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Mein Beileid – Gedanken zum Stand der Videospielindustrie

von am 30. November 2017
 

Lesezeit: 5 MinutenAls Vorwort sei zunächst an dieser Stelle vermerkt, dass es nicht darum geht, Spieler eines gewissen Alters in irgendein Licht rücken zu wollen. Es geht um den jeweiligen Zeitgeist und Gedanken zum Stand der Videospielindustrie. Früher war alles besser, ist absolut relativ und liegt im Auge des Betrachters. Dass es anders war, kann man allerdings nicht wirklich bestreiten. Wer sich also auf den Schlips getreten fühlt, der hat die Intention des Texts nicht wirklich erfasst.

Herzliches Beileid

An dieser Stelle möchte ich zunächst mein Beileid aussprechen. Und zwar all’ Denjenigen, die erst in den letzten Jahren oder aktuell festgestellt haben, dass sie der Gruppe der Gamer zugehörig sind. Dies hat zwei Gründe: Zum Einen die Spiele an sich, zum Anderen der Markt, der sie hervorbringt. Denn obwohl wir als Teil dieser Gruppe, oberflächlich gesehen, in einem größeren Reichtum schwelgen, als je zuvor, liegt doch Einiges im Argen.

Die Spieleindustrie ist lange erwachsen geworden. Ein komplexes, hoch funktionales Geschäftsmodell. Der Antrieb ist nicht mehr der Drang Horizonte zu erweitern und Grenzen auszureizen oder einfach des Spielen willens Spiele zu entwickeln. Es geht um Performance, um Umsätze.
Die Parallelen zur Entwicklung eines Menschen sind nicht wegzudeuten. So ist man in sehr jungen Jahren mit ein paar bunten Klötzen und Fantasie stundenlang beschäftigt. Man kreiert sich seine eigene Welt. Mit zunehmenden Alter steigen die Ansprüche und die Welten werden immer mehr von außen geformt und vorgegeben. Wir setzen uns in fertig gestaltete Spaßkonstrukte und konsumieren. Eigene Kreativität oder Vorstellungskraft wird hier selten benötigt.

Und genau hier setzt auch das Problem der Videospiele an. Es geht nicht mehr darum, eine ausgeklügelte Idee zu haben oder eine tolle Spielmechanik. Es geht darum, wie gut es aussieht und wie die Performance ist. Dementsprechend sind auch sehr viele Blender unterwegs und preisen vollmundig an, wie toll ihr Produkt denn aussieht und wie viel Umfang es bietet. Nur mal so ein Vergleich am Rande: Ein komplett leerer Strand ist auch ziemlich groß und sieht meist gut aus, aber kann auch ganz schön langweilig sein. Das Internet und sämtliche anderen Medien gieren aber danach etwas zu hören und zu zeigen. Hier stellt sich mir dann die Frage, warum meist so wenig auf Inhalte oder mögliche Innovationen eingegangen wird. Etwa weil die Entwickler bzw. die PR-Abteilungen wissen, wie blutleer ihr Produkt eigentlich ist?

Was hat sich geändert?

Und genau das war in den frühen Jahren der Videospiele anders. Keiner hat für ein Super Mario Land oder Sonic einen FPS-Test gemacht oder hat die Pixel gezählt. Klar wurde das Spiel auch bewertet und klar wurde es auch vom Hersteller als das Tollste und Beste beworben, aber den wirklichen Eindruck haben sich die Spieler selbst gemacht. Ein Titel wurde nicht direkt Aufgrund seiner Optik abgelehnt oder liegen gelassen. Das Spielprinzip war wesentlich ausschlaggebender, weil die Technik eben nicht sonderlich viel mehr hergab.

Was für eine Wertung würde Tetris auf dem Game Boy heute erhalten? Wohl keine sonderlich Gute. “Schade, hier haben die Entwickler viel Potential verschenkt. Denn obwohl die grundlegende Mechanik des Spiels durchaus gut ist, bietet das Spiel als Ganzes rundum zu wenig. Die Grafik ist viel zu rudimentär und farblos, die Akustik monoton und kaum abwechslungsreich. Die wenigen Spielmodi und der lokal beschränkte Multiplayer geben dem Titel den Rest”.

