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Chuck My Life #2 – Brich ihr die Nase, nicht das Herz

von am 27. Januar 2017
 

Lesezeit: 4 MinutenAls ich vier Jahre alt war, traf ich meine erste große Liebe. Ihr Name war Eileen. Sie hatte lange, braune, wellige Haare und Milchzähne, die heller strahlten als die Sonne. Ich hatte nicht sonderlich viel Übung darin, das andere Geschlecht zu bezirzen, aber ich hatte Filme gesehen und wusste daher, dass der beste Liebesbeweis ein überraschender Kuss war. Das fand ich gut! Das wollte ich auch! Allerdings war ich zu feige, diesen Plan allein in die Tat umzusetzen. Deshalb holte ich mir Hilfe von meinem damals wie heute besten Freund Amor. Er sollte mich im richtigen Moment leicht schubsen, damit ich den Mut aufbringen konnte, um Eileen meine damals noch bartlosen Lippen aufzudrücken. Der Tag der Entscheidung kam und wir saßen alle im Stuhlkreis in der Eichhörnchengruppe des evangelischen Kindergartens in Hagen-Haspe. Ich saß neben Eileen, Amor neben mir. Mein Herz pochte und ich bereitete mich mental darauf vor, meinen eigenen wunderschönen Nicholas Sparks-Moment zu haben. Ich schloss die Augen, nahm all meinen Mut zusammen und dann kam der Schubser. Womit ich jedoch nicht gerechnet hatte war, dass Amor ein bisschen mehr Kraft aufwandte, als eigentlich ausgemacht. Ich stieß abrupt nach vorne und mein Kopf krachte mit voller Wucht und unter lautem Gelächter der Gruppe in ihre Nase, woraufhin sie mich wegschubste und anfing zu weinen, woraufhin wiederum ich anfing zu weinen und die Kindergärtnerin mir eine Predigt über die Gefahr von Mixed Martial Arts-Techniken im Alltag hielt.

Ich würde ja gerne sagen, dass sich mein Flirtverhalten seitdem grundsätzlich verbessert hat, aber ehrlich gesagt, habe ich in den 27 Jahren meines bisherigen Lebens weitaus mehr metaphorische Kopfstöße als Küsse verteilt. Mit 13 täuschte Kim aus der 8C einen Brechreiz vor, als ich ihr mein Herz ausschüttete. Mit 15 erklärte mir Julia, dass ich zu klein (1,72m) für sie (1,89m) war. Für Magdalena war ich zu dick. Für Ramona war ich zu uncool und Fiona wanderte nach meinem Geständnis kurzerhand nach Belgien aus.

Ihr werdet euch fragen, warum ich euch das erzähle, und keine witzige Anekdote über Videospiele und meine Genitalien. Nun, in zwei Wochen ist Valentinstag und welcher Tag wäre besser geeignet, um über die Liebe zu sprechen? Die Liebe ist einer der stärksten Motivatoren und eines der größten Schlüsselthemen in klassischer wie moderner Kultur. Romeo und Julia, Bonnie und Clyde, Bella und Edward, Mario und Peach. Das Motiv der Liebe zieht sich durch die gesamte Geschichte der Literatur, des Films und auch der Videospiele. Zwei Menschen, die füreinander geschaffen sind, aber nur im Tod miteinander vereint sein können, oder als glitzernde Vampire, oder wenn man Bowser dreimal auf den Kopf gesprungen ist. In jedem Fall steht das Schicksal immer irgendwie zwischen den beiden Liebenden. Keiner stellt die Frage, ob Peach den italienischen Klempner aus Brooklyn überhaupt sympathisch, geschweige denn attraktiv findet. Mit dem Schnurrbart? Höchst unwahrscheinlich. Aber wir stellen es nicht in Frage, denn wir wollen uns den Glauben bewahren, dass die Liebe unseres Lebens nur darauf wartet, erobert zu werden und dass man potenziell erst einmal jede Person für sich gewinnen kann, wenn man sich nur genug anstrengt.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum sich so viele Menschen für Visual Novels begeistern können. In diesen Spielen ist die Liebe immer so einfach. Sag die richtigen Dinge, such die richtigen Dates aus, gib die richtigen Geschenke und die Menschen liegen dir zu Füßen. Deshalb spielt man in diesen generischen Geschichten meist eine möglichst generische Hauptfigur, die die Auswahl zwischen vier, fünf generischen Männer- bzw. Frauentypen hat. Der Protagonist sieht meist so aus wie Japaner sich einen Durchschnittsmenschen vorstellen. Keine besonderen Merkmale, keine außerordentlichen Talente oder Charaktereigenschaften. Alles, damit sich möglichst viele Menschen in die Hauptfigur hineinversetzen können. Aber genau da liegt das Problem. Diese Spiele vermitteln ein Konzept von romantischen Beziehungen, das weiter weg von der Realität nicht sein könnte. Ich dachte mit zwölf Jahren auch, dass Geschenke, Nettigkeiten und Komplimente der Weg zum Herzen einer jeden Frau seien und wenn wir ehrlich sind, haben wir es alle schon einmal auf diese Art und Weise versucht. Und vermutlich alle erfolglos. Visual Novels wiegen einen im Glauben, dass Liebe simpel sei, logisch, routiniert und mechanisch. Und viele Menschen stecken fest in diesem Glauben. Ich selbst habe lange Zeit versucht, bei Frauen eine peinliche Sims-Routine abzuarbeiten, um sie für mich zu gewinnen.

