Lesezeit: 5 MinutenRepo hat es in ihrem letzten Kommentar ja schon angesprochen: Man muss sich immer noch dafür rechtfertigen, dass man Videospiele mag und mit diesem Hobby viel Zeit verbringt, während sich der 0815-Fernsehzuschauer locker auf der Couch ausruhen kann und seine fünf Stunden ohne schlechtes Gewissen davor verbringen darf. Was wurden wir in den letzten Jahren mit “Killerspiel”-Debatten bombardiert und wie oft müssen wir uns noch anhören, dass uns unser Hobby zu gewalttätigen, emotionslosen Menschen macht. Doch halt! Die Wissenschaft hat das Thema auch entdeckt und was erfahren wir? So schlimm ist das alles gar nicht, im Gegenteil, es verschafft uns sogar Vorteile.
Gut, gleich vorweg: Bei den Ergebnissen der Wissenschaftler muss man sich ein paar Dinge vor Augen halten. Wer finanziert die Studie und ist sie repräsentativ oder wurde die Studie an einer Handvoll Teilnehmer vorgenommen ohne Kontrollgruppe. Nur so ist es nämlich in einigen Fällen zu erklären, dass die Wissenschaft selbst sich nicht einig ist. Ein weiterer Punk scheint das Land der Herkunft zu sein. Zwar hat man schon seit längerem nichts mehr aus Hannover gehört, doch erinnern wir uns nur allzu gerne, dass Herr und Frau Pfeiffer von dort aus vor Jahren die Debatte vor allem auf die negativen Auswirkungen gestartet hatten. Scheinbar reicht es aus zu beobachten und sich von Videospielen erzählen zu lassen, ohne selbst wirklich Hand an die virtuelle Welt gelegt zu haben. Es wird immer noch in der Diskussion gerne übersehen, dass Menschen unterschiedlich sind. Wer sozial ausgegrenzt ist und in der Schule nur mit Hänseleien und Gewalt konfrontiert wird (und/oder in der Familie), wer depressiv ist und keine Hilfe bekommt … für den bieten Videospiele eine andere Fluchtmöglichkeit, als für den glücklichen Menschen, der viele Freunde hat, keine größeren Probleme und Rückhalt der Familie erfährt. Ich behaupte, dass das nachmittägliche Schrottprogramm im Fernsehen mehr Aggressionen auslöst, als ein Kriegsszenario, das sich ein Entwickler ausgedacht hat. Aber das muss ich euch wohl nicht erzählen. Gamer wissen das.
Was viele Nicht-Gamer noch lernen müssen, sind die positiven Effekte, die Videospiele haben können. Auf Kinder, auf Erwachsene, auf Rentner. Wobei man sicherlich feststellen kann, dass Rentner wahrscheinlich noch die größte Akzeptanz von allen haben. Das mag an der Wii liegen und deren Image von Familienfreundlichkeit oder an den Fernsehsendern, die lustige Rentner beim virtuellen Bowling zeigen, während jeder Jugendliche mit Sicherheit vor dem PC in einem abgedunkelten Raum mit lautem Ballersound sitzt. Doch nehmen wir einmal World of Warcraft. Blizzards Spiel wurde vor Jahren und heute noch, als einer der Gründe für Gewaltverbrechen genannt. Doch liest man mehr über das Thema erfährt man, dass genau dieses MMORPG älteren Menschen helfen kann ihr Gehirn fit zu halten. Es fördert die kognitiven Fähigkeiten, indem es die kompletten Spielregeln nicht erklärt, sondern es dem Spieler überlässt die Hinweise selbst herauszufinden. Die Chatrooms sind nicht voll mit sinnlosen Diskussionen, sondern liefern (herausgefunden von der Universtity of Wisconsin) wohl formulierte Argumente und Gegenargumente inklusive Beweisführung und Statistiken. Man braucht auch eine soziale Kompetenz, denn mit wem schließt man sich zusammen, in welche Gilde passt man. Kinder mit Leseschwächen verbessern das Leseniveau um bis zu vier Klassen nach oben … klar liegt das daran, dass man Kinder wohl eher mit Fantasy begeistern kann als mit drögen Schulbüchern, aber es zeigt auch, dass Lehrer und Schulen ihre Art des Unterrichts eventuell überdenken müssen.
Videospiele werden eingesetzt, um Patienten mit Augenkrankheiten, z.B. einem “stumpfen Auge”, schwacher Sehstärke, Schielen oder einem Auge, das eigentlich macht was es möchte, geholfen werden kann (teilweise reicht hier eine Stunde). Shooter erweitern das Sehfeld der Spieler, sie nehmen viel mehr Details wahr als Nichtspieler. Man setzt sie in der Chirurgie ein: Während der Patient am Gehirn operiert wird, spielt er oder sie ein Videospiel. Der Gedanke an den Schmerz wird auf 25% verringert und der Patient ist entspannter (ohne wären es 75%). Abgesehen davon, dass der Chirurg, der zu Hause vor der Konsole sitzt, auch noch der bessere ist, weil seine Motorik sich verbessert. Er ist schneller und macht weniger Fehler im Operationssaal.