Dabei ist Tetris mit Sicherheit eines der genialsten Spiele aller Zeiten. Es würde ja auch niemand auf die Idee kommen und dem altehrwürdigen Schach seinen Charme absprechen. Aber im Bereich der Videospiele zählen die inneren Werte eben immer weniger. Nur wie viel Make Up und wie viel Parfum aufgetragen wird. Dass der Putz nach kurzer Zeit bröckelt, zeigt sich dann wie auch im echten Leben nach kurzer Zeit.

In den ersten Generationen der Videospiele wurde gespielt, weil das Erlebnis toll war oder die Geschichte, die erzählt wurde fesselte. Ob der Held nun zehn Pixel hatte oder 100, war Nebensache. Natürlich waren die Spieler über jede kommende Generation begeistert, aber es war nicht das Ausschlaggebende am finalen Produkt. Und eben weil die Optik nicht blenden konnte, mussten die Entwickler durch Dinge wie Spielmechanik oder die erzählte Story punkten.

Zudem gab es auch weniger Spiele, sodass man sich länger mit ihnen auseinander gesetzt hat. Auch das ist heute nicht mehr der Fall. Der hochgelobte generische Shooter Battlefield: Call of Wolfenfront 7 landet eben nach einer halben Stunde bei den anderen im Regal, eventuell nicht mal angespielten Titeln. Den Studios kann es egal sein, der Umsatz ist generiert. Spieler der frühen Generationen hingegen wurden langsam an Spiele herangeführt und sind mit ihnen gewachsen. Ein Spiel musste eine ganze Weile halten. Sei es aus finanziellen Gründen, oder weil es eben bedeutend weniger Nachschub gab. Die heutigen Generationen werden mit einer gigantischen Menge an Spielen bombardiert, die teilweise ziemlich halbfertig auf den Markt geworfen werden. Zusammen mit bombastischen CGI-Trailern und großen Versprechungen. Selbst, wenn ein Teil der Spielerschaft den Entwickler dann mal kritisiert, so gelobt dieser Besserung und der Spieler gibt ihm dann beim nächsten mal wieder Vorschussvertrauen.

Pre-Release Fail

Zudem werden Spiele heutzutage schon vor der Veröffentlichung in jeder erdenklichen Form zerlegt. Es werden Analysen anhand von Trailern oder Demos durchgeführt, Vergleichsvideos erstellt und jedes noch so kleine Detail inspiziert. Wie schlägt es sich im Vergleich zur Konkurrenz oder zum Vorgänger? Wie hoch ist die Auflösung und die Framerate. Schon vor dem eigentlichen Release wird über Zusatzinhalte und kommende DLC gesprochen. Das eigentliche Spiel bleibt irgendwie auf der Strecke. Als Printmedien die einzige Möglichkeit waren, sich zu informieren, bekam man viel weniger serviert. Klar wurden auch Bilder gezeigt und mit Glück auch Schilderungen eines Redakteurs, der schon einen Blick auf das Spiel werfen durfte, gedruckt. Wenn ich mich recht entsinne, ging es in diesen Texten dann aber weniger um die technischen Spezifikationen, sondern wirklich um das Spielerlebnis an sich.

An dieser Stelle kann man natürlich die altbekannte Frage stellen: Was war zu erst da, das Huhn oder das Ei. Haben die Redaktionen und Redakteure damit angefangen, alles in Kategorien und Zahlen zu fassen? Oder sind sie hiermit nur dem Wunsch der Konsumenten oder gar der Entwickler nachgekommen? Schlussendlich kann sich keine Redaktion hier komplett freisprechen. Schließlich gibt es kaum große Publikationen deren Grundgerüst nicht genau darauf aufbaut. Die Spieler sind schon darauf getrimmt, nur noch die Zahlen und das Fazit zu konsumieren. Viele geschriebene Stunden über das eigentliche Spielerlebnis und Eindrücke verblassen ungelesen im Netz. Wenn sich jemand erdreistet ein Spiel einer großen Marke zu kritisieren, wird im gar unterstellt, er mache dies’ nur um Aufmerksamkeit oder Klicks zu generieren.

