Lesezeit: 7 MinutenBereits vor elf Jahren schickte American McGee Alice im gleichnamigen Spiel zum ersten Mal in das Wunderland. Der Ort, an den sich das Mädchen flüchtet, um der Realität im Irrenhaus zu entfliehen nachdem ein Brand ihre Familie auslöschte. In Alice: Madness Returns kehrt Alice zurück und ist immer noch weit davon entfernt, das süße Mädchen zu sein, das man aus dem Buch von Lewis Caroll kennt. Sie wetzt ihre Klinge, wie kein anderer Teenager in ihrem Alter. Ob sich die Wartezeit auf den Nachfolger gelohnt hat, lest ihr in diesem Test.
Das Wunderland liegt in Trümmern
Seit dem Tag, an dem ihre Familie im Feuer gestorben ist, beschäftig Alice nur eine Frage: Hat sie den Brand ausgelöst oder gab es eine andere Ursache, deren Existenz sie nur ahnt? Mit Unterstützung einer Therapie versucht sie es herauszufinden, ihr Psychiater bietet allerdings nicht die gewünschte Hilfe. Zunehmend verfällt Alice erneut dem Wahnsinn und versucht die Lösung in der Phantasiewelt des Wunderlands zu finden. Hier sind ihre Erinnerungen an das Unglück gespeichert und Alice muss sie finden, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen.
Im Wunderland angekommen, muss das Mädchen allerdings schnell feststellen, dass sich in der Zwischenzeit alles verändert hat und sich die Welt im Verfall befindet. Ein Zug, umgeben von lodernden Flammen, zerstört die Umgebung in rasanter Geschwindigkeit. Damit beginnt der Kampf von Alice gegen das Chaos und den Untergang, sowohl in der Realität, wie auch in ihrer Traumwelt.
Trink mich! Iss mich!
Alice: Madness Returns ist eine Mischung aus Action, Jump’n’Run und Rätsel. Es sind einige Jahre zwischen diesem Titel und dem Vorgänger vergangen, was in der Handlung berücksichtig wird und daher muss man American McGee’s Alice nicht kennen, um die Geschichte des wahnsinnigen Mädchens zu verstehen. Als Ratgeber steht Alice die Grinsekatze zur Seite und man trifft auf weitere bekannte Charaktere, wie zum Beispiel den Hutmacher, die Raupe und die Herzkönigin. Auch wenn das Spiel nichts mit dem Buch gemein hat, zumindest die Figuren wurden übernommen und dabei in skurrile Abbilder verwandelt.
Es ist ratsam, Alice mit dem Controller durch ihr Abenteuer zu steuern. Vor allem die Sprungeinlagen sind damit besser zu absolvieren, denn das Spiel bestraft hier sofort den kleinsten Fehler. Jeder Sprung muss beinahe millimetergenau erfolgen und egal wie gut man als Spieler ist, Alice stürzt tausende Male in den Abgrund. Wahrscheinlich war das den Entwicklern von Spicy Horse von Anfang an auch bewusst, weswegen zumindest Alice nach dem Fall in den Abgrund sofort wieder an der Stelle erscheint, wo der Ort ihres unfreiwilligen Selbstmordes war (Ausnahmen gibt’s natürlich). Die persönliche Frustrationsgrenze kann dennoch schnell erreicht werden, ist das Springen über Plattformen (neben den Kämpfen) der Schwerpunkt im Spiel. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, wird mit abwechslungsreichen, absurden Umgebungen belohnt, die so kaum in einem anderen Spiel zu finden sind. Es geht über Brücken aus Spielkarten, über grüne Wiesen mit fliegenden Kühen, durch Puppenhäuser, man wandert durch die Waben eines Wespennestes, besucht ein asiatisches Setting oder durchquert das pochende Herz der Königin.
Das Spiel ist in sechs Kapitel eingeteilt, die mit einem Aufenthalt im realen und düsteren London eingeleitet werden. Heimatviertel von Alice ist Whitechapel, in dem Jack The Ripper sein Unwesen trieb und das von Alkohol, Prostituierten und Gewalt geprägt ist. Mit den herumstehenden Charakteren kann sich der Teenager allerdings nicht unterhalten, sondern nur deren beiläufigen Gesprächen lauschen. Alice: Madness Returns ist linear aufgebaut und unsichtbare Mauern hindern Alice daran, sich die Welt komplett frei anzusehen. Das mag nicht jedermanns Sache sein, aber im Kontext der Handlung stört dies überhaupt nicht.
