Lesezeit: 4 MinutenErst gestern hatte Nintendos New 3DS Einzug in Deutschland, von daher ist es wohl nicht verwunderlich, wenn einige den heutigen Valentinstag mit dem Handheld, statt mit einer geliebten Person verbringen. Daran ist ja auch absolut nichts Verwerfliches, ich liege meist auch lieber auf der Couch (wobei ich Konsolen Handhelds vorziehe), statt auf die Piste zu gehen. Kritischer wird es jedoch, wenn Spielkonsolen den Stellenwert eben eines Liebhabers erreichen. Zumindest scheint dies in Japan häufiger der Fall zu sein.
Es wäre falsch zu sagen, dass die Japaner keine Lust auf Beziehungen hätten oder es einfach nicht hinbekämen, eine (intime) Beziehung zum gewünschten Geschlecht anzufangen. Man kann nicht pauschal solche Aussagen treffen, dennoch belegen immer mehr Studien, dass junge Menschen in Japan immer weniger Lust an Sex hätten, sodass diese “Sexmüdigkeit” von Experten schon als bedrohlich angesehen wird. Andere sehen Beziehungen auch als Stress an, den sie in ihrem Leben nicht haben wollen. Sich und seinen Lebensstil auf den eines Partners anzupassen. Mit dem großen Angebot an Host-Clubs, besonders in Tokio, haben viele eine Alternative zu echten Beziehungen. Wenn auch kostspielig, sollte der Wunsch nach menschlicher Nähe bestehen, wird für den Abend einfach ein Escort gemietet oder der Abend im Host-Club verbracht. Wiederum anderen ist es komplett egal eine Liebesbeziehung zu pflegen. Tomonori Morikawa, welcher an der Waseda Universität spezialisiert im Gebiet der zwischenmenschlichen Beziehungen forscht, meint sogar, dass es sich hierbei um eine ernstzunehmende Krankheit handeln könnte. Diejenigen, die sich selbst einreden, dass sie keinen Partner bräuchten (aus welchen Gründen auch immer), fangen mit der Zeit an, dies wirklich zu glauben und werden in dem Fall beziehungsunfähig.
Aber heute ist Valentinstag und wir wollen nicht über die reden, die nicht in der Lage sind Beziehungen zu führen, sondern um die, die in glücklichen Beziehungen stecken – zum Beispiel mit ihrem New 3DS. Nirgendwo sonst haben Dating-Simulationen einen so hohen Stellen- und Verkaufswert wie in Japan. Auf der Tokyo Game Show, die zusammen mit der E3 und der gamescom zu den drei größten Videospielmessen gehört, widmet einen ganzen Bereich des Messegeländes der Dating-Sims. Populär wurden diese Spiele in Japan, als Entwickler Leaf 1997 die Visual Novel To Heart auf den Markt brachte, auch wenn es nicht das erste Spiel dieser Art des Studios war.
2009 veröffentlichte Konami mit Love Plus ein Dating Spiel für den Nintendo DS. Während sich die erste Hälfte des Spiels darauf konzentriert “das Mädchen zu kriegen” kann die zweite Hälfte, mit der Liebsten
an der Seite in der Tasche, nach freiem Willen gestaltet werden, ohne dabei ein Ende zu finden, während das Spiel in Echtzeit weiterläuft. Mit dem DS können den Mädchen im Spiel Mails geschrieben oder angerufen, mit dem Stylus-Pen sanft gestreichelt werden. Es ging soweit, dass ein Japaner letztendlich mit dem DS in der Hand vorm Altar stand und sich trauen ließ – was sich jedoch als Publicity Stunt erwies. Dennoch ging der Hype um Love Plus und seine Mädchen so weit, dass Konami 2010 einen Urlaubstrip für die verliebten “Pärchen” anbot. Kostenpunkt waren läppische 39,800¥ (was heute rund 300€ betragen würde). Für zwei Tage wurden die Paare mit dem Bus nach Atami, der Stadt, in der Love Plus spielt, gefahren. Gemeinsam konnten sich die Spieler mit ihren virtuellen Freundinnen verschiedene Sehenswürdigkeiten angucken, die ebenfalls im Spiel als Location auftauchten. Manche Orte waren mit Augmented Reality-Stationen ausgestattet, an denen mit Hilfe einer iPhone-App Fotos mit der virtuellen Freundin geschossen werden konnten. Doch das Spiel bekam auch außerhalb von Konamis Plänen genügend Publicity. Bäckereien verkauften zur Weihnachtszeit extra Love Plus-Kuchen. Ein Tokioter Curry-Restaurant bot sogar kostenlose Drinks an diejenigen, die ihre digitale Freundin mit ins Restaurant brachten. 2012 wurde New Love Plus veröffentlicht.