Wir wissen, dass Spiele nicht einsam machen. 65% sind in Gesellschaft. Wir tun sogar gutes für die Wissenschaft selbst. Viele Gamer stellen ihre Konsolen oder PCs als zusätzliche Rechenkraft für Universitäten zur Verfügung, Viren und genetische Zusammensetzungen werden von Gamern in Form von Rätseln gelöst, biochemische Puzzle, für die Wissenschaftler Jahre benötigen würden. Shooter machen aggressiv? Wohl vor allem machen sie die Spieler reaktionsschneller, Hand-Augen-Koordination wird verbessert, Spieler treffen wichtige Entscheidungen im realen Leben in Sekunden. In Spielen wie Counter Strike geht es nicht nur darum, die Gegenspieler zu töten, sondern es geht vordergründig um Teamarbeit. Wer online gewinnen will, kann sich nicht nur auf sich selbst verlassen. Das kapieren schon fünfjährige Kinder. Die Wii und Kinect haben ihren Teil zur Bewegung beigetragen. Vor allem Rentner profitieren von dieser Art enorm, denn selbst mit minimalen, gezielten Übungen (und sei es nur Bowling), können sie ihrem Körper Gutes tun. Serious Games, also Spiele, die Kindern und Erwachsenen politische oder umweltpolitische Probleme erläutern sollen, wie Umweltverschmutzung, den Konflikt zwischen Israel und Palästinenser etc. werden in Schulen eingesetzt. Schüler lernen zu kooperieren, Konflikte zu lösen, zu Kommunizieren. Drei Dinge, die wichtig sind im Leben.
Natürlich sind Videospiele nicht die Lösung für alles und man sollte sich auch nicht nur auf sie verlassen. Natürlich hat alles auch negative Auswirkungen, wenn man es übertreibt. Aber sie werden mehr und mehr ernst genommen. Und auch Deutschland macht kleine Schritte in die richtige Richtung. Erinnert sich noch jemand an den Skandal bei der Verleihung des Deutschen Computerspielpreises, als Anno 1404 (von einem deutschen Entwickler) als bestes internationales Spiel gekürt wurde, damit auch ja kein Shooter den Preis bekommt? Hey, dieses Mal hat Crysis 3 gewonnen. Die USK wird auch etwas toleranter, wenn es um Spiele für Erwachsene geht. Doch folgt man den unten angeführten Links wird auch klar, dass wir immer noch einiges aufzuholen haben. Die USA und Großbritannien sind viel weiter. In den USA werden Videospiele stärker an Universitäten fächerübergreifend in den Unterricht eingebaut: Englische Literatur wird mit MMOs verbunden, Marketing mit Gamification, in der Pädagogik werden sie eingesetzt etc. etc. Das bringt nicht nur den Gamern mehr Spaß im Unterricht, sondern zeigt auch Nicht-Gamern eine neue Welt. Ich hab einen solchen Kurs gemacht und glaubt mir, es ist spannend zu sehen, wie beide Welten aufeinander treffen und plötzlich voneinander lernen. Sind wir ehrlich, wir Gamer vergessen gerne, dass unser Hobby für Nichtspieler bestimmte Hürden hat, wie Technik, die unterschiedlichen Plattformen etc. Da müssen auch wir mehr Verständnis aufbringen.
Die Wissenschaft, Pädagogen, Psychologen und Ärzte haben den positiven Effekt von Videospielen erkannt, die meisten Menschen, denen wir begegnen, sind davon noch weit entfernt. Geduld ist eine Tugend und Aufklärung kann mühsam sein. Der beste Weg ist, uns gegenseitig zuzuhören und Toleranz zu zeigen. Vielleicht lohnt es sich bald auf beiden Seiten. Das gilt nicht nur für Games, sondern auch für die Hobbies von anderen oder hört ihr immer euren Freunden zu, wenn sie von Fußball, Autos oder Briefmarken erzählen?
Weiterführende Links:
Ah, was hier auch noch fehlt ist, dass zum Beispiel manchmal auch Spiele direkt für Forschung verwendet werden. Ich denke da unter Anderem an den Corrupted Blood Incident” in WoW, der von Epidemiologen als Modell für Berechnungen von “real life” Epidemien eingesetzt wird (und wie ich gerade gesehen habe auch als Terrorismus Modell).