Schnell lernt Alice im Wunderland mit Hilfe eines Tranks, wie man auf Knopfdruck schrumpft. Als kleinere Ausgabe kann sie Hinweise, versteckte Gänge und Plattformen entdecken, die in der normalen Größe unbemerkt bleiben. In den Verstecken lagern meistens Sammelobjekte, die überall im Spiel verteilt sind. Hierzu gehören Flaschen, die als Bonus-Artworks im Hauptmenü freischalten, Zähne (die notwendige Währung, um Upgrades für Waffen freizuschalten) und die wichtigen Erinnerungen. Wobei, Versteck ist vielleicht übertrieben, alles liegt auf dem Weg und ist einfach zu finden, wenn man die Augen immer offen hält. Wer ein Grunzen vernimmt, sollte sich ebenfalls umsehen, denn dann ist eine fliegende Schweineschnauze (ja, richtig gelesen, eine Schweineschnauze) nicht weit, die nach ihrem Abschuss ebenfalls neue Wege und Belohnungen eröffnet.
Immer wieder gilt es kleinere Rätsel zu lösen. Die beschränken sich allerdings zumeist darauf, Schalter zu entdecken und sie auszulösen. Dies erfolgt meist unter Zeitdruck, da Alice hierfür ihre tickende Uhrwerkbombe einsetzen muss. Andere Aufgaben werden in Form von Minispielen gelöst, die allesamt keine Herausforderungen sind: Schiebepuzzle, das Beantworten einer Frage, Schachrätsel, Reaktionsspiele und Kämpfe, die man innerhalb einer vorgegeben Zeit lebend überstehen muss. Als Belohnung gibt es meistens nur das Knarren einer Türe, die vorher verschlossen war und sich nun öffnet oder einen roten Farbeimer. Wer Letzteren viermal findet, bekommt als Dankeschön mehr Lebensenergie.
Pfefferkornsalven und Bomben aus der Teekanne
Alice hüpft nicht nur durch die Kapitel, sondern verbringt ebenfalls viel Zeit damit, das Wunderland von seinen Feinden zu befreien. Dabei steht dem Mädchen ein außergewöhnliches Waffenarsenal zur Verfügung. Die Vorpal-Klinge ist dabei noch die unscheinbarste, schließlich kann das Mädchen mit einer Pfeffermühle Salven von Körnern auf die Gegner schießen oder den Feinden mit dem Steckenpferd mal so richtig einen Schlag auf den Kopf verpassen. Die Teekanone verschießt Bomben, während die Uhrwerkbombe Feinde ablenkt und im richtigen Moment zur Explosion gebracht werden kann. Jede dieser Waffen kann viermal mit einem Upgrade verbessert werden und erhält hierdurch mehr Schlagkraft.
Der Kampf gegen die unterschiedlichen Gegner macht vor allem zu Beginn viel Spaß. Für die Erledigung der Feindtypen benötigt man eine jeweils angepasste Taktik, die erst einmal gefunden werden muss. Schnell bemerkt man allerdings, dass die Taktiken so verschieden nicht sind und auch die Gegner sich immer wiederholen. Irgendwann sitzt man vor dem PC und erträgt den Anblick des sogenannten Verfalls (eine schwarze glibbrige Masse mit Puppenkopf) nicht mehr, weil man diesem Typen ständig begegnet und man die Reaktionen des Angreifers bereits im Schlaf kennt. Dabei sind die Feinde im Prinzip gar nicht uninteressant: Kaffekannen, GeschIrre, Geister, Samurai-Wespen und die Kartenarmee der Herzkönigin sind absurde Gegner, die leider im Verlauf der Spielzeit zur Eintönigkeit verkommen. Und dann sind da ja noch die Kamera und der Zielmodus, zwei wichtige Aspekte im Kampf, die sich leider nicht immer ganz einig sind, wer nun eigentlich die Position und Richtung vorgibt. Die Kamera folgt dem Zielmodus nämlich nicht gerne, sobald man ersteren verlässt, richtet sich Alice zurück auf die vorherige Kameraposition und steht so gerne und oft mit dem Rücken zum Feind, was zum Verlust der Lebensenergie sorgt. Man muss also ständig beachten, dass man die Kamera justiert, was in der ein oder anderen chaotischen Kampfsituation (wenn eine Gruppe von unterschiedlichen Gegnern angreift), gerne vergessen wird.