Unter dieser Art (Dating-) Simulationen haben sich mit der Zeit mehrere Unterkategorien entwickelt. Eroge (eine Abkürzung für “erotiku gemu” – erotic game) beschäftigen sich mit expliziten sexuellen Darstellungen, die auch mit Belästigungen einhergehen können. Gyaruge (abgekürzt für “gyaru gemu” – “gyaru” steht hierbei für “gal”) sind typische Dating-Spiele, die sich jedoch in einem exotischen Setting befinden. Der erste Titel dieses Genres, Night Life, erschien bereits 1983 durch Koei für den Fujitsu FM7. Anders als bei den eroge wird hier nicht der Fokus auf Sexualität gelegt, dennoch wird viel Fanservice geboten.
Warum schlagen diese Dating-Simulatoren in Japan so sehr ein, hierzulande jedoch eher weniger? Vielleicht geht es mit der allgemeinen Schüchternheit und Abneigungen gegenüber realen Beziehungen her, die gegen Anfang des Textes angesprochen wurden. “Hikikomori” spielen hierbei sicherlich keine unwichtige Rolle. Diese sozial abgeschottete Personengruppe verschließt sich Zuhause oder in 24-Stunden-Internetcafés von seinem Umfeld. Es muss nicht, aber es handelt sich bei hikikomori häufig auch um otakus, die ihre Zeit hauptsächlich mit Manga, Anime und Videospielen verbringen. Dating-Simulationen ersetzen die echte menschliche Nähe. Wer sich einreden kann, dass er keine Beziehung braucht, kann sich auch einreden, dass dies ein adäquater Ersatz für soziale Kontakte sein kann.
Ganz besonders mit Hatoful Boyfriend: A School of Hope and White Wings kam diese Art von Spielen in letzter Zeit auch hierzulande auf etliche Bildschirme, während im Spiel nicht Menschen, sondern Tauben miteinander interagieren. Der Titel Hatoful Boyfriend basiert auf ein Wortspiel, bei dem “hatoful” nicht nur als “heartful” oder “hurtful” im Japanischen verstanden werden kann, sondern “hato” auch für “Taube” steht.
Sicherlich lag bei den meisten Spielern von Hatoful Boyfriend der Witz im Vordergrund, doch gerade Spiele der Marke BioWare weisen doch immer wieder Elemente von Dating-Simulationen auf. In Mass Effect herrscht mit ein reges “wer mit wem”, sowie auch in der Dragon AgeReihe. Nicht zuletzt mit dem Release von Dragon Age: Inquisition habe ich häufig die Aussage von Leuten, die nicht viel von der Reihe kennen, gehört, worum es denn in DA:I neben dem “Romanzen” überhaupt ginge.
Lange Rede, kurzer Sinn, vergnügt euch ruhig mit Cassandra oder Cullen, vergesst dabei nur nicht euer Umfeld oder zieht diese echten Menschen vor (wobei, manchmal…). Einen frohen Valentinstag, mit wem oder was auch immer, euch allen!