Der letzte Schuldige

Womit wir den Kreis schließen und den letzten “Schuldigen” mit an Bord holen: den Gamer an sich.
Denn viele von uns wollen sich gar nicht mehr wirklich kritisch mit dem Spiel auseinandersetzen. Es geht um den reinen Konsum. Anders ist es wohl auch nicht zu erklären, dass man Anderen beim Spielen auf einer Videoplattform zusieht. Und ich rede jetzt nicht davon sich Onlinematches in FIFA, StarCraft 2, Fornite, League of Legends oder Ähnlichem anzusehen. Sondern ich spreche vom Trend, Leuten dabei zuzusehen, wie sie ein Singleplayer-Spiel bestreiten. Dementsprechend ist dann natürlich wichtig, dass das Spiel gut aussieht. Fehlender Witz, Inhalt oder Innovation wird durch die Kommentare des Streamers ersetzt.

Wir Gamer wollen scheinbar, ob besseren Wissens geblendet werden. Wir wissen, dass das x-te Sequel wohl nicht mehr bieten kann, als der Vorgänger, außer besserer Optik. Statt mit Veto reagieren wird mit dem Tolerieren von Day 1-Patches und bejubeln kostenpflichtige DLC, die schon bekannt sind, bevor das eigentliche Spiel auf den Markt kommt. Dabei sollten es eigentlich die Spieler sein, die den Studios mit ihren Wünschen zeigen sollten, was gewünscht ist. Stattdessen wird uns diktiert, was gut ist und was auf der To-Play-Liste steht.

Aussicht auf Besserung?

Um so schöner ist es, dass mit sogenannten Indie-Titeln wieder Spiele auf den Markt kommen, die eben nicht davon leben können, dass sie nur gut aussehen. Als Spieler der “älteren” Generation freut es mich, zu sehen, dass es doch noch Innovation und Spielwitz gibt. Allerdings haben die großen Studios diese Schiene natürlich auch schon für sich entdeckt. Was dabei allerdings raus kommen kann, haben uns Titel wie zum Beispiel No Man Sky eindrucksvoll gezeigt. Dennoch dürfen wir durch die heutigen Möglichkeiten, wie Einsparung durch digitale Distribution und Finanzierung durch Crowdfunding weiterhin auf kreative Spiele von kleinen Entwicklern hoffen. Ein wahrer Lichtblick neben dem Monster Spieleindustrie, welches wir alle zusammen erschaffen haben.

Macht ihr euch ebenfalls Gedanken zum Stand der Videospielindustrie oder ist euch das alles egal? Hauptsache der Nachschub an AAA-Titeln ist gesichert?

Artikel der Rubrik “Kommentare” sind persönliche und subjektive Meinungsäußerungen unserer Redakteure. Darin geäußerte Meinungen geben nicht unbedingt die Meinung von IKYG oder der Redaktion wieder.
Kommentare
 
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  • MonkeyHead
    3. Dezember 2017 at 16:02

    Ein schöner Text, der mir eigentlich aus der Seele spricht und du erwähnst vieles in deinem Text, was ich auch kritisch finde. Und mir ist auch bewusst, dass du mit deinem Text nicht sagen wolltest, dass es nur noch so ist. Du nennst schließlich selbst den Indiemarkt. Jedoch hat das Ganze für mich auch einen Hauch von Verklärung. Früher ging es Entwicklern auch darum Geld zu verdienen und möglichst an viele Leute zu bringen. Wobei viel natürlich etwas anderes zu bedeuten hat als heute. Genauso gab es damals auch halbfertige Spiele die auf den Markt kamen.
    Ebenso gibt es heute noch kreative Werke. Und Spiele die einem nicht alles vorkauen. Man nehme nur Minecraft. Egal wie man dazu steht, kann man dem Titel nicht absprechen etwas besonderes ausgelöst zu haben.
    Und ich sehe Let‘s Plays zu Single Playern auch nicht so kritisch. Schließlich können sie mir Titel näher bringen oder ich bekomme Spiele zu sehen, die ich selbst nicht spielen kann.