Geht die Gesundheit drastisch zu Ende, verfällt Alice auf Knopfdruck in Hysterie. Der Bildschirm wird schwarz-weiß und sie erhält für kurze Zeit mehr Schlagkraft, bei der jeder Treffer ihr einen kleinen Teil Lebensenergie zurückgibt. Damit lässt sich der auch ein aussichtlos erscheinender Kampf am Schluss doch noch gewinnen. In Spielen, die in Kapitel oder Level aufgeteilt sind und Action beinhalten, ist man es ja gewohnt, dass zum Schluss eines jeden der obligatorische Endgegner wartet. Interessanterweise ist dies hier nicht der Fall, bzw. es gibt Bossgegner, doch die werden nicht vom Spieler erledigt, sondern sein Tod spielt sich in der Zwischensequenz (ganz ohne unser Zutun) ab. Und das ist hier nicht mal eine schlechte Lösung, ist nett anzusehen und eine willkommene Erholung vom Kampf allgemein.
Grafik und Sound
Alice: Madness Returns ist grafisch veraltet, was man vor allem an der geringen Auflösung der Texturen erkennt und in den düsteren Umgebungen des Titels, in denen braun und grau vorherrscht, besonders auffällt. Die abwechslungsreichen, surrealen Settings machen das allerdings wieder wett, da die Entwickler hier sehr fantasievolle Ideen präsentieren. Die Zwischensequenzen sind entweder in Spielgrafik oder in Form von Scherenschnitte dargestellt (daran merkt man, dass Spicy Horse in Singapur arbeitet). Das Spiel wird meist in 3D-Umgebungen dargestellt, aber auch 2D Side-Scrolling Einlagen sind zur Abwechslung dabei. Alice ist Steampunk pur, und selbst auf Details, wie die jeweils zum Kapitel passende Kleidung, wurde geachtet.
Die Musik ist stimmig zur Umgebung, mal asiatisch, mal gediegen oder dramatisch, umgesetzt von Piano und Streicher. Im Hauptmenü fühlt man sich stark an die Titelmelodie von Max Payne 2 erinnert. Die Soundkulisse ist ständig präsent, aus allen Richtungen tönen Geräusche. Die deutschen Synchronsprecher machen ihre Arbeit gut und passen zu den jeweiligen Charakteren, hätten ihnen aber dennoch mehr Absurdität verleihen können.
Fazit
Ich weiß nicht, wie viele Tode Alice während dem Durchspielen gestorben ist. Sicher ist, sie hält den absoluten Rekord, der für lange Zeit nicht durch einen anderen Spielcharakter gebrochen werden kann. Der Titel ist insgesamt eine zweischneidige Varpol-Klinge: Alice: Madness Returns ist zwischendurch total frustrierend, die Sprünge müssen ganz exakt sein, die Gegner wiederholen sich, die Rätsel sind im Grunde gar keine, weil sie zu einfach sind. Auf der anderen Seite habe ich den Titel sehr gerne gespielt, weil die Umgebungen fantasievoll gestaltet sind, die Geschichte im Verlauf der Spielzeit immer besser wird und die Realität mit dem Wunderland immer mehr verschmilzt. Man will den Controller in die Ecke pfeffern, gleichzeitig aber wissen, welche Umgebung als nächstes überrascht und wie die Handlung weitergeht.
Alice: Madness Returns bietet Action für Hack’n’Slay-Fans, gepaart mit Jump’n’Run und Letzteres ist ein Angebot, das für den PC mittlerweile selten geworden ist. Erkundet man die Kapitel genauer und versucht alle Geheimnisse zu finden, bietet der Titel eine Spielzeit von mehr als 20 Stunden.
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Bin ehrlich gesagt gar nicht mal so oft gestorben bisher, da war es beim Duke schon deutlich schlimmer :D. Spiele Alice allerdings auch auf der PS3 und da finde ich die Steuerung eigentlich gar nicht so wild, auch wenn bei Kämpfen die Kamera ab und an nachjustiert werden muss.
Ansonsten kann ich aber nur zustimmen. Die Grafik ist zwar nicht die neuste, dafür macht der Stil aber einiges her und steckt Tim Burtons Film von der Atmosphäre her mal eben so in die Tasche. Wofür brauchen wir also noch Spieleverfilmungen…
Schaurig schöne Spielerlebnis