Anmerkung: Neben den bereits im Text verlinkten Quellen von die Welt und Kotaku zog ich bei manchen Fakten auch die beiden Bücher The Otaku Encyclopedia von Patrick W. Galbraith und Japanese Schoolgirl Confidential von Brian Ashcraft (ebenfalls Autor bei Kotaku) zur Seite.
Ich bin ja der Meinung, dass es keinen Unterschied macht, ob man den Abend mit einer Dating-Sim oder einem Fußballspiel verbringt. Solange ein Mensch Spaß daran hat, sehe ich das alles nicht so kritisch. Jeder muss selber wissen, wo er Prioritäten setzt. Ich persönlich halte Club-Besuche am Wochenende oder Sportkonsum in den Medien z.B. für reine Zeitverschwendung. Es gibt mir nichts, aber so rein gar nichts. Ich lasse den Menschen, die daran Spaß haben, aber ihre Freude daran. Umgekehrt möchte ich mir aber auch nicht aufs Brot schmieren, lassen, dass es schlecht ist, wenn ich die vorhandene Zeit lieber in Videospiele investiere. Dann hab ich ebene mal ein ganzes Wochenende in einer virtuellen Seifenblase gelebt, na und?
Irgendwann muss jeder für sich selbst wissen, ob sein Lebensstil überhaupt so weiterlaufen kann. Wo sieht man sich in 10 Jahren? Bin ich ohne Frau und Kinder wirklich glücklicher? Ist es erstrebsam, als alter Junggeselle ohne Kinder in der Bude zu sitzen und einmal im Jahr kommt der jüngere Bruder aus Mitleid vorbei? Die Erleuchtung, sofern es eine gibt, muss von Innen kommen. Aber bis es soweit ist, finde ich es legitim, einfach Spaß an ausgedachten Kulleraugen-Freundinnen zu haben. Wenn man irgendetwas lieb gewinnt, gibt das einem Kraft. Der Film “Her” oder auch die Anime-Serie “Chobits” beschäftigt sich ebenfalls mit dem Thema, ob ein Mensch seine Liebe in eine künstliche Intelligenz investieren sollte – Beides ist sehr sehenswert, wenn man sich für das Thema interessiert.
Ich hatte selber eine Lebensphase, in der ich übermäßig viel Anime-Serien und deutlich mehr Videospiele als jetzt konsumiert habe. Obwohl ich mich mit meinem früheren Ich nicht mehr zu 100% identifieren kann, bereue ich keine Minute, die ich in den Bildschirm gesteckt habe. Es gibt Grenzen und manchmal muss man sie vielleicht ersteinmal überschreiten, um sie zu registrieren. Übrigens ist die Geburtenrate in Deutschland etwas niedriger als in Japan, daher glaube ich nicht, dass Dating-Sims die Japaner vom “realen” Liebesleben abhalten. Gerade in der westlichen Welt bekommen wir von den Medien ein Idealbild vorgegaukelt, das uns länger über die Familienplanung nachdenken lässt, als eigentlich nötig. Aus Angst, irgendwelche Schein-Kriterien wie Wohlstand oder Aussehen nicht erfüllen zu können, bleiben wir daheim und warten auf bessere Zeiten. Das ist Bullshit, Leute. Nicht lange übers Heiraten und Kinder kriegen nachdenken, einfach machen. Die Idiocracy hat schon begonnen.
Diese Dating Simulationen finde ich ja schon ein wenig schräg – und die würde ich maximal mal so zum Spaß anzocken, so für shits ‘n giggles – aber wenn man es so schön Rollenspiele einbaut wie BioWare es in den letzten paar Jahren immer getan hat, dann finde ich es doch sehr ansprechend. Würde ich dafür nicht mehr rausgehen und mit anderen Leuten reden? Eher nicht – jedenfalls nach der ersten Woche 🙂 – aber da die Qualität der möglichen Interaktionen und die Realitätsnähe zunehmen, finde ich es auch nicht so extrem abwegig sollte jemand das tun.