  • Erunaenia
    3. Dezember 2017 at 23:01

    Da sind so viele Fragen dabei, die ich mir auch stelle. Immer wenn ich dazu tendiere es auf eine jüngere Generation zu schieben, merke ich, dass meine Freunde fast alle über 30 sind und sich nicht anders verhalten, als ein Teenager würde. Ich bin ziemlich die Einzige, die Indie-Games spielt und an der Hype vorbeigeht. Wenn ich frage warum, kann mir niemand eine wirkliche Antwort geben, außer dass es so aussieht, als ob man sonst nicht mitreden kann. So werden 20 Spiele gekauft – vorbestellt meistens – und keines zu Ende gespielt. Ich bin zudem Konsolen-Nutzer ohne 4K Fernseher, d.h. FPS spielen bei mir keine Rolle verglichen mit PC, Handlung wie Gameplay bleiben immer vor Grafik.

    Wo die Industrie wirklich aufhören muss sind kurzsichtige Prognosen, ich habs so satt ständig zu hören, dass der PC tot ist, Konsolen nicht mehr lange existieren, der Single Player tot ist, wir nur Games als Service wollen, Horrorspiele sind tot, blablabla. Auf der anderen Seite verkauft sich zum Beispiel PUBG gut, also müssen alle genau das Genre plötzlich bedienen. Ich würde gerne wissen, auf welchen Studien (außer auf der 14jährigen Fokusgruppe) das basiert.

    Ich gebe zu, ich schau unheimlich gerne anderen beim Spielen zu, das sind zu 95% Spiele, die ich mir nicht kaufe und der Streamer ist unterhaltsam und ich habs meistens sogar nur im Hintergrund laufen, als Fernseh-Ersatz. Allerdings nur Streamer, die ehrlich sagen, wenn sie ein Spiel scheiße finden. Die sind eher auf Twitch zu finden als YouTube.


  • 4. Dezember 2017 at 16:05

    @Monkey klar wollten die Entwickler auch damals Geld machen. Aber ich glaube es gab damals noch mehr Idealisten in führenden Rollen. Deren Antrieb war im ersten Schritt das Erschaffen und Geld damit zu machen war halt ein Benefit.
    Natürlich gab es auch viel Schund und unfertige Spiele. Aber dadurch, dass der Markt kleiner war und weniger veröffentlich wurde, war das Ganze glaub ich weniger nachgiebig. Heutzutage wird glaube ich viel mehr verziehen. Hinzu kommt dass man durch die heutige Technik eben noch nachträglich wesentlich mehr ins Produkt eingreifen kann. Ein Patch oder Bugfix nachzuliefern war vor 20 Jahren schwer bis unmöglich.

    @Erunaenia, vielleicht fehlt mir da einfach der Zugang 😀 Also zu Streams zu SP-Spielen.


    • MonkeyHead
      5. Dezember 2017 at 15:46

      Wie gesagt, ich möchte dir eigentlich auch gar nicht widersprechen. Ich weiß nicht, ob sich die Zeiten von damals und heute so vergleichen lassen. Damals hatte man über einen längeren Zeitraum noch ein Spiel was gespielt wurde. Und heute in Zeiten von Steam-Sales, PS+ und dergleichen ist die Masse an Spielen so unglaublich groß geworden und gleichzeitig aber die Aufmerksamkeitsspanne der Spieler so kurz geworden, dass es schwierig ist noch neues innovatives zu erschaffen. Wenn es mir nach 5 Minuten nicht gefällt, dann wird halt das nächste Spiel auf Steam gestartet. Und das war in gewisser Weise ja damals schon anders.


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