„Hallo Frau! Ich bin Chucky. Ich erzähle dir einen Witz. Dann umarme ich dich. Dann erzähle ich noch einen Witz! Dann spiele ich Gitarre für dich. Hey, noch ein Witz! Noch eine Umarmung! Ich kann auch einen Zaubertrick! Stehst du schon auf mich? Nein? Hier, noch ein Witz!“

Das – und das kann ich mit absoluter Sicherheit behaupten – funktioniert nicht. Sicher kann es nicht schaden, Humor zu haben und eine Gitarre hat bisher auch keine der besagten Frauen schreiend wegrennen lassen, aber jede noch so positive Eigenschaft kriegt einen bitteren Beigeschmack, wenn sie mit einer sexuellen Intention an Menschen herangetragen wird. Generische Animefigur X aus Visual Novel Y findet es sicher erregend, wie du jedes deiner Worte bedacht wählst, weil du unbedingt in ihr Höschen willst, aber im echten Leben wirkt es affektiert und ehrlich gesagt widerlich.

Vielleicht ist das auch einer der vielen Gründe, warum Spiele wie Metal Gear Solid so ikonisch sind. In Metal Gear Solid verliebt sich “Otacon” alias Hal Emmerich in die feindliche Foxhound-Scharfschützin “Sniper Wolf”. Er weiß, dass sie kein Interesse an einer romantischen Beziehung hat. Er weiß, dass er sie nicht erobern kann. Die Tatsache, dass sie der Feind ist, stellt nicht einfach nur eine Hürde dar, die es zu überwinden gilt. Ein Happy End ist für die Beiden faktisch unmöglich und auch wenn die Frage, ob Liebe auf dem Schlachtfeld blühen kann von Snake bejaht wird, stirbt sie schließlich durch Snakes Hand und selbst im Angesicht des Todes hat sie nur Augen für ihre Wölfe und ihren Widersacher, während “Otacon” im Hintergrund steht und trauert. Das nennt sich Tragik. Das ist – und ich kann nicht fassen, dass ich das einmal über Metal Gear Solid sagen würden – realistisch. Liebe ist kein Plotwerkzeug in unseren Leben. Zwei Menschen finden nicht einfach zueinander, weil die Geschichte es so verlangt.

Sniper Wolf's Death - Original Script [MGS: Twin Snakes] (1080P)

Wie gerne würde ich auch mal eine Visual Novel sehen, in der die gewählte Wunschpartnerin einen am Ende abserviert, egal, was man sagt oder tut, denn die harsche Realität sieht manchmal einfach so aus. Das mag ein wenig zynisch klingen, aber ich behaupte nicht, die Liebe sei nicht dennoch faszinierend oder romantisch. Sie ist nur nicht so, wie wir sie uns gerne vorstellen möchten. Wir alle sehnen uns nach einem perfekten Happy End, aber wäre Liebe einfach, dann wäre sie nicht selten. Und wäre sie nicht selten, wäre sie wertlos. Klingt kitschig. Ist es auch. Sorry. Einen frohen Valentinstag euch.

Artikel der Rubrik “Kommentare” sind persönliche und subjektive Meinungsäußerungen unserer Redakteure. Darin geäußerte Meinungen geben nicht unbedingt die Meinung von IKYG oder der Redaktion wieder.
Kommentare
 
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  • MonkeyHead
    27. Januar 2017 at 18:52

    Ein sehr schön geschriebener Artikel. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie nahe wir mal quasi beieinander gelebt haben und das Alter passt auch 😀

    Was du in deinem Artikel schreibst kenne ich auch, nur das ich die meiste Zeit heimlich geschmachtet habe. Wie käme ich denn dazu meine Angebetete auch nur anzusprechen.
    Natürlich sind Spiele was eine Darstellung einer romantischen Beziehung angeht nicht realistisch, das können sie aber auch nicht sein, denn ein Spiel funktioniert ja im Grunde auch immer nach dem Belohnungsprinzip. Und wenn die Belohnung am Ende der oder die Angebetete ist, dann will man auch das es klappt. Inwiefern der Weg dahin dann realistischer gestaltet werden kann, darüber lässt sich immer trefflich diskutieren.


  • Roxasu
    28. Januar 2017 at 14:51

    Schöner Artikel, gut geschrieben.

    Visual Novels sind ein sehr interessantes Thema, über das ich ja auch ausführlich in unserem letztjährigen Jahrbuch geschrieben hab. Ähnlich wie bei Büchern gibt es für jeden Topf einen Deckel und somit gibt es verschiedenste Genre. Die klassischen Lovestorys sollen halt genau Männer ansprechen, die vielleicht nicht so viel Selbstwertgefühl haben. Durch einfache Aufgaben scheinen sie ein “glückliches Leben” führen zu können.
    Das hat natürlich Vor- und Nachteile. Immerhin wird ein unrealistisches Bild vorgespielt, wie du selbst schon sagst. Andererseits hilft das vielleicht auch manchen Menschen, ausschließen würde ich es grundsätzlich nicht.
    Zum Thema “VN mit schlechtem Ausgang”. Naja es gibt diverse Storys, die nicht gut ausgehen, aber das sind dann meistens keine “Love Storys”, sondern eher andere Geschichten mit zusätzlichen Love-Routes.
    Nach einer Love Story mit ausschließlich Bad Endings müsste ich selbst erstmal gucken.
    Nichtsdestotrotz sollte man die Tipps aus diesen Liebesgeschichten nicht für bare Münze nehmen, wie du selbst schon sagst, sondern sie eher als Richtlinie sehen. Es gibt halt einfach keinen Masterplan für die Liebe.


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