Lesezeit: 7 MinutenMedal of Honor ist eine altehrwürdige Spielereihe, die über viele Jahre hinweg Millionen Spieler- mich eingeschlossen – begeisterte. Beinahe jährlich kam ein neuer Ableger auf den Markt, immer wieder mit dem zweiten Weltkrieg, als Schauplatz. Mal in der Normandie, Mal im Pazifik. Mit der Zeit wurde die Marke verschlissen, trübe und staubte an. Jetzt wagt Electronic Arts mit aktuellerem Setting den Neustart.
Und genau dieses Setting ist es, was Politikern, Soldaten, Spielern und Pressevertretern schon vor Release Grund und Anlass genug war, um Kopf- und Bauchschmerzen zu bekommen oder wenigstens einen kritischen Kommentar zum neuen Medal of Honor abzugeben. Denn immerhin spielt das Game in Afghanistan. Einen Ort, den wir beinahe täglich in den Nachrichten sehen, von dem wir noch immer nicht wirklich begreifen, warum eigentlich immer noch gekämpft wird. Ein Ort, der in den vergangenen Jahrzehnten von sovielen Kriegsführern verheert wurde, dass sich das ganze Blutvergießen nur noch um die geschundenen Seelen, der Überlebenden drehen kann, weil es sonst nämlich nicht mehr viel anderes gibt.
Im Vorfeld wurde bereits soviel über das Spiel diskutiert und gesagt, dass ich an dieser Stelle nur noch auf einige News (NEWS EINFÜGEN) und eine hitzige Debatte im IKYG-Podcast Folge 04 hinweisen möchte, wo wir genau diese Probleme beleuchten.
Fernab der Frage, ob die Welt wirklich Computer- und Videospiele über aktuelle, blutige Konflikte wirklich braucht möchten wir das Game einmal unter spielerischen Gesichtspunkten betrachten. Schließlich hörte man aus den Mündern einiger Pressevertreter nach der gamescom 2010 nicht selten den Satz “Das könnte Call of Duty den Rang ablaufen”. Ich hatte große Hoffnungen und war sehr gespannt, was mir Entwickler Danger Close und Publisher Electronic Arts liefern würden.
Die Steuerung
Bewegt wird unsere Spielfigur natürlich mit dem linken Analog-Stick, während wir uns mit dem rechten Stick umsehen können.
Darf es ein wenig schneller gehen, wird zum Sprinten der linke Stick gedrückt, was schnelle Richtungswechsel bei plötzlichem Beschuss etwas umständlich macht. Drücken wir den rechten Stick herunter, vollführen wir eine Nahkampfattacke (die in der deutschen Version übrigens stark geschnitten ‘rüberkommt).
Gesprungen wird mit der “A”-Taste, in die Hocke geht’s mit “B” und drücken wir diesen Button länger, geht es sogar runter in den Staub.
Die Waffe wird auf “Y” gewechselt. Tippt man “Y” zweimal an, zückt man die Pistole, mit der man natürlich unendlich Munition hat.
Nachgeladen wird mit dem “X”-Button. Der linke Trigger lässt uns über Kimme und Korn zielen, der rechte Trigger ist standesgemäß der Abzug. Außerdem kann man mit “RB” Granaten werfen, was recht gut und zackig umgesetzt wurde. Mit “LB” lehnt man sich an Wände an, um vorsichtig um Ecken spähen zu können.
In der Kampagne kann man außerdem auf Deckungen zurennen und mit “B” in Sicherheit rutschen.
Ist man seinen Kumpanen sehr nahe, kann man von ihnen auch Munition anfordern, was ein schönes Feature ist, aber das Spiel auch relativ leicht macht, auch wenn die einzelnen Schwierigkeitsgrade hier Unterschiede machen und so das Quantum der verfügbaren Munition mit steigender Herausforderung schrumpft. Geht einem wirklich mal die Munition aus, kann man sich natürlich auch bei den getöteten Gegnern Waffen und Munition nehmen. Aus nachvollziehbarem Grund kann euch allerdings keiner eurer Kollegen dann mehr mit Munition aushelfen, da der Feind grundsätzlich andere Waffen benutzt.
Die Atmosphäre
Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Zu sagen, dass die gesamte Kulisse schlecht oder mies wäre, wäre gelogen. Denn einen wirklich guten Job haben die Jungs von Danger Close bei der Soundkulisse gemacht. Der Soundtrack passt wie die Faust auf’s sprichwörtliche Auge, die Effekte, vom Pistolenschuss, über großkalibrige Artillerie, bis hin zu abprallenden Kugeln ist extrem gut gemacht. Auch die Funksprüche, die den Soldaten des 21. Jahrhunderts ständig informiert und über die aktuelle Lage auf dem Laufenden hält sind sehr authentisch. Vielleicht sogar ein bißchen zu sehr, denn nicht selten versteht der Nicht-Soldat nur noch Bahnhof, wenn in einem Satz gleich vier Abkürzungen auf das vom Dauerfeuer gereizte Ohr einprasseln. Auch ist die Frequenz der Funksprüche ein wenig hoch. Das wird vermutlich sehr realitätsnah sein, geht aber doch relativ schnell auf den Keks. Weniger ist manchmal eben doch mehr.
Bis hier hin ist die Atmo gut. Leider vermasselt es die Optik. Denn was wir grafisch auf den Konsolen geboten bekommen ist nicht mehr “state of the art”. Die Texturen wirken aufgeklebt und Treppchenbildung, wohin man sieht. Auch Unschärfeeffekte können da nichts mehr herausreißen. Ganz im Gegenteil: zielt man über Kimme und Korn, wird deutlich wie wenig detailliert die Waffen eigentlich sind. Figuren im Spiel wirken nicht selten, als würden sie vor einer Leinwand stehen. Einziger grafischer Lichtblick sind die Panorama-Aufnahmen des Hindukusch und die Helikoptersequenz in den Bergen. Hier lässt die Engine die Muskeln spielen. Vielleicht kommt diesen Leveln aber auch die Entfernung zum Ziel zu Gute.
Einen weiteren Minuspunkt bekommt Medal of Honor dafür, dass die Charaktere unserer Einheit die emotionale und erzählerische Tiefe eines Kronkorkens haben. Jetzt braucht man natürlich für einen Kriegsshooter nicht wirklich tiefgründige Protagonisten, um eine überzeugende Geschichte zu erzählen, aber Danger Close schafft es einfach nicht, dass wir uns mit dieser “Tier 1”-Einheit verbunden fühlen. Menschlich anmutende Interaktionen und persönliche Verstrickungen, wie sie genretypisch (und nicht selten ziemlich SCHUBLADENDENKERISCH) sind sucht man fast vergebens. Es lässt sich schwer in Worte fassen, aber auch hier viel ein Quäntchen Feintuning.
Die Levelgestaltung
Dadurch, dass die Level alle sehr, sehr, sehr linear und schlauchartig eng gestaltet sind, kann man sich zwar so gut, wie nicht verlaufen, jedoch wird das Spiel dadurch sehr einfach. Statt weitem Gelände, in dem man sich verschanzen kann, um dem nachrückenden Feind die eine oder andere Kugel ins Fell zu brennen, hetzt man Berge hinunter oder hinauf und hat gefühlte zehn Meter Freiheit nach links und rechts. Das stört die Atmosphäre, denn statt sich wie im weitläufigen Hindukusch zu wähnen, fühlt sich eher wie in einem Dungeon, durch den man ballernd hindurchhetzt.
Überhaupt hat man etwa die Hälfte des Spiels lang das Gefühl ein Gejagter zu sein, was nicht unbedingt ein tolles Gefühl ist. Leider kommt noch dazu, dass die Reihen der Gegner scheinbar unendlich viel Nachschub haben. Das gilt für Munition genauso, wie für “menschliche Ressourcen”. Hat man sich einmal an einer Stelle im Spiel festgebissen, kann es schon mal drei, vier Gegnerwellen dauern, bis man den entsprechenden Trigger gefunden hat, der die Geschichte weiterlaufen lässt. Wobei man nicht selten im Funkspruch-Dauerwirrwarr einfach nicht mitbekommen hat, was man eigentlich gerade tut.
Die Speicherpunkte in den Leveln sind wirklich fair gesetzt, einer der wenigen wirklich positiven Punkte. Dafür hat es so mancher Speicherpunkt ganz fies in sich. Denn sie sind sowohl räumlich, als auch zeitlich gesetzt. Spurtet man also wie ich, gerne mal voran, kann es sein, dass wir durch einen Speicherpunkt hindurchlaufen, zu weit rennen und an einer völlig falschen Stelle stehen. Wie ich das meine? Stellt euch vor, ihr rennt einen Bergpfad entlang, eure Konsole sagt euch, dass ihr gerade einen Autosave-Punkt passiert habt, ihr rennt aber immer noch weiter, weil kein Feind zu sehen ist. Bis fertig gespeichert wurde, legt ihr noch ein paar Meter zurück. Jetzt, nachdem die Speicherung abgeschlossen ist, wird ein getriggertes Ereignis ausgelöst. In meinem Fall waren das mehrere Dutzend gutbewaffnete Tschetschenen, die ganz plötzlich den Hang vor mir herunterstürmen und meinen Fluchtweg zurück zu meinem Team (20 Meter) abschneiden. Ich schieße wie wild um mich und sterbe einen fantastischen Hollywood-Tod, durchsiebt von den Kugeln aus ungefähr zwanzig Sturmgewehren.
Kein Problem, wofür gibt es Speicherpunkte?
Leider zählt das System den Ort und den Zeitpunkt der letzten Speicherung haargenau.
So kehre ich zurück, stehe an selber Stelle, abgeschnitten von meinem Team, werde wieder von hunderten Kugeln binnen Sekunden niedergestreckt. Auf ein neues. Diesmal nehme ich ein paar dieser Teufel mit. Das muss doch zu schaffen sein… tot. Das Spielchen habe ich bestimmt zwanzig Mal gemacht. Selten hielt ich länger als ein paar Sekunden durch. Meine letzte Rettung war ein Neustart der Mission. Das war eine sehr ärgerliche Situation und mein Gamepad hat sehr gelitten in jenem Moment.
Call of Duty-Killer?
Kommen wir noch mal auf den Vergleich Medal of Honor gegen Call of Duty zurück. Ich bin ein exzessiver und immer noch aktiver Call of Duty 4: Modern Warfare-Spieler und habe auch sehr viele Stunden mit Call of Duty: World at War verbracht. Daher kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass Electronic Arts gut beraten gewesen wäre, den direkten Vergleich zu vermeiden. Denn qualitativ kommt Medal of Honor einfach nicht an den Genre-Primus heran.
Fazit:
In jedem Belang, sei es Grafik, Atmosphäre, Effekte, Storytelling, Spannung, Leveldesign, ja sogar der Multiplayer hinkt dem gesamten Genre hinterher. Medal of Honor kann an die einstige Größe der Reihe nicht anknüpfen und verliert den Kampf um die Gunst der Shooter-Spieler. Die sind längst zur In-House-Konkurrenz Battlefield: Bad Company 2 gewechselt oder haben Electronic Arts den Rücken gekehrt und sind dem Call of Duty gefolgt. Sollte dieses Medal of Honor der Startschuss für einen Neustart der Serie gewesen sein, hat Entwickler Danger Close ein hartes Stück Arbeit vor sich, um auf die Konkurrenz aufzuschließen. Denn derzeit reicht es leider nur für Platz 3 in der Riege der Kriegsshooter. Die wirklich enorm kurze Kampagne von nur fünf bis sechs Stunden Spielzeit stößt mir persönlich sehr übel auf.
Fairer Weise muss ich hinzufügen, dass ich mir den Multiplayer-Part des Spiels weitestgehend gespart habe, da mich schon der Singleplayer nicht überzeugte. Natürlich weiß ich, dass der Mehrspieler-Modus von DICE entwickelt wurde und beinahe ein eigener Teil des Spiels ist, aber allein die Tatsache, dass hier eine andere Engine verwendet wird, als im Singleplayerpart, stimmt mich extrem nachdenklich. Was sagt das über die Singleplayer-Engine aus? Immerhin muss man dem Mehrspielermodus bescheinigen, dass er sehr umfangreich ist und trotz allem sehr lagfrei funktioniert. Das ist heutzutage ja keine Selbstverständlichkeit mehr.
Daher würde ich dem Online-Spiel eine bessere Gesamt-Note geben, als dem Offline-Part.