen Reiz des Spiels ausmacht. Man muss kalkulieren, um ĂĽber die Runden zu kommen und gleichzeitig trotzdem den Fall aufklären. Oder… mĂĽsste. Wenn man könnte.
Denn wie viel am Ende jeder Nachtschicht abgezogen wird, ist vorher nicht klar. Genauso wenig kann man diese Zahl in den folgenden Nächten maßgeblich beeinflussen. Natürlich macht es Sinn, nicht ohne finanziellen Verlust durchs Leben zu gehen. Aber wenn man in neun von zehn Fällen rote Zahlen schreibt, nur weil man nicht ausschließlich der Berufung nachgegangen ist, wurde zumindest ich ein wenig stutzig.
Zugegeben, man muss sich anstrengen, um vor dem Ende der Ermittlungen tatsächlich bankrott zu gehen und somit das Spiel zu verlieren. Nur ist dann die Frage, wieso der Geldaspekt so oft zu Sprache kommt.
Und wieder grĂĽsst das Murmeltier
Momentan sind drei verschiedene Killer-Szenarien spielbar: “Der Richter”, “Der Engel des Todes” und “Der Sandmann”. Was jetzt nach guter Auswahl klingt, täuscht leider ein wenig. Denn wie man vielleicht schon an einigen Stellen dieser Review gemerkt hat, liegt die wohl grösste Schwäche von Night Call in der Wiederholung. Jeder Neue Spielstand ist gewissermaĂźen ein Reset der Ereignisse. Nicht nur die Rahmenhandlung bleibt exakt dieselbe, sondern auch Passagiere, mit denen man sich während der letzten Ermittlung angefreundet hatte, kennen einen beim neuen Spielstand nicht mehr. Was nicht weiter verwunderlich ist, jedoch macht es das nicht unbedingt angenehmer, erneut mit ihnen zu fahren. Denn die Geschichten werden beim zweiten Mal nicht unbedingt spannender.
So sind auch die Dialogwege erstaunlich rigide. Kaum etwas vermag es, das Resultat eines Gesprächs wirklich nennenswert zu verändern. Auch wenn sich zum Beispiel der Kolumnist über verschiedene Dinge aufzuregen vermag, kann man als Spieler nicht beeinflussen, worüber er sich aufregt. Zwar hätte das in keiner Weise einen Effekt auf die Ermittlung, aber ein wenig Abwechslung wäre doch angenehm.
Fazit
Allgemein wirkt Night Call wie ein Spiel, dass sich zwar viel vorgenommen hat, aber nur wenig davon wirklich durchfĂĽhren konnte.
Was vorhanden ist, sieht schön aus und funktioniert auch gut, nur fühlt man sich an Stellen wie zum Beispiel der Ermittlung doch sehr eingeschränkt.
Was ich persönlich schade finde, angesichts dessen, dass genau mit jenem Aspekt geworben wird.
Hier sei aber noch einmal erwähnt, dass die Noir-Ästhetik wirklich ausgesprochen ansprechend daherkommt. Zusammen mit dem Character Design der Fahrgäste und der subtilen Musikuntermalung fühlt sich ein Durchgang des Spiels beinahe so an, als würde man ein Comicbuch durchspielen.
Nur beim zweiten Durchgang wĂĽnscht man sich wegen der Repetition ab und an dann doch einen Skip